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Er fiel sofort auf, wenn er nach dem Training aus der Kabine kam. Optisch durch Frisur, Outfit und Gangart, die an einen Rapper mahnten. Meistens hörte er Musik über Kopfhörer und war er schon in einer anderen Welt. Er hatte das Charisma eines «Kriegers» im positiven Sinne, strahlte eine ungeheure Vitalität aus und war doch, wenn ich ihn ansprach, freundlich und sanft. Eine der faszinierendsten Persönlichkeiten, die ich je im Hockey getroffen haben.
Und das Timing war perfekt. Wenn ich mich mit ihm nach dem Training oder Spiel unterhalten hatte, war Martin Gerber noch lange nicht parat und stemmte im Kraftraum noch Gewichte. Ray Emery ging in der Regel als erster, Martin Gerber als letzter.
Der Rebell aus einer Stahlarbeiter Familie in Hamilton, der sozial rausten Stadt Kanadas und der stille, in sich gekehrte, zähe Asket aus Langnau, dem idyllischsten Dorf Europas – ein grösserer Gegensatz war nicht möglich. Etwa so wie eine Kombination aus Mike Tyson und Christian Stucki. Aber eines hatten beide gemeinsam: Den zähen Willen, den Sportler auszeichnet, die es aus bescheidenen Verhältnissen ganz nach oben an Dollar-Honigtöpfe des Sportbusiness bringen. Beide sind Dollar-Millionäre und Stanley Cup-Sieger geworden.
Zwei Saisons – 2006/07 und 2007/08 teilten sich Martin Gerber und Ray Emery die Arbeit in Ottawa mit fast gleichen Statistiken und gleich vielen Spielen: 86 bestritt der Emmentaler in dieser Zeit, 89 der Kanadier. In Erinnerung aber bleibt Ray Emery durch die Stanley Cup-Playoffs.
Wer war besser? Ich denke, der Martin Gerber war besser und Ottawa hätte wahrscheinlich den Stanley Cup im Frühjahr 2007 geholt, wenn Cheftrainer Bryan Murray den Mut gehabt hätte, im Finale auf den Emmentaler zu setzen.
Aber Ray Emery hatte Ottawa ins Finale gebracht. Er war populär wie ein Popstar. Als er während des Stanley Cup-Finals von 2007 auf der Zufahrtsstrasse zum Stadion (das Stadion liegt in Ottawa ausserhalb der Stadt) mit seinem weissen Hummer einen harmlosen Unfall baute, brach der Verkehr stundenlang zusammen. Weil alle ein Autogramm wollten.
Er trug ein seltsames Tattoo «Anger is a gift». Was so viel bedeutet wie «Wut ist ein Geschenk.» Dieser Satz erklärt uns vielleicht seine Persönlichkeit. Er war nicht nur getrieben von Leidenschaft. Da war auch immer eine unheimliche, vielleicht auch zerstörerische Energie. Sein Ego war irgendwie zu gross für Ottawa, zu gross für eine Kabine, für eine Mannschaft.
Er polarisierte. Alle lachten, als er eine Wette gegen Captain Daniel Alfredsson gewann und für 500 Dollar eine lebende Kakerlake verspeiste. Aber er brachte alle gegen sich auf, wenn er nach der «All-Star-Pause» verspätet aus Las Vegas zurückkehrte oder den Teamcharter verpasste und mit einem Linienflug hinterherreiste.
Zeitweise trug er eine Goalie-Maske mit dem Portrait von Mike Tyson. Er provozierte Schlägereien im Training und die Gerüchte um wilde Partys und tätliche Auseinandersetzungen rissen nicht ab. Aber im Knast war er nie.
Er stellte einmal fest, er müsse wohl damit leben, dass für den Rest seines Daseins 90 Prozent der Stories und Kolumnen über ihn seien negativ seien. Todd Elik war jedenfalls auch in seiner wildesten Zeit in der Schweiz vergleichsweise ein Sonntagsschüler.
Eine lange, ruhige Karriere war so nicht möglich. Nach einer Handgelenkverletzung war er nie mehr der charismatische Torhüter des Frühjahres 2007. Ottawa zahlte ihn aus einem laufenden Vertrag aus, er nahm einen Umweg über Russland und kehrte noch einmal in die NHL zurück (zweimal Philadelphia, Ottawa, Chicago). Als Nummer zwei von Chicago durfte er im Frühjahr 2013 doch noch den Stanley Cup in die Höhe stemmen. Seine letzten Partien spielte er in Deutschland in Mannheim. Im Frühjahr 2016 trat er zurück.
Er ist bei einem Schwimmunfall vom Boot eines Freundes aus am 15. Juli im Alter von 35 Jahren ums Leben gekommen. Die Umstände sind noch nicht aufgeklärt. Die Besten müssen viel zu früh gehen.