Auf den ersten Blick können zwar alle das Gesicht wahren: Lausanne gibt einen sehr guten Spieler und bekommt dafür zwei brauchbare. Das lässt sich in der Öffentlichkeit erst einmal gut verkaufen. Investoren und Fans werden sich beruhigen. Der Pulverdampf verzieht sich. Aber auf den zweiten Blick erkennen wir: Eigentlich ist es nicht ein Tauschgeschäft. Es ist Diebstahl.
Einen der besten Spieler der Liga für einen Hinterbänkler (Tim Bozon) und ein Talent (Petr Cajka) zu bekommen, ist eigentlich gar nicht möglich. Um es polemisch zu sagen: Servette hat Joël Vermin gestohlen.
Der Ausgangspunkt dieser verrückten Geschichte ist ein Streit zwischen Torhüter Luca Boltshauser und Joël Vermin. In den Emotionen des Tages entscheidet sich Lausannes eigenwilliger Manager Petr Svoboda im Juli dazu, ein Exempel zu statuieren und seine Autorität zu zelebrieren. Im Sinne: Geht bei uns nicht und Obacht Jungs, ich bin der Boss. Und was unterstreicht die Machtposition des Managers stärker als der «Rausschmiss» eines Stars?
Dans le cadre d’un échange de joueurs avec le Genève-Servette HC, le LHC est heureux d’accueillir les attaquants à licence suisse Tim Bozon (26 ans) et Petr Cajka (19 ans) dans ses rangs, tandis que Joël Vermin (28 ans) rejoint les Vernets.
— Lausanne Hockey Club (@lausannehc) September 15, 2020
➡️ https://t.co/A097f0gnHW pic.twitter.com/SlRl37T3HD
Es ist der Stil, der oft in Nordamerika gepflegt wird. Und dort in der Regel (aber auch nicht immer) funktioniert. Das Spielerreservoir ist viel grösser als bei uns und die «Obrigkeitsgläubigkeit» der Spieler sowieso. Jeder kann jeden Tag irgendwohin transferiert werden. Der «Fall Vermin» ist im Grunde nichts anderes als ein «Machkampf» zwischen General Manager und Starspieler, ein Tanz auf dem Parkett der Eitelkeiten. Das persönliche Ego wird wichtiger als nüchterne sportliche Überlegungen.
Was Lausannes grosser Zampano nicht realisiert: Luca Boltshauser und Joël Vermin haben die Sache längst aus der Welt geschafft. Es gibt gar keinen Handlungsbedarf mehr. Statt die Ordnung in der Kabine wieder herzustellen wird die Mannschaft durch das wochenlange Theater verunsichert. Und am Ende geschwächt: Tim Bozon und Petr Cajka können Joël Vermin nicht ersetzen.
Die mittel- und langfristigen Folgen dieses Transfers verändern die Landkarte des welschen Hockeys. Lausanne ist im Sommer 2019 nach dem Bezug des neuen Hockey-Tempels, einem Versailles des welschen Hockeys, drauf und dran, auf Kosten von Servette die Nummer 1 in der Westschweiz zu werden. Auch deshalb, weil in Genf das Warten auf ein neues Stadion noch länger dauern wird als das Warten auf den Rücktritt von Regierungsrat Pierre Maudet.
Und Sportchef Jan Alston hat nach dem Aufstieg von 2013 mit klugen Transfers Lausanne in ein Spitzenteam verwandelt (u.a. Tobias Stephan, Joël Vermin, Lukas Frick, Joël Genazzi, Christoph Bertschy, Ronalds Kenins). In Genf hingegen spitzt sich der Konflikt mit Chris McSorley zu und führt im Frühjahr 2020 tatsächlich zur Trennung.
Aber Lausanne ist nicht dazu in der Lage, diese formidable Ausgangsposition zu nutzen. Wieder einmal übernehmen ausländische Investoren die Macht. Sie feuern Jan Alston und installieren Petr Svoboda als Mann ihres Vertrauens. Und ohne Sensibilität für unsere Hockeykultur ist der ehemalige NHL-Star nun daran, Lausanne zu «demontieren.»
In Genf laufen die meisten Verträge noch zwei Jahre. Wir werden also in den nächsten zwei Jahren weiterhin das Servette von Chris McSorley sehen. Mit dem Trainer, den er ausgebildet, mit den Spielern, die er rekrutiert hat. Und nun ist mit WM-Silberheld Joël Vermin ein «Kaisertransfer» gelungen, der unter normalen Umständen gar nie möglich gewesen wäre.
Es ist ein Transfer, der das Selbstvertrauen der ganzen Organisation stärkt und zugleich den Lokalrivalen schwächt. Der Transfer von Joël Vermin verändert die Hockeylandkarte in der Westschweiz zumindest für die nächsten zwei Jahre. Ein paar Wochen haben genügt, um Servette auf Kosten von Lausanne wieder zur Nummer 1 im Welschland zu machen. Servette steht vor seinen zwei besten Jahren. Erst ab 2023 muss der neue Sportchef Marc Gautschi eine neue Mannschaft zusammenstellen. Fürs erste hat er als Sieger im «Vermin Theater» seine Position gefestigt.
Kehrt nun in Lausanne wenigstens Ruhe ein? Nein. Petr Svoboda bleibt Petr Svoboda. Nach dem Motto: «Ich bin der Boss und muss das der Welt jeden Tag beweisen. Ich kann nicht anders.» Es ist nicht die Frage ob, sondern nur wann er das nächste Wechseltheater inszeniert. Darum ist die Frage «Ist Lausanne zu dumm, um Meister zu werden» berechtigt. Aber wir können auch nicht ausschliessen, dass Servette in zwei Jahren die Rechnung für den Rausschmiss von Chris McSorley bezahlen muss.
Nach allem, was im Jahre 2020 in Lausanne und Genf gesehen und gehört haben, verstehen wir wieder besser, warum das welsche Hockey seit 1973 auf einen Meister wartet.
Aber bei Zaugg muss das ja wohl so sein.