Ein kurzer Blick zurück sagt uns viel über die Gegenwart und die WM 2018. Die Rückkehr unter die Grossen der Welt hat die Schweiz ab 1997 unter Ralph Krueger mit «System-Hockey» geschafft.
Wir hatten nicht die besseren Einzelspieler als Deutschland, Österreich, Norwegen, Dänemark, Weissrussland, Frankreich, Lettland, die Ukraine oder Kasachstan. Also jene Länder, die uns noch in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre so oft vor der Sonne standen.
Weil wir keine Spieler in der NHL hatten – Mark Streit war 2006 der erste NHL-Stammspieler in einem WM-Team – war es möglich, mit der Nationalmannschaft während der Saison ein Spielsystem einzuüben.
Die Anforderungen an den Nationaltrainer waren also ganz andere als heute. Und nur ein charismatischer Hockeycoach von Weltformat wie Ralph Krueger war dazu in der Lage, die Nationalmannschaft taktisch so zu schulen wie ein Klubteam. Er ist und bleibt der wichtigste Nationaltrainer unserer Hockeygeschichte.
Die Silber-WM 2013 war der Höhepunkt der «System-Nationalmannschaft». Sie war bereits ergänzt durch NHL-Spieler – Nino Niederreiter und vor allem Leitwolf Roman Josi machten aus einem guten ein grosses WM-Team. Aber getragen wurde diese Mannschaft nach wie vor von den Schweizern und von einer sehr guten Spielorganisation.
Der Übergang zur «Namens-Nationalmannschaft» ab 2013 ist bisweilen chaotisch verlaufen und artete 2016 in Moskau bei der ersten WM unter Patrick Fischer in «Pausenplatzhockey» aus. Die Ordnung hatte sich aufgelöst. Die grossen Spielerpersönlichkeiten, die ein Team prägen und tragen, hatten wir noch nicht in ausreichender Zahl. Auch Nino Niederreiter war 2016 noch nicht der charismatische Leitwolf, der er heute ist.
Bei der WM 2018 haben wir jetzt zum ersten Mal eine «Namens-Nationalmannschaft» wie die anderen Grossen auch. Wir haben jetzt die besseren Einzelspieler als die «Hockey-Schwellenländer» Österreich, Norwegen, Dänemark, Weissrussland, Frankreich, Lettland, die Ukraine oder Kasachstan. Und mindestens gleich gute wie Deutschland.
Fünf Feldspieler, die eine wichtige oder gar zentrale Rolle spielen, sind erst unmittelbar vor der WM aus Nordamerika angereist. Die Verteidiger Dean Kukan und Mirco Müller, die Stürmer Sven Andrighetto, Timo Meier und Nino Niederreiter. Und nach wie vor sind zwei Plätze frei für weitere NHL-Spieler.
Nationaltrainer Patrick Fischer zieht also nach vier Partien und neun Punkten eine positive Zwischenbilanz. «Die Punkte sind das eine, aber mir gefällt vor allem auch die Art und Weise, wie wir spielen. Wir treten frech und mutig auf und es spielt keine Rolle mehr, wer der Gegner ist. Das ist es, was mir gefällt.» Dazu komme, dass jeder seine Rolle akzeptiere. «Es ist eine gute Mannschaft.»
Nun haben also auch wir NHL-Stars, die dazu in der Lage sind, ein Team auf und neben dem Eis zu führen (wie Nino Niederreiter) und so den Trainer zu entlasten. Unter diesen Voraussetzungen sind beim Nationaltrainer andere Qualitäten gefragt. Ein so guter Taktiker wie Ralph Krueger muss er nicht mehr sein. Die tägliche Detailarbeit wie bei einem Klubtrainer ist nicht mehr wichtig.
Der Nationaltrainer ist jetzt mehr Manager, Motivator und Kommunikator, der die Sprache seiner Jungs spricht, gute Beziehungen pflegt, sicherstellt, dass die NHL-Stars zur WM kommen, wenn sie die Möglichkeit haben. Und für gute Laune bei der WM sorgt («Cheerleader»).
Es ist exakt die Rolle für den Trainer-Zauberlehrling Patrick Fischer, der als Klubtrainer gescheitert ist, aber viele Voraussetzungen für diese neue Rolle an der nationalen Bande mitbringt.
Dass Patrick Fischer beim olympischen Turnier gescheitert ist, aber bei dieser WM auf gutem Weg zur Erfüllung der Vorgaben (Viertelfinale) ist, hat durchaus seine Logik: Beim olympischen Turnier konnten die NHL-Stars nicht teilnehmen. Da war noch einmal die alte «System-Nationalmannschaft» wie zu den Zeiten von Ralph Krueger gefragt. Und in dieser Rolle war Patrick Fischer völlig überfordert. Die Achtelfinals waren das logische Ende des olympischen Abenteuers.
In Kopenhagen haben wir eine «Namens-Nationalmannschaft» wie nie zuvor und damit ganz andere Voraussetzungen. Spielerisch besser, offensiv spektakulärer und dynamischer als jedes andere WM-Team seit 1951 und auf Augenhöhe mit dem WM-Silberteam von 2013.
Ob sich die Schweizer hier in den nächsten Partien am Samstag gegen Russland und am Sonntag gegen Schweden und dann im Viertelfinale gegen einen Titanen aus der anderen Gruppe durchsetzen können, hängt nicht mehr in erster Linie von der eingeschulten Taktik ab. Aber die Rolle des Nationaltrainers ist immer noch wichtig: wenn er das Gespür für die richtige Zusammenstellung seiner Linien hat, in den entscheidenden Momenten die richtigen Worte findet, während des Spiels die Übersicht nicht verliert und zumindest in der eigenen Zone für eine gewisse spielerische Systematik sorgt, dann kann er nach wie vor die Differenz machen.
Und etwas mehr defensive Ordnung sollte schon sein. Das sieht auch Patrick Fischer so: «Wenn wir richtig spielen – dazu gehört Stabilität in der Defensive – dann haben wir gegen jeden Gegner eine gute Chance. Wenn wir nicht richtig spielen, wird es noch immer gegen jeden Gegner schwierig.»
Wenn die Schweizer zur neuen offensiven Dynamik und zum neuen Selbstvertrauen von Kopenhagen noch 20 Prozent von der taktischen Stilsicherheit aus der Zeit der «System-Nati» hätten – wir würden um den WM-Titel spielen.