Russland und Weissrussland sind 2023 zum zweiten Mal hintereinander bei der WM nicht dabei. Formaljuristisch ist die WM-Teilnahme lediglich sistiert. Eine Rückkehr ist theoretisch problemlos möglich.
Seit die Russen (früher: Sowjets) 1954 gleich mit dem Titelgewinn in die WM eingestiegen sind, gehören sie zu den Fixsternen am internationalen Eishockey-Himmel. 27 Mal haben sie bisher die Weltmeisterschaft gewonnen. Russland bzw. die Sowjetunion hat das Eishockey so geprägt wie die Kanadier.
Bei lediglich neun grossen Hockey-Nationen (Russland, Kanada, Schweden, Finnland, Tschechien, USA, Slowakei, Deutschland, Schweiz) wirkt sich das Fehlen von Russland viel stärker aus als beispielsweise bei einer Fussball-WM die Absenz von Italien.
Eine Rückkehr ist vorerst nicht zu erwarten. Die IIHF lässt auf eine entsprechende Anfrage ausrichten: «Russland und Belarus können aufgrund von Sicherheitsgründen nicht an IIHF-Wettbewerben teilnehmen. Diese Entscheidung bleibt in Kraft, solange die Sicherheitsbedenken bezüglich einer Teilnahme von Russland und Belarus bestehen. Teams aus Russland und Belarus sind für Turniere der Saison 2022/23 nicht eingeteilt.»
Die WM-Absenz der Russen betrübt Hockey-Romantiker. Aber noch viel mehr die Hüter der IIHF-Geldspeicher. Anders als der Fussball-Weltverband FIFA ist die International Ice Hockey Federation (IIHF) mit Sitz in Zürich finanziell nicht «unzerstörbar». Die FIFA erwartet im WM-Jahr 2022 einen Umsatz von mehr als 4 Milliarden. Die IIHF weist in ihrem offiziellen Finanzrapport knapp 30 Millionen Einnahmen aus. «Peanuts» im Vergleich zum Fussball.
Das Problem: Geld ist nur mit der WM und der U-20-WM zu verdienen. Die übrigen Weltmeisterschaften (Frauen, Junioren) – mehr als 20 Turniere – müssen subventioniert werden. Die IIHF leistet Hockey-Entwicklungshilfe von gut 16 Millionen pro Jahr.
Die wichtigste IIHF-Einnahmequelle ist der Vertrag mit der Infront Sports & Media AG. Ein internationales Sportmarketing-Unternehmen mit Sitz in Zug und weltweit mehr als 35 Niederlassungen und insgesamt über 900 Mitarbeitern. Über 80 Prozent der IIHF-Einnahmen kommen von Infront für die Werbe- und Medienrechte an den WM-Turnieren. Der Vertrag ist bis 2033 verlängert worden und bringt der IIHF jährlich mehr als 20 Millionen ein. Und damit sind wir beim Problem Russland.
Kenner schätzen, dass Infront rund 30 Prozent der Erträge aus den Werbe- und Medienrechten im Eishockey in Russland und Weissrussland erzielt. Diese Einnahmen – mehrere Millionen – brechen durch den Ausschluss dieser beiden Länder von den WM-Turnieren 2023 nun schon zum zweiten Mal weg. Weil mit einer Eishockey-WM in bedeutenden TV-Märkten wie Nord- und Südamerika, Asien, Australien, England, Frankreich und Südeuropa kaum Geld zu verdienen ist, haben Russland und Weissrussland in keinem anderen wichtigen Sport in dieser Beziehung eine so grosse kommerzielle Bedeutung.
Durch die Vertragsdauer bis 2033 sind Infront und die IIHF juristisch aneinander gekettet. Eine Auflösung der Zusammenarbeit aufgrund der politischen Weltlage ist erstens nicht zu erwarten und würde zweitens die IIHF ruinieren. Also braucht es eine Lösung. Einen Kompromiss. Im Kern geht es darum, ob sich die IIHF auf «höhere Mächte» berufen kann oder für den WM-Ausschluss von Russland und Weissrussland die Verantwortung übernehmen und auf einen Teil des Infront-Geldes verzichten muss.
Übereinstimmend berichten Gewährsleute, dass nach wie vor keine Einigung gefunden worden ist. Offiziell wird von der IIHF auf Anfrage dazu gesagt: «Aufgrund von Vertraulichkeitsvorgaben im Vertrag zwischen der IIHF und Infront ist es nicht möglich, Details dazu herauszugeben. Die IIHF und Infront arbeiten partnerschaftlich zusammen, um die finanziellen und sportlichen Folgen der Nicht-Teilnahme von Russland und Belarus für beide Parteien so gering wie möglich zu halten.»
Eine Aussage, die ohne Boshaftigkeit so interpretiert werden darf: Wir haben uns noch nicht geeinigt. Aber beiden Parteien ist klar: Je früher es gelingt, Russland und Weissrussland wieder in den WM-Betrieb zu integrieren, desto besser. Wie mehrere verlässliche Quellen melden, werden hinter verschlossenen Türen und unter Wahrung der Verschwiegenheit die Kontakte und Verbindungen mit den Vertretern der beiden Landesverbände nach wie vor intensiv gepflegt. Russland und Weissrussland sind auch nicht aus der IIHF ausgeschlossen worden und haben formaljuristisch nach wie vor ein Stimmrecht.
Es geht um die bange Frage: Wie lange kann das Eishockey ohne Russland sein? Die Klubs, die europäischen Ligen und der Spengler Cup können ohne Russland auskommen. Die IIHF nicht. Die IIHF entschädigt die WM-Teilnehmer mit Preisgeld, abgestuft nach Rangierung. Wer die Viertelfinals erreicht, kann mit einer guten halben Million rechnen. Für den WM-Titel gibt es rund 1,5 Millionen. Müssen die Teams künftig um dieses Geld bangen, wenn die IIHF im Deal mit Infront Federn lassen muss? Die IIHF verneint: «Die Nicht-Teilnahme von Russland und Belarus hat keinen Einfluss auf Zahlungen an die teilnehmenden Landesverbände.»
Beim schweizerischen Eishockeyverband (SIHF) traut man dem Frieden noch nicht ganz und meldet: «Die Höhe der Preisgelder ist von Seiten IIHF noch nicht definiert und kommuniziert worden. Wir gehen davon aus, dass es gleich viel sein wird. Wir wissen es aber noch nicht.»