Es gibt ein sicheres Anzeichen dafür, dass diese Sache höchst heikel ist. Alle Verantwortlichen geben zwar ausführlich Auskunft. Aber nur unter der Zusicherung, dass man weder zitiert noch namentlich genannt werde.
Dabei geht es um das Eingemachte. Ja, um die Glaubwürdigkeit des Hockeys. Nämlich um die Rechts- und Chancengleichheit. Weil das eine ernsthafte Angelegenheit ist, hat sich der Chronist überlegt, wie er denn die Geschichte erzählen und trotzdem die Anonymität der Informanten wahren kann. Was gar nicht so einfach ist.
(1/5) Refs Stolc/Urban klauten @HCAP1937 Sieg gg @official_EVZ. Immer klarer. 2:2 (on ice: no goal) ist auf Video nicht 100 % nachweisbar. "Overhead-cam ist Situation nicht ideal", sagt @MySports_CH Experte @mandioni. "Frage mich, ist Handschuh mit Puck vollständig hinter Linie?! pic.twitter.com/vi961b8rJU
— Homo Hockeyensis (@homohockeyensis) January 12, 2022
Er hat sich dazu entschieden, die Vertreter der zwei Gruppen dieser Geschichte zu anonymisieren und als Veloständer und Pfeifen auftreten zu lassen.
Die Veloständer bilden die Vertreter der Klub- und Ligaseite. Die Pfeifen die verschiedenen Abgesandten der Schiedsrichterabteilung. Die Bezeichnung Veloständer hat er gewählt, weil ein nicht unprominenter Vertreter der Klub- und Ligaseite das Ganze als Veloständer-Problem kleinredet.
Die Fakten im Rückblick: Zug wird nach Konsultation der verschiedenen Kameras in der 53. Minute der 2:2-Ausgleich in Ambri zugesprochen (Schlussresultat 2:3 n.V.). Auf dem Eis hatten die Schiedsrichter den Treffer vorerst nicht gegeben. Nach Betrachtung der verschiedenen bewegten Bilder wird das Tor doch gegeben. Weil angeblich zu erkennen ist, dass der Puck im Fanghandschuh von Benjamin Conz doch hinter der Torlinie war.
Aber war er das? Ein wichtiger Vertreter der Pfeifen sagt: «Der Treffer hätte nicht gegeben werden dürfen. Der auf dem Eis getroffene Entscheid darf nur dann umgestossen werden, wenn die Bilder zweifelsfrei das Gegenteil beweisen.» War das also nicht der Fall? «Nein. Der gesunde Menschenverstand sagt zwar bei dieser Szene: Der Puck in der Fanghand war hinter der Linie. Aber dafür gibt es den erforderlichen sichtbaren Beweis nicht.» Glauben reicht eben nicht. Sehen und Wissen ist erforderlich.
Interessant ist die Begründung, warum es dieses Sehen und Wissen nicht gibt: «Der Winkel der Übertorkamera ist so, dass es gar nicht möglich ist, zweifelsfrei zu erkennen, ob dieses Tor gegeben werden kann.» Und einer legt in der Sache noch nach: «Diese Kameras sind nicht in allen Stadien im gleichen Winkel montiert und liefern nicht überall die gleichen Bildausschnitte. Das erschwert übrigens immer wieder auch das richtige Erkennen von Torhüterbehinderungen». Ab und an sehen die Schiedsrichter auf den Video- und TV-Bildern nach, ob ein Tor wegen der Behinderung des Goalies gegeben werden kann oder nicht.
Im Laufe der journalistischen Ermittlungen wird auch noch moniert, dass nicht einmal die Kameras zur Offside-Kontrolle in allen Stadien gleich und richtig montiert seien. Die Coaches können nach einem Tor Einspruch wegen eines angeblichen Offside-Vergehens erheben und die Linienrichter sehen dann auf den Bildermaschinen nach, ob es tatsächlich ein Offside war.
Kommt noch dazu: Die Schieds- und Linienrichter müssen die Video- und TV-Bilder schwitzend im engen Zeitnehmerhäuschen des Stadions inmitten der Emotionen überprüfen. Eigentlich ein unhaltbarer Zustand. Weil die Klubs zu geizig sind, einen zentralen Kontrollraum («War Room») zu finanzieren, in dem alle Bilder zusammenlaufen und ein Team von Spezialisten für die Schiedsrichter in den Stadien beurteilt werden – so wie in der NHL, knurrt einer der Veloständer: «Wir sind doch nicht die NHL.» Wo er recht hat, da hat er recht.
Haben wir es also mit einem klaren Fall von Rechts- und Chancenungleichheit zu tun? Einer der Pfeifen sagt: «Nicht nur das. Es ist ein Skandal. Wir machen seit längerer Zeit immer wieder auf diese Problematik aufmerksam. Aber alle unsere Einwände werden einfach ignoriert.» Angemerkt wird von Seiten der Pfeifen auch noch, dass die ausländischen Ligen in dieser Sache eine bessere Infrastruktur hätten.
Doch die Veloständer wiegeln ab und behaupten, erstens sei es aus baulichen Gründen gar nicht möglich, die entsprechenden Kameras in allen Stadien exakt gleich zu montieren (Anmerkung: aber es ist möglich, auf den Mond zu fliegen), zweitens werde die Kamera-Position durch die TV-Produktionsfirma und die TV-Anstalten vorgegeben und drittens sei das Installieren der Kameras sowieso Sache der Klubs und koste Geld, das man auszugeben nicht bereit sei. Gewisse, aber völlig unerhebliche Unterschiede gebe es höchstens bei den Kamerainstallationen in Biel, Zug und Genf.
Zusammenfassend sagt einer der wichtigen Vertreter der Veloständer-Fraktion, das Ganze sei wie eine Diskussion um die Position der Veloständer. Also völlig unerheblich: «Es gibt kein Problem. Ich habe die Schnauze voll. Hockey ist doch keine exakte Wissenschaft.» Und es sei überhaupt nicht so, dass unsere technische Ausrüstung weniger gut sei als in ausländischen Ligen.
Was nun? Der Chronist müsste, wenn er denn zum Kern der Wahrheit vordringen wollte, alle Stadien im Land besuchen, alle Kamerapositionen durch Ingenieure ausmessen und dokumentieren lassen und auch noch im Ausland mit Ingenieuren von Stadion zu Stadion pilgern, dort nachschauen und messen, wie die Bildermaschinen positioniert sind. Und das in Zeiten der Viruskrise. Nicht machbar.
Ab jetzt wird es keine Missverständnisse mehr geben🤷♀️, @SteffiBuchli erklärt warum das "Tor" vom @HCDavos_off am Dienstag nicht gezählt hat🧐. Sollte so was heute wieder passieren, sind wir vorbereitet 😉
— MySports (@MySports_CH) September 27, 2019
Die Konferenz startet um 19:25 auf MySports ONE gleich nach dem #TaxiMüller pic.twitter.com/YOaEQShvAq
Also beschränkt er sich darauf, einfach wiederzugeben, was ihm in der Sache von den Vertretern beider Parteien vorgetragen worden ist. Auffallend ist in dieser Sache, dass so sehr auf Anonymität gepocht und doch freundlich und ausführlich, aber mit sichtlicher Enervierung Auskunft gegeben wird – mit dem Hinweis, wie sehr man unter Druck stehe. Von einer Seite werden sogar Bilder geliefert, die das Problem veranschaulichen. «Aber die können Sie nicht verwenden. Sonst kommt man womöglich noch drauf, woher Sie die Bilder haben.»
Das sind Indizien, die vermuten lassen, dass in der Sache tatsächlich etwas nicht ganz so ist, wie es sein sollte und alles eher mehr nach Skandal tönt als nach Veloständer. Wäre alles kein Problem, dann könnten doch alle unter Namensnennung über die Sache locker plaudern. Oder?
Gut, es stimmt: Eishockey ist keine exakte Wissenschaft, sondern – wir wissen es – ein unberechenbares Spiel auf einer rutschigen Unterlage. Aber eigentlich sollte in einer so unberechenbaren Sache wie Hockey wenigstens sorgfältig gehegt und gepflegt werden, was berechenbar ist. Zum Beispiel die Positionen von Kameras, deren Bilder über «Tor» oder «kein Tor» und oft über Sieg oder Niederlage und ab nächster Saison wieder über Abstieg oder Liga-Erhalt entscheiden können.
Wenn nicht alles ist, wie es sein sollte, wenn es keine Chancen- und Rechtsgleichheit gibt, weil die Installationen nicht in allen Stadien gleich sind, dann könnte eigentlich viel Geld gespart werden. Wir könnten ganz auf die Bildermaschinen für die Schiedsrichter verzichten und einfach Tatsachenentscheide wieder stehen lassen – ohne die Möglichkeit der Konsultation der Video- und TV-Bilder.
Irren ist menschlich, ob mit oder ohne Bildermaschinen. Mit ziemlicher Sicherheit würde sich gar nicht viel ändern.
Und ja, die Perspektive trügt, aber der Fanghandschuh ist auch klar hinter dem Schlittschuh, der direkt am Pfosten und damit an der Torlinie ist. Ich finde, es wird auch relativ deutlich, wenn man statt auf die Linie am Boden auf den rechten Pfosten neben/leicht vor dem Fanghandschuh schaut.
Wäre ich Ref, hätte ich den Treffer definitiv auch gegeben.