Die Geschichte lehrt uns zwar, dass eine noch so grosse Krise höchst selten zu einem Umdenken führt. Es geht meistens nachher so weiter wie vorher. Als unsere Hockey-Unternehmen nur mit Hilfe staatlicher Unterstützung durch die Krise kamen, wurde viel von finanzieller Vernunft fabuliert und Besserung gelobt. Ja, sogar das Projekt einer Salärbegrenzung («Salary Fairplay») ist ausgearbeitet worden. Von einer konsequenten Umsetzung ist die Liga inzwischen wieder weiter entfernt als von einer Umwandlung in eine Europa-Division der NHL.
Dabei wäre eine Salärbegrenzung sehr einfach einzuführen. Dazu sind weder Juristen noch Reglemente noch Kontrollen noch Sanktionen erforderlich. Alles, was es braucht, sind Mut und Verstand. Den Verstand zu erkennen, dass ein Spieler zu teuer ist, und den Mut, diese Erkenntnis in die Tat umzusetzen.
Der «Fall Chris DiDomenico» ist der erste eines richtigen Stars, bei dem zwei Klubs den Verstand und den Mut hatten, «Nein» zu sagen, und den Verlust dieses Spielers bewusst in Kauf genommen haben. Und zwar nicht nur «Nein» zur gewünschten Vertragsdauer (diesen Fall hat es schon gegeben), sondern ganz konkret zur geforderten Lohnsumme.
Sportchef Christian Dubé offerierte Chris DiDomenico ziemlich genau 240'000 Franken netto (macht für den Klub Kosten von mehr als einer halben Million brutto) für eine Vertragsverlängerung. Zwei Jahre zuvor, noch vor der Viruskrise, hatte er den charismatischen Kanadier für mehr als 300'000 Franken netto von Langnau geholt.
Aber die Zeiten haben sich geändert. Und damit auch die finanziellen Möglichkeiten. Und auch Langnaus Management, wo einflussreiche Kreise den «verlorenen Sohn» gerne wieder begrüsst hätten, hatte Verstand und Mut, Gottéron nicht zu überbieten. Auch Langnau passte seine sportlichen Wünsche den neuen wirtschaftlichen Wirklichkeiten an.
Was in diesem «Fall DiDomenico» Sinn macht: Selbst ein sehr guter ausländischer Spieler kann auf dem Markt ersetzt werden. Sofern das sportliche Management auf gute internationale Beziehungen und ein entsprechendes Scouting-System zurückgreifen kann.
Komplizierter wird es bei aussergewöhnlichen Schweizer Spielern. Sie sind auf dem Markt nicht zu ersetzen. Womit wir bei der Grundidee einer vernünftigen Liga-Salärstruktur wären: grosse Saläre von über 500'000 Franken für das knappe Dutzend wirklich guter Schweizer und vernünftige Saläre unter 250'000 Franken für den Rest. Ausländer inklusive.
Warum ist es nicht möglich, das Lohntreiben einzudämmen? Ganz einfach: Weil immer jemand weder Mut noch Verstand hat, um «Nein» zu sagen. Das ist das Glück der Spieler, der Agenten – und der Fans. Mut und Verstand sind gut für die Buchhaltung, aber dämpfen den Unterhaltungswert erheblich.
Emotionen leiten nach wie vor viel zu oft das Handeln und Denken. Seit Anbeginn der Zeiten wissen wir: Erfolg lässt sich nicht kaufen. Seit Anbeginn der Zeiten wissen wir: Spieler kommen und gehen, Klubs bleiben bestehen. Seit Anbeginn der Zeiten wissen wir: Es ist nicht existenziell, einen Titel zu gewinnen. Wichtig ist, konkurrenzfähig zu sein. Ambri oder Gottéron haben Kultstatus. Obwohl beide noch nie Meister waren. Gut, vergessen die Sportmanager all diese Erkenntnisse immer wieder. Wir wollen ja gute Unterhaltung auf und neben dem Eis.
Die Agenten nützen schlau die Emotionen der Klubmanager aus. Statt um den tatsächlichen Wert eines Spielers geht es nur zu oft um Emotionen. Was denken bloss unsere Fans, wenn wir den oder den ziehen lassen? Nein, das dürfen wir nicht zulassen! Da müssen wir mit dem Lohn nachlegen! Da machen wir halt eine Ausnahme! Den können wir uns nicht leisten? Ach was, die Mehrkosten bringen wir wieder rein. Wir verkaufen ein paar Saisontickets mehr wegen dem!
Oder andersherum: Oh, diesen Spieler können wir haben! Cool! Oh, den müssen wir unbedingt haben! Ah, die Fans werden ihn lieben! Da müssen wir eine Ausnahme machen! Den können wir uns nicht leisten? Ach was, die Mehrkosten bringen wir wieder rein. Wir verkaufen ein paar Saisontickets mehr wegen dem! Und so verdient Chris DiDomenico weiterhin mehr als 300'000 Franken netto.
Das ist menschlich, nur allzu menschlich. Kommt dazu, dass die Sportchefs ja nicht ihr eigenes Geld ausgeben. Und wenn sie einen tollen Spieler halten oder verpflichten können, ernten sie den Ruhm – und ihre Arbeitgeber zahlen in jedem Fall die Rechnung. Typisch dafür: Die Sportchefs bekommen bei den meisten Klubs ein Budget, das sie nach Belieben einsetzen können.
Wenn der Sportchef im «Spielzeugladen» Spielermarkt sein Lieblingsspielzeug kauft und dann nicht mehr genug Geld für die übrigen Positionen bleibt – wen kümmert's? Man jammert dann halt über fehlende Breite im Kader und im Notfall wird ja das Budget sowieso nachgebessert. In Langnau und bei Gottéron haben die Verwaltungsräte ihre Verantwortung als oberstes Führungsorgan wahrgenommen und die Salärlimiten im Fall von Chris DiDomenico gesetzt und nicht einfach nur einen Budgetrahmen gesetzt.
Um die Löhne in den Griff zu bekommen, braucht es nicht nur Verstand und Mut. Dazu gehört auch Verkaufsgeschick. Ein Klub hat mehr zu bieten als nur den Zahltag. Wer es versteht, die Qualitäten eines Unternehmens einem Spieler zu verkaufen – die Lebensqualität für die Familie, die guten Schulen für die Kinder, die Chancen, die ein Klub für eine Ausbildung neben dem Eishockey bieten kann, die sportlichen Entwicklungsmöglichkeiten, die Infrastruktur –, kann viel, viel Geld sparen. Nicht nur bei Schweizer Spielern. Auch bei ausländischen Spielern.
Und da ist noch etwas: Jeder Klub kann nur 22 Mann aufs Matchblatt nehmen. Viel zu wenig wird berücksichtigt: Spieler sind junge Männer, die spielen wollen. Und nicht jeder kann mit 20 Minuten Eiszeit rechnen. Die Möglichkeit zu spielen, eine wichtige Rolle übernehmen und besser werden zu können, ist bei sehr vielen Spielern so wichtig wie der Lohn. Nur haben das noch nicht alle Sportmanager gemerkt. Obwohl die meisten von ihnen früher Spieler waren. Aber es ist menschlich, allzu menschlich, bei Verhandlungen die Abkürzung über den Lohn zu nehmen.
Immerhin: Gottéron und Langnau haben bei einem hochinteressanten Fall Verstand und Mut bewiesen. Eine Wende zum Guten in der Liga? Ja und Nein. Ja, weil es immer mehr Verwaltungsräte gibt, die ihre Manager nicht einfach machen lassen. Nein, weil es immer Klubs geben wird, die mehr Geld ausgeben als sie einnehmen und emotional und nicht rational gemanagt werden.
Solange Mäzene das Defizit diskret abdecken, nicht jammern und nicht nach staatlicher Hilfe rufen, ist dagegen nichts einzuwenden. Und Unvernunft gehört halt auch zum Reiz des Sportes. So können wir eben auch sagen: Gott sei Dank, stürmt Chris DiDomenico nächste Saison in Bern. Die Unterhaltung wird grossartig sein. Auf und sonst neben dem Eis.