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Krönung einer grandiosen Karriere: Mark Streits kurioser Stanley Cup-Triumph

Hier stemmt Streit den Stanley-Cup-Kübel in die Höhe. Video: streamable
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Verdiente Krönung einer grandiosen Karriere: Mark Streits kurioser Stanley-Cup-Triumph

Aus dem Schosshaldequartier in Bern auf den höchsten Gipfel des Hockeys in Amerika – nur der Stanley Cup ist gut genug, um Mark Streits Karriere zu krönen. Und es war wohl nicht seine letzte Stanley-Cup-Siegerparty.
13.06.2017, 04:5013.06.2017, 13:27
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Die Nordamerikaner bezeichnen Eishockey als den wahren Mannschaftsport. Und tatsächlich ist die «Chemie» ein entscheidender Faktor. Nur eine verschworene Einheit gewinnt eine Meisterschaft, die im Oktober beginnt und im Juni endet, die über einen ganzen Kontinent und über mehrere Zeit- und Klimazonen hinweg ausgetragen wird. Auf Europa übertragen ist es ungefähr ein Titelkampf mit Teams aus Moskau, Zürich, Rom, Madrid, Lissabon, Istanbul und Stockholm.

Was Teamgeist bedeutet, haben wir in diesen Tagen erlebt. Mark Streit darf als einer der ersten den Stanley Cup in die Höhe stemmen. Obwohl er im Finale gar nie gespielt und damit für Puritaner aus sportlicher Sicht nichts zum Triumph beigetragen hat. So gesehen hat dieser Triumph etwas Kurioses.

Pittsburgh Penguins defenseman Mark Streit, of Switzerland, celebrates with the Stanley Cup after the Penguins defeated the Nashville Predators 2-0 in Game 6 of the NHL hockey Stanley Cup Finals Sunda ...
Der Stanley Cup als verdiente Krönung einer Karriere: Mark Streit absolvierte über 800 NHL-Spiele. Bild: AP

Aber etwas anderes zählt viel mehr. Ein Team funktioniert eben nur, wenn jeder seine Rolle spielt. Mark Streits Rolle war die des überzähligen Verteidigers, der jederzeit für einen Einsatz bereit sein musste. Dass einer klaglos und mit einer positiven Einstellung diese Rolle übernimmt, der vier Millionen Dollar pro Saison verdient, der einst Captain eines NHL-Teams war und über 800 NHL-Spiele bestritten hat, ist alles andere als selbstverständlich – und bei uns eigentlich undenkbar.

Der grösste Schweizer Spieler aller Zeiten

Dass er diese Rolle perfekt gespielt hat, zeigt, warum sich Mark Streit als erster Schweizer Feldspieler in Nordamerika durchgesetzt hat und warum er einer der grössten Schweizer Spieler aller Zeiten werden konnte. Und seinen Transfer kurz vor den Playoffs zum Stanley-Cup-Titelverteidiger hat er sich durch seine lange Karriere und seine Professionalität verdient. Dieser Wechsel nach Pittsburgh ist eben auch so etwas wie die Anerkennung für das, was er bis dahin in der NHL geleistet hatte.

Die Hockeygötter sind also doch gerecht. Sie haben Mark Streit den Stanley Cup beschert. Ein historischer Augenblick. Der erste Schweizer Feldspieler, dem diese Ehre zufällt. Der erste Schweizer, der Stanley Cup Sieger und bei uns Meister geworden ist (Pittsburgh 2017, ZSC Lions, 2001).

Die verdiente Krönung einer grandiosen Karriere. Eine Entschädigung der Hockey-Götter für die verpasste WM-Silbermedaille von 2013, die Krönung der «Generation Streit», der neuen Generation, die unser Eishockey auf eine neue Ebene gehoben hat. Da konnte Mark Streit nicht dabei sein. Weil er eben noch in Nordamerika spielte und für die WM kein Thema sein konnte. Aber Mark Streit verkörpert wie kein anderer Einzelspieler den Aufstieg der Schweizer aus den Niederungen der Zweitklassigkeit zur Weltspitze.

Erster NHL-Anlauf scheiterte kläglich

Eigentlich ist nur der Stanley Cup gut genug, um diese Karriere zu krönen. Mark Streit ist im Berner Schosshaldequartier aufgewachsen und spielte Strassenhockey, bis die Nachbarn die Polizei riefen. Er wurde Junior beim SC Bern, wo Sportchef Bill Gilligan seinen Job sehr ernst nahm und kein Junioren-Heimspiel verpasste. Um zu sehen, wer für die erste Mannschaft taugt. Mark Streit schätzte er als untauglich für die NLA ein. Zu wenig kräftig und zu wenig talentiert.

Das hätte bereits das Karrieren-Ende sein können. Doch der künftige Stanley Cup-Sieger wechselt auf Anraten seiner Eltern zu den Junioren des Erzrivalen Gottéron. Hansjürg und Silvia Streit chauffieren ihren Buben nun zum Training nach Fribourg. Eine grandiose Laufbahn nimmt im Herbst 1995 ihren Anfang, die über Fribourg, Davos, Salt Lake City, Tallahassee, Springfield, Zürich, Montréal, New York, Philadelphia und Tampa schliesslich im Frühsommer 2017 zur Stanley-Cup-Party nach Pittsburgh führen wird. Heute ist schon beinahe vergessen, dass Mark Streits erster Anlauf Richtung NHL Ende des letzten Jahrhunderts (1999/2000) kläglich gescheitert war. Er konnte sich in den zweitklassigen Farmteam-Ligen nicht durchsetzen. Er wurde sogar in die drittklassige East Coast Hockey League abgeschoben. Wenn er da aufgegeben hätte und vorzeitig nach Hause zurückgekehrt wäre, dann gäbe es jetzt keine Stanley Cup-Siegerparty. Europäer, die vorzeitig abreisen, gelten als «Homies» und kommen für NHL-Verträge nicht mehr in Frage.

Pokal kommt nach Bern
Obwohl Mark Streit im Final kein Spiel bestritten hat, darf auch er den Stanley Cup zu einem von ihm gewünschten Ort bringen lassen – der Stanley Cup kann also nach Bern kommen. Die NHL organisiert diesen Brauch und transportiert den streng bewachten Pokal zu jedem Spieler. Auch nach Europa. Der Stanley Cup war unter anderem schon auf dem Roten Platz in Moskau, aber auch für Martin Gerber im Hirschen zu Langnau. Der SCB wird für Marc Streit allerdings keine Stanley-Cup-Party organisieren. Das stellt SCB-General-Marc Lüthi klar: «Damit haben wir nichts zu tun.»

Sommertraining als Geheimrezept

Mark Streit biss sich durch und kehrte erst nach Saisonschluss in die Schweiz zurück. Zu den ZSC Lions. Er war um eine grosse Erfahrung reicher. Er wusste, dass er kräftiger werden, dass er noch viel härter arbeiten, trainieren musste. Er wurde einer der ersten Schweizer Spieler, der im Sommer einen Privattrainer engagierte und Eishockey im wahrsten Sinne zum Ganzjahressport machte. Im Herbst 2005 bekam er seine zweite Chance – von den Montréal Canadiens.

Und auch das ist beinahe vergessen: Mark Streit begann sein NHL-Abenteuer als Lückenbüsser. Fast ein Drittel aller Spiele sah er in seiner ersten Saison (2005/06) von der Tribüne aus, und wenn er spielen durfte, dann oft als Stürmer und nicht auf seiner angestammten Position als Verteidiger. Aber er reklamierte nie, machte seine Arbeit, und in seiner zweiten Saison wurde er Stammspieler. Im Sommer 2008 holten ihn die Islanders nach New York. Sie machten ihn zum Dollarmillionär (Jahressalär 4.10 Millionen) und ernannten ihn gar zum Captain. Bis heute ist Mark Streit der einzige Schweizer NHL-Captain.

Die Werte der Familie Streit

Es gibt eine schöne Geschichte aus der Berner Wirtschaft. Sie ist verbürgt und so lange her, dass wir sie hier und heute erzählen dürfen. Diese Geschichte hilft uns, zu verstehen, warum Mark Streit diesen langen, beschwerlichen Weg gegangen ist, warum er durchgehalten hat und einer der besten Schweizer Eishockeyspieler aller Zeiten werden konnte. Es geht um die Werte, die ihm in seiner Familie vermittelt worden sind.

Eine Berner Firma – sie existiert heute nicht mehr – stellte millionenteure Druckmaschinen her, die auf der ganzen Welt verkauft wurden. Die Kommunisten druckten in Moskau auf diesen Maschinen sogar die Wahrheit. Die Prawda

Ohne Schmiergeld lief beim Verkauf dieser Druckmaschinen in vielen Ländern nichts. Solche Zahlungen konnten damals in der Schweiz noch als Geschäftsaufwand ganz legal verbucht werden. Ein Abgesandter dieser ehrenwerten Berner Firma überbrachte weisungsgemäss im Rahmen der Verkaufsverhandlungen einem hochrangigen ausländischen Firmenvertreter das Schmiergeld im Aktenköfferchen. Der honorige Herr, mit solchen Praktiken vertraut, bezahlte dem Überbringer aus Bern sogleich ein Drittel bar «unter dem Tisch» zurück. Der aber behielt das «Kick-back» nicht für sich, wie das sonst in der Branche Brauch war. Er händigte es daheim seinem Arbeitgeber bis auf den letzten Rappen aus. Der Name des ehrlichen Mannes: Hansjürg Streit, der Vater von Mark Streit.

Das sind die Werte, die Mark Streit von Haus aus kennt: Ehrlichkeit, Geradlinigkeit, keine Tricksereien. Und so kommt es, so ist es logisch, dass viel, viel Geld auch den Junior nicht verändert und vom rechten Weg abgebracht hat. Er ist in seinem Auftreten, im Gespräch noch genauso bescheiden, aufmerksam, freundlich und geduldig wie vor 20 Jahren. Er protzt nicht mit seinem Reichtum. In Bern hat er sich an bester Lage eine Eigentumswohnung gekauft, und dass er jetzt dort einen Mercedes in der Garage stehen hat, wagt er fast nicht zu sagen.

Es macht keinen Sinn, sich beim SCB abzumühen

Mark Streits Vertrag, dotiert mit 4 Millionen Dollar Jahressalär, ist nun ausgelaufen. Er wird im Dezember 40. Aber das letzte Kapitel dieser einzigartigen Karriere ist noch nicht geschrieben. Die Chancen stehen gut, dass er noch einmal einen NHL-Vertrag mit mehr als einer Million Jahressalär bekommen wird. Eine Rückkehr in die NLA schliesst er hingegen klugerweise aus. Sein Name und sein Charisma würden viel zu hohe Erwartungen wecken. Er könnte sie nicht einmal erfüllen, wenn er zehn Jahre jünger wäre. Wer sich in mehr als 800 NHL-Spiele bewährt, mehr als 50 Millionen Dollar verdient und den Stanley Cup in die Höhe gestemmt hat, wer Captain in der NHL war, der mag sich zum Schluss nicht in Bern, Langnau, Ambri oder Zürich abmühen und kritisieren lassen.

Und vielleicht war es ja nicht die letzte Stanley-Cup-Siegerparty für Mark Streit. Roman Josi wird seinen Freund einladen, wenn auch er in den nächsten Jahren den Stanley Cup als zweiter ehemaliger SCB-Junior holen wird.

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