Eigentlich sollten die Berner feiern. Mit dem 5:4 gegen die ZSC Lions haben sie zum dritten Mal in Serie unter Trainer Kari Jalonen die Qualifikation gewonnen. Dreimal in Serie auf Rang 1 – das ist in diesem Jahrhundert noch keinem Team gelungen. Nicht in der Qualifikation. Nicht in den Playoffs. Und sie haben diese Saison alle sechs Direktbegegnungen gegen die ZSC Lions gewonnen.
Und doch ist die Freude ein wenig getrübt. Nur bis zum 5:1 war es ein grosser, mächtiger SC Bern. Ein Titan. Ein Favorit auf den Titel. Nach dem 5:1 (42. Minute) war die Herrlichkeit zu Ende. Die wilden, mutigen, beinahe verzweifelten Zürcher dominierten den Rest der Partie mit 14:6 Torschüssen und kamen bis auf 5:4 heran. Sie hatten in den letzten Sekunden gar noch Chancen zum Ausgleich.
Nun ist kein Grund zur Sorge. Es war ja für den SCB mehr oder weniger nur noch bloss ein Pflichtspiel. Es ist also verständlich, dass nach dem 5:1, nach getaner Arbeit sozusagen, der Schlendrian Einkehr gehalten hat.
Aber da ist eben noch etwas: die Ursache für die ZSC-Niederlage ist für den SCB höchst unerfreulich. Niklas Schlegel kassierte nämlich drei haltbare Treffer (zum 2:0, 4:1 und 5:1) und ein weiteres Gegentor hätte ein guter Goalie auch verhindert (das 3:1). Er wehrte lediglich 84,85 Prozent der Schüsse ab. In Bern gewinnt eine Mannschaft nur, wenn der Torhüter eine Fangquote von mehr als 90 Prozent erreicht.
Niklas Schlegel ist nächste Saison beim SCB der Nachfolger von Leonardo Genoni, der nach Zug wechselt. Er hat in diesem kapitalen Match für die Zürcher versagt. An seinem künftigen Arbeitsort.
Nun mag diese Kritik polemisch, respektlos und überzogen sein. Aber Niklas Schlegel kommt in die «Torhüter-Hauptstadt» Europas. In Bern hat es seit dem ersten Titel (1959) in den letzten 60 Jahren nie einen «Lotter-Goalie» gegeben. Kein anderes Team hat eine so ruhmreiche Goalie-Tradition. Die Helden heissen René Kiener (Meister), Jürg Jäggi (Meister), Edgar Grubauer (Aufsteiger), Renato Tosio (Meister), Marco Bührer (Meister), Jakub Stepanek (Meister) und Leonardo Genoni (Meister).
An diesen Namen wird Niklas Schlegel gemessen werden. Nächste Saison wird er nach drei so schwachen Partien wie am Freitagabend durch einen ausländischen Torhüter ersetzt und zur Nummer 2 degradiert. Immerhin wird er in Bern hinter einer besser organisierten Hintermannschaft spielen. Aber in Bern wird von den Torhütern seit 60 Jahren erwartet, dass sie die Verteidigung besser machen und nicht durch die Verteidigung besser gemacht werden müssen.
Der Titelverteidiger hat nun im 14. Spiel seit dem Trainerwechsel bereits die 9. Niederlage eingefahren. Es muss einmal gesagt sein: Der gefeuerte Serge Aubin war im Vergleich zu Arno Del Curto ein…Erfolgstrainer.
Der Kommandowechsel hatte bisher keinerlei sportliche Wirkung. Und doch wäre es fatal, diese ZSC Lions im Kampf um die Playoffs (die sie noch aus eigener Kraft erreichen können) oder um den Titel abzuschreiben falls sie die Playoffs erreichen.
Nach dem 5:1, als alles verloren schien, als die Nervenanspannung weg war, da spielten sie auf einmal meisterlich und dominierten unter der Führung des bissigen Leitwolfes Roman Wick den Qualifikationssieger in dessen Stadion fast nach Belieben.
Diese Lockerheit kann sich auch einstellen, wenn die Playoffs geschafft sind. Auf einmal blitzte die meisterliche Herrlichkeit auf. Was ja keine Überraschung sein kann: diese Mannschaft hat letzte Saison den Titel geholt und ist anschliessend auf dem Transfermarkt gar noch verstärkt worden.
Die ZSC Lions haben wahrscheinlich mehr Talent wie der SCB. Aber es ist ja schon hundertmal gesagt, geschrieben und gesendet worden, dass die taktische Ordnung fehlt, die den SCB auszeichnet.
Die zweite Hälfte dieser verrückten Partie in Bern hat den Zürchern gezeigt: alles ist möglich. Und warum sollte es nicht gelingen, sich erneut so zusammenzuraufen wie vor einem Jahr? Warum nicht noch einmal aus den Tiefen der Tabelle heraus (Platz war es vor einem Jahr) den Titel holen? Warum nicht in gut fünf Wochen vergessen machen, was die Fans während fünf Monaten verärgert hat?
Aber vor den letzten zwei Partien gegen die Lakers (h) und Servette (a) sind die ZSC Lions erst einmal ein hoffnungsvolles «Zirkus-Team» mit «Lotter-Goalie», das die Playoffs noch nicht erreicht hat.