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Bern verneigt sich vor Roman Josi – und Roman Josi vor dem SC Bern

Nashville Predators' Roman Josi (59) runs a drill during NHL hockey training camp Friday, Sept. 23, 2022, in Nashville, Tenn. (AP Photo/Mark Humphrey)
Roman Josi
Stellte in Bern sein Können unter Beweis: Roman Josi.Bild: keystone
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Bern verneigt sich vor Roman Josi – und Roman Josi vor dem SC Bern

Der Tempel ausverkauft und Stimmung wie bei der letzten Meisterfeier. Zum ersten Mal seit mehr als tausend Tagen ist Bern wieder die Hockey-Hauptstadt und die Bernerinnen und Berner fühlen sich wie Hockey-Hauptstädterinnen und -Hauptstädter. Roman Josi kommt zu Besuch.
04.10.2022, 06:3304.10.2022, 13:13
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Ein festlicher Abend. Im Stadionrestaurant sind zum ersten Mal überhaupt die Tische mit weissen Tischtüchern gedeckt. Seit mehr als tausend Tagen endlich wieder ein ausverkauftes Stadion, Stimmung und das schöne Gefühl, dass Bern eben doch der Nabel der helvetischen Hockeywelt ist.

Zuletzt sind am 20. April 2019 beim 5. Finalspiel gegen Zug so viele Berühmtheiten herbeigeeilt (17'031 ausverkauft), um dem SCB die Aufwartung zu machen. Zuletzt ist an diesem 20. April 2019 vor dem 5. Finalspiel gegen Zug die Nationalhymne im Stadion gesungen worden. Damals nur die helvetische. Diesmal auch die amerikanische.

Ein solches Gedränge nach dem Spiel hat es im «Bärengraben» – im grosszügig konzipierten Vorraum zu den Kabinen – nicht einmal beim letzten Titelgewinn gegeben. Auch deshalb, weil die Saison für Nashville in Prag beginnt und der gesamte Tross aus Amerika mitgereist ist wie bei einem Zirkus. Sogar das Raubtiermaskottchen – im Kostüm steckt ein Künstler – ist dabei.

Nashville's Cole Smith, right, and Bern's Eric Gelinas in action during the NHL Global Series Challenge ice hockey match between SC Bern and Nashville Predators in Bern, Switzerland, Monday, ...
Auch auf dem Eis ging es hoch her.Bild: keystone

Ein Besuch von Roman Josi und seiner Mannschaft ist in Bern hockeytechnisch so aufregend wie ein Meistertitel und logistisch so aufwändig wie ein Gastspiel des Zirkus Knie. Und – das darf man sagen – auch viel, viel seltener.

Damals, vor exakt 1263 Tagen, sicherte sich der SCB im 5. Final (2:1 gegen Zug) den bisher letzten Titel. Am Montagabend war der SCB kein Titan. Eher in der Rolle von Ajoie bei einem Kräftemessen mit dem SCB. Der krasse Aussenseiter also. Kein Resultatdruck. Hockey einfach als Schauspiel.

Die hohen Gäste aus Amerika sind freundlich. Fast so freundlich wie kürzlich der SCB in Ajoie. Aber zu einem Sieg reicht es dem Aussenseiter dann doch nicht und Nashville gewinnt 4:3. Dafür sorgt auch Roman Josi, der Held des Abends, mit den Treffern zum 1:1 und 4:2 und dem Assist zum 2:2. Nino Niederreiter geht hingegen im ersten Sturm leer aus.

Die Highlights des Spiels.Video: YouTube/MySports

Es ist das letzte Vorbereitungsspiel für Nashville. Am Freitag und am Samstag folgt in Prag der Saisonstart mit zwei Partien gegen San José. Aber eigentlich ist diese Partie gegen den SCB etwas ganz anderes: Bern verneigt sich vor Roman Josi. Vor dem berühmtesten und besten Spieler, den dieser Klub je hervorgebracht hat. Die Bernerinnen und Berner bereiten ihm einen rauschenden Empfang. Die Partie ist von der Stimmung her ein Josi-Festspiel.

Roman Josi empfindet es auch so. Er spricht nach dem Spiel kurz vor Mitternacht von einem perfekten Abend, den er nie vergessen werde. Von einem Höhepunkt seiner Karriere. Er sagt es nicht einfach so, weil man das aus Höflichkeit gegenüber einem Gastgeber so sagt. Es ist ihm anzumerken, dass er es aus tiefstem Herzen so meint. Er ist aufgewühlt. Hier ist er gleich neben dem Stadion aufgewachsen, hier hat er seine Wurzeln und nun kehrt er zurück aus Amerika, mit «seiner» NHL-Mannschaft, die er als Captain führt. Er sagt, er sei dem SCB dankbar. Josi hat nicht vergessen, woher er kommt. Er verneigt sich vor dem SCB.

Er sei schon etwas nervös gewesen. In Gedanken habe er sich schon einige Zeit mit diesem Gastspiel befasst. Wie es wohl sein wird? Und nun sind seine Erwartungen noch übertroffen worden. Die Bernerinnen und Berner haben für seine Mannschaft, für ihn, ein rauschendes Hockeyfest zelebriert. Auch sein Trainer hat gespürt, wie speziell dieses Spiel für Roman Josi war. John Hynes spricht hinterher von einer sehr guten Leistung seines Captains.

Wohl wahr: So wie Roman Josi hat noch nie ein Schweizer Verteidiger das Spiel dominiert. Er ist der Dynamo seines Teams, der unermüdliche Antreiber und die Statistiker notieren während seiner Einsatzzeit (22:33 Min.) 7 Torschüsse. Kein anderer Spieler – auch kein Stürmer – kann sich in dieser Partie so viele Abschlussversuche gutschreiben lassen. Würde Roman Josi in dieser Form für den SCB spielen, käme er diese Saison auf mehr als 100 Skorerpunkte.

Was gibt es hockeytechnisch zu sagen? Roman Josi spricht von einem guten Spiel, einem guten SCB und er sei froh, dass der Abend siegreich geendet habe. Seine Mannschaft sei gefordert worden, es sei eine sehr gute Vorbereitung auf den Saisonstart gewesen. SCB-Captain Simon Moser war nicht so recht zufrieden mit der Leistung seines Teams. Nashville habe ab dem zweiten Drittel nicht mehr viel zugelassen. Er spricht sogar von einem Klassenunterschied.

Es ist die realistische Sichtweise eines Captains, der nach einer Niederlage nicht zufrieden ist. Die Statistik erklärt die Partie: Im ersten Drittel liess Nashville die Berner gewähren und Tempo machen (9:7 Torschüsse) – doch dann setzten beim NHL-Team die Defensivarbeit und das Offensivspiel richtig ein: noch 4:12 im zweiten und 5:12 Torschüsse im dritten Drittel für den SCB.

Die Berner gingen im Startdrittel sogar 1:0 und 2:1 in Führung. Ach, auch das hat der SCB-Seele gutgetan: Sven Bärtschi, der eigentlich beim SCB das werden sollte, was Roman Josi bei Nashville ist (aber nur fast), trifft zum 1:0. Sein erster Treffer für den SCB. Auch wenn es in erster Linie ein Schauspiel war – dieser erste Treffer für Sven Bärtschi nach 10 Minuten und 57 Sekunden kann eine Befreiung sein. Für ihn und für den SCB.

Verrückt, aber wahr: Für Sven Bärtschi war der Einstieg in die National Hockey League (NHL) vor gut zehn Jahren viel einfacher und viel erfolgreicher als nun der Einstieg in die National League (NL). Calgary hat ihn 2011 im Draft in der 1. Runde ausgewählt (Nr. 13). Er kommt im Frühjahr 2012 im Alter von 19 Jahren noch als Junior zum NHL-Debut. Am 9. März 2012 stürmt er für Calgary gegen Winnipeg und bleibt noch punktelos. Aber er trifft bereits im zweiten Spiel am 11. März 2012 gegen Minnesota und sein zweiter Treffer folgt bereits im dritten Spiel am 13. März gegen San José.

Die Bilanz nach den ersten 7 NL-Spielen für den SCB ist hingegen ernüchternd: kein Tor (zwei sind annulliert worden) und nur ein Assist. Und nun hat er im 8. Spiel erstmals getroffen. Er sagt, es falle eine schwere Last von seinen Schultern; dass der Einstand in der NL schwieriger ist als damals in der NHL, kommt für ihn nicht überraschend. «Du bist vollkommen unbeschwert und hast noch keine Verantwortung. Der Coach sagte mir damals: Spiel einfach. Das ändert sich dann aber bald und man muss eine Rolle übernehmen.»

In Bern ist er nicht ein 19-jähriger Junior, von dem noch nichts erwartet wird. Er ist nun 29 Jahre alt, einer der wichtigsten Transfers der letzten Jahre und die Erwartungen sind sehr hoch. Das ist ihm bewusst. «Ich versuche einfach alles, um der Mannschaft zu helfen und da mache ich auch Defensivarbeit.» Nur nicht immer dran denken, dann fallen die Tore doch. So wie eben das 1:0 gegen Nashville.

In den letzten Vorbereitungs-Partien stürmte Sven Bärtschi mit Chris DiDomenico. Was anfänglich ein Traumpaar schien, hat doch nicht funktioniert. Inzwischen hat Trainer Johan Lundskog mehrere Linien probiert. Sven Bärtschi sagt: «Wir sind noch auf der Suche nach der richtigen Formation.» Die Frage ist nach wie vor nicht, ob Sven Bärtschi diese Saison 20 Tore schiessen wird. Sondern nur, wann er die Produktion aufnimmt. Der SCB hat noch offensive Reserven.

13 Sekunden vor Schluss hat Chris DiDomenico auf 3:4 verkürzt. Der Pass kam von Dominik Kahun. Vielleicht wird ja aus der Schlauheit und der Leidenschaft von Chris DiDomenico und dem Tempo von Dominik Kahun eine explosive offensive Mischung.

Am Freitag kommt Lugano nach Bern. Die Tische im Stadion werden nicht mehr mit weissen Tischtüchern gedeckt sein. Und ein 3:4 wie gegen Nashville kann sich der SCB nicht mehr leisten.

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quelle: keystone / ennio leanza
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24 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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vayiaelanor
04.10.2022 09:15registriert August 2018
Ein schöner Hockeyabend, sympathisch auch die Interview's mit Josi's und Niedereiter's Familie, sehr bodenständig. Die Grossmutter gleich stolz wie wenn ihr Sohn bei einem Moskito Turnier spielen würde. Für die Powerbreaks muss MySports noch etwas üben, aber sonst toll gemacht und danke für die Übertragung im Free-TV!
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Jack33
04.10.2022 09:42registriert Juli 2020
Mysports kann ja doch gute Zusammenfassungen machen. Ich meine niemand verlangt von jedem Spiel eine 11-12min lange Zusammenfassung aber wenigsten nicht nur die Tore, sodass das Spiel einwenig wahrheitsgetreuer rüberkommt.
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QX7!Z1
04.10.2022 08:49registriert Dezember 2021
Im 2. und 3. Drittel hatte der SCB keinen Puck mehr gesehen. Als ob Bern die Junioren aufs Eis geschickt hätte.
Schon extrem, wie technisch überlegen ein NHL Team dem Schweizer Eishockey ist. Vor allem Stocktechnisch und Gedanklich sind es Welten. Da nützt unser Speedhockey wenig dagegen.
Die Mär von der besten Liga ausserhalb der NHL darf man getrost begraben.
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