Skandal? Ja, davon war nach dem Spiel tatsächlich die Rede. Die ZSC Lions gewinnen in Bern 2:1 nach Penaltys und der Trainer spricht von einem Skandal.
Als Skandal wird ein Aufsehen erregendes Ärgernis bezeichnet. Der Chronist hat im Laufe dieses hockeytechnisch hochstehenden Spiels kein Aufsehen erregendes Ärgernis gesehen. Und doch fällt das Wort «Skandal». Hans Wallson, der Trainer der ZSC Lions, sagte sogar «a f***ing scandal». Was hatte sich da bloss ereignet?
Nun, gemäss den Ausführungen des ZSC-Trainers sei Verteidiger Samuel Guerra von SCB-Stürmer Thomas Rüfenacht behindert worden und nur deshalb habe SCB-Torschütze Andrew Ebbett freie Fahrt zum 1:1 gehabt. Diese Version wird von den TV-Bildern tatsächlich gestützt.
Aber ein Skandal? Sind die ZSC Lions also durch einen Skandal um den Sieg nach 60 Minuten gebracht worden? Nein. Eher durch eine Dutzendbehinderung, die oft übersehen wird und in den Playoffs erst recht nicht mehr gepfiffen werden wird. Hans Wallson legte zwar noch nach und führte weiter aus, es sei schon unerhört, dass dieses Vergehen von den Schiedsrichtern nicht bemerkt worden sei. Aber toben mochte er dann doch nicht.
Es war eben ein Spiel, das keine Geschichten hergibt. Hockeytechnisch und taktisch durchaus hochstehend. Die zwei nominell besten Teams der Liga neutralisierten sich durch geschicktes Hockeyschach. Wenn die ZSC Lions defensiv aufmerksam sind, dann gibt es auf dem Eis keine freien Räume.
Aus der Sicht eines Trainers war es also ein herausragendes Spiel.
Aus der Sicht des Publikums, das unterhalten werden will, eher nicht.
Wir haben auf dem Gipfel unseres Klubhockeys eine Patt-Situation. Der SCB hat zweimal in Zürich gewonnen (3:2 n.P. und 6:1), die Zürcher haben nun zweimal in Bern das Spiel für sich entschieden (4:2 und 2:1 n.P.).
Der Sieg in Bern wäre ja eigentlich ein Steilpass für eine Jubelgeschichte über die grossen, mächtigen Löwen. Der Kompass für den Rest der Meisterschaft muss neu justiert werden. Richtung Zürich. Der Weg zum Titel führt über die ZSC Lions. Und so weiter und so fort.
Aber so ist es nicht. Am Ende bleibt eine gewisse Ratlosigkeit. Waren die ZSC Lions wirklich so gut? Nein. Ist dieser Sieg wirklich ein grosser Sieg? Nein. Vom Ende her, im Wissen um das Resultat, neigen wir dazu, den Ausgang eines solchen Spitzenspiels als logisch darzustellen. So, als sei eigentlich gar kein anderer Ausgang möglich gewesen.
Aber nach diesem Spitzenkampf bleibt dem neutralen Beobachter nur die Ratlosigkeit. Die Hockeygötter hatten gewürfelt. Der Sieg der ZSC Lions ist Zufall und Cheftrainer Hans Wallson ist, weil die Reaktion auf das 1:6 vom 20. Dezember gelungen ist, ein bisschen ruhiger geworden. Aber nicht klüger.
Inzwischen taucht nämlich eine neue Frage auf. Eine Frage, die womöglich den Ausgang der Meisterschaft entscheidet. Ist Niklas Schlegel (22), die Nummer 2 mit auslaufendem Vertrag am Ende gar besser als Lukas Flüeler (26), die Nummer 1 mit Vertrag bis 2020?
Der neutrale Chronist neigt mit ein bisschen Boshaftigkeit zur Antwort: Ja. Die ZSC Lions haben mit Lukas Flüeler den falschen Torhüter zur Nummer 1 erklärt. Beim 1:6 gegen den SCB am 20. Dezember stand im Hallenstadion Lukas Flüeler im Tor.
Gestern hexte Niklas Schlegel die Zürcher gegen den gleichen Gegner auswärts zum zum Sieg – er hat nun bei seinen vier letzten Einsätzen gegen Langnau, Fribourg, Lugano und nun in Bern gewonnen.
Aber aus politischen Gründen (Vertragsdauer, Verdienste in der Vergangenheit) kann ihn der Trainer nicht zur Nummer 1 erklären. Diesen Status hat sich Lukas Flüeler mit den Meistertiteln von 2012 und 2014 wohl verdient.
Aber Hockeyspiele werden in der Gegenwart entschieden. Nicht durch Ruhm aus der Vergangenheit. Immerhin lobt Hans Wallson seine Nummer 2, rühmt die Trainingseinstellung und die Teamfähigkeit und sagt: «Er ist fast die Nummer 1.» Überlegt kurz und offenbart seine Zweifel indem er sagt: «Nichts ist in Stein gemeisselt.»
Niklas Schlegel nimmt die Tatsache, dass er per Definition im Schatten von Lukas Flüeler steht, gelassen hin und sagt das, was von jedem jungen Musterprofi in einer solchen Situation erwartet wird: «Wer sagt denn, dass ich nicht die Nummer 1 werden kann? Mit harter Arbeit ist alles möglich.» Und mit seiner tadellosen Leistung hat er auch Werbung in eigener Sache gemacht. Kloten, Fribourg und Ambri sind mögliche neue Arbeitgeber. Arbeit für seinen Agenten André Rufener. Niklas Schlegel sagt: «Er weilt noch in Nordamerika und es wird Zeit, dass ich ihn wieder einmal anrufe.»
Mit dem guten alten Brecht können wir sagen:
Als Nummer 2 irgendwo die Nummer 1 zu werden kann auch dann schwierig sein, wenn einer Stil, Talent und mentale Stärke hätte, um eine Nummer 1 zu sein. André Rufener hat neben Niklas Schlegel noch einen zweiten Torhüter im Angebot, der auch das Potenzial für eine Nummer 1 hätte: Melvin Nyffeler (22), vorerst bis Ende Januar bei Kloten unter Vertrag und vorübergehend an den HC Davos ausgeliehen.