Rang 10. Nach Verlustpunkten gleich wie Servette (11.), das Trainer Patrick Emond bereits gefeuert hat. Lugano ist die grösste Enttäuschung der laufenden Saison.
Noch bleibt Polemik aus. Zu gross ist der Name des Trainers und zu lang sein Vertrag (bis 2024). Aber das ändert nichts an der Frage: Was ist mit Chris McSorley und dem HC Lugano los?
Bei einer Nachfrage fällt auf: McSorley spricht nicht mehr wie McSorley. Was gemeint ist, veranschaulicht ein Beispiel aus dem täglichen Leben. Politisch nicht ganz korrekt, aber eben treffend. Wir alle haben schon mitbekommen, dass ein Mann am Telefon mit einem Kumpel ganz anders spricht als mit seiner Frau oder Freundin. Mit dem Kumpel nimmt er kaum ein Blatt vor den Mund, kommt direkt zur Sache und macht auch mal einen träfen Spruch. Mit seiner Gattin oder Freundin spricht er hingegen in der Regel viel behutsamer und in leiserem Ton, wählt die Worte sorgfältig, rühmt viel und unterlässt kernige Scherze.
Wenn Chris McSorley über seinen neuen Arbeitgeber Lugano spricht, dann klingt er wie ein Mann, der mit seiner Frau oder Freundin telefoniert. Alles ist in bester Ordnung. Er freue sich – ja, er sehe sich gesegnet – dass er für Lugano arbeiten dürfe. Er verweist auf die verschiedenen verletzungsbedingten Ausfälle und seine Botschaft lautet im Kern so: «Keine Sorge. Wir werden nach der Nationalmannschafts-Pause stärker sein.»
Früher war das anders. McSorley pflegte Ross und Reiter zu nennen. Analysierte geradeheraus mit träfen Sprüchen, beissender Ironie und ohne Rücksicht auf Namen die Leistungen seines Teams. Diese Wandlung zum Diplomaten hat einen guten Grund: In Lugano ist McSorley zum ersten Mal seit seiner Ankunft in der Schweiz im Sommer 2001 «nur» noch Trainer und damit entlassbarer Lohnempfänger. Und sonst gar nichts. Nicht Sportchef und schon gar nicht Mitbesitzer. Nun hat er weisungsbefugte Vorgesetzte: Präsidentin Vicky Mantegazza, Geschäftsführer Marco Weder und Sportchef Hnat Domenichelli.
Smart wie Chris McSorley nun mal ist, hat er sich auf diese heikle neue Ausgangslage eingestellt. Nach dem Motto: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Und zwar in den höchsten Tönen. Kommt dazu: Wenn er in Lugano scheitert, wird er in der Schweiz wohl keine neue Chance bekommen. Diese Anpassungsfähigkeit ist bemerkenswert. Er ist immerhin schon 59 Jahre alt geworden. Die bange Frage war ja: Kann sich der Kanadier nach fast zwei Jahrzehnten «Alleinherrschaft» in Genf nun in Lugano in eine Hierarchie einordnen? Ja, er kann.
Und damit kommen wir zum Kern der Sache. Passt sich McSorley zu sehr an? In Genf war sein Name von allem Anfang an grösser als der Klub, den er in der zweithöchsten Spielklasse übernommen hatte, und im Quadrat grösser als jeder Spielername. Sein Wort war von allem Anfang an Gospel. Das Hockey-Unternehmen Lugano, eines der erfolgreichsten unserer Hockeygeschichte, ist hingegen grösser als jeder Trainername. Gospel ist höchstens, was aus der Zeit von John Slettvoll überliefert wird. Wagt es McSorley nicht mehr, er selbst zu sein?
Bisher haben wir in Lugano einen Chris McSorley in «Soft-Version» erlebt. Es mag ja sein, dass er in der Kabine und im Einzelgespräch hin und wieder noch in Originalversion auftritt. Aber wahrscheinlich ist das nicht der Fall. Weil er sehr genau weiss, wie mächtig die Spieler in Lugano sind. Und so sehen wir in Luganos Spiel die Handschrift des Trainers noch nicht. Etwas vereinfacht erklärt: Der Kanadier setzt auf Nord-Süd-Hockey, also direktes, einfaches, unbequemes Spiel aufs Tor. Doch Lugano pflegt weiterhin sein traditionelles, mehr auf Scheibenkontrolle angelegtes, bequemeres West-Ost-Hockey.
Bis heute hat McSorley Mannschaften gecoacht, die er weitgehend selbst zusammengestellt hat. Wenn immer möglich mit Schweizer Spielern, die rau, kräftig und schnell sind. Die zu seinem Hockey passen. Mehr taktisch folgsam als hochbegabt und eigenwillig. Und fast ausnahmslos hatte er bei Servette exzellente Ausländer und vorzügliche Torhüter. Der Operetten-Transfer von Yannick Herren (er ist bei Gottéron für Timo Haussener eingetauscht worden) bringt vielleicht ein oder zwei Tore des frisch motivierten Herren in den ersten Partien, bewirkt aber längerfristig rein gar nichts.
Hat Lugano nicht die richtigen Spieler für McSorleys Hockey? Oder umgekehrt gefragt: Passt der Stil des Trainers nicht zu Luganos Spielern? Wenn wir es so sehen, müssen wir aber auch die Frage stellen: Passt überhaupt ein Trainer zu Lugano? Seit 2006 sind alle gescheitert. Spielerversteher wie Serge Pelletier oder Sami Kapanen, Trendsetter wie Patrick Fischer, autoritäre Kanadier wie Doug Shedden, Nostalgiker wie Larry Huras und alle schwedischen Taktiker.
Das bedeutet: Es braucht eine andere Leistungskultur. Und damit können wir auch die Frage stellen: Kann Chris McSorley Luganos Leistungskultur verändern? Das kann er nur, wenn er eine Revolution anzettelt. Und eine Revolution schafft in Lugano nur der echte Chris McSorley.
Erst wenn der Kanadier über Lugano so redet wie am Telefon mit einem Kumpel, kommt diese Revolution in Gang. Der erste Schritt zur Revolution: Sagen, was ist. Erstens: Das ausländische Personal ist miserabel. Wir finden die fünf bisher eingesetzten ausländischen Stürmer Mark Arcobello, Mikkel Boedker, Daniel Carr, Troy Josephs und Libor Hudacek auf den Positionen 27, 66, 122, 131 und 190 der Liga-Skorerliste.
Nie seit dem Wiederaufstieg von 1982 hatte Lugano so schwaches ausländisches Personal. Das ist bei den finanziellen Möglichkeiten des Klubs erstaunlich. Sportchef Hnat Domenichelli hat versagt. Zweitens: Es fehlt ein starker zweiter Torhüter neben Niklas Schlegel. Nach seinem verletzungsbedingten Ausfall ist mit Irving Leland bereits ein kanadischer Torhüter verpflichtet worden, der mit einer ungenügenden Fangquote (88,55 %) den hohen Ansprüchen ebenfalls nicht genügt. Kommt dazu: Niklas Schlegel ist keine charismatische Nummer 1. Auch in der Torhüterfrage hat Domenichelli versagt.
Die Lösung ist einfach: Die laufende Saison als «Anpassungs-Zeit» für McSorley abbuchen und dem Kanadier für nächste Saison die Rekrutierung der Ausländer, die Lösung des Goalieproblems und die ganze Transferpolitik überlassen. Domenichelli ist smart genug, auf den Rat seines Trainers zu hören.
Mit den aktuellen Ausländern und Goalies könnte selbst der liebe Gott an der Bande des HC Lugano nicht viel mehr herausholen als Chris McSorley.