Es ist eine dieser unheimlichen und doch wunderbaren Vollmondnächte, die einst selbst den gottesfürchtigen, streitbaren und wortgewaltigen Albert Bitzius ängstigten. Denn es ist auch die Nacht der «Huuri». So nannten die alten Emmentaler die Eulen («Käuze»). Sie balzen gerade um diese Winterszeit. Ihr schauerlicher Ruf «Huhu-Huhu-Huhu» ist noch vor Mitternacht zu vernehmen und lässt die Tapfersten der Tapferen gerade in solchen Vollmond-Nächten erschauern.
Wer an diesem Mittwochabend kurz vor Spielbeginn von Burgdorf her durchs Tal hinauffährt, sieht linkerhand über der Fansrüti den Vollmond am Himmel. Wolkenfetzen ziehen vorbei und verfärben sich im fahlen Licht des Nachtgestirns, als sei es ein Gemälde von Ernst Ludwig Kirchner. Die sensible Hockeyseele ahnt: Es wird ein Spiel, ein Derby, ein Drama, bei dem die Hockey-Götter und Zauberer die Hand im Spiel haben.
So ist es. Langnaus Trainer Rikard Franzén wird nach vollbrachter Tat gen Himmel schauen und sagen: «Heute hat uns der Hockey-Gott geholfen.» Wohl wahr. Aber die Langnauer verdienen sich dieses Glück. Sie rennen und kämpfen zäh, leidenschaftlich und unermüdlich für diesen Sieg in einem Spiel, das gegen sie zu laufen scheint (im Schlussdrittel liegen sie 1:2 und 2:3 zurück).
Nach sechs Niederlagen hintereinander mit einem Torverhältnis von 7:28 besiegen sie den SC Bern 4:3. Für Trainer Franzén der Lohn für den Mut seiner Spieler, für die Zuversicht, die sie trotz der deprimierenden Niederlagenserie bewahrt haben. «Wir haben viel über diese Partie gesprochen. Unser grosses Ziel war es, das Jahr mit einem Sieg abzuschliessen.»
Was der freundliche Schwede nicht sagt, nicht zu sagen braucht: Für besondere Motivation musste er nicht sorgen. Mit einem Sieg konnten die Emmentaler den SCB auf den letzten Platz verweisen. Nun feiert der grosse Rivale zum ersten Mal seit dem Wiederaufstieg (am «grünen Tisch») Silvester auf dem letzten Platz. Was weiter nicht schlimm ist: Der SCB wird auch am «grünen Tisch» vor dem Abstieg bewahrt. Es gibt im Frühling keine Relegation. In der aktuellen Verfassung wäre der SC Bern Abstiegskandidat Nummer 1.
So wird dieses Spiel für die Langnauer zur «Schlussfeier» des Hockeyjahres 2020. Bei jeder guten Schlussfeier tritt ein Zauberkünstler auf. So ist es auch jetzt. Den Siegestreffer zaubert Anthony Huguenin (29) aus dem Hut wie ein Zauberkünstler das Kaninchen. Die Vollmondnacht für den Magier. Er lenkt die gefühlvolle «Flanke» von Ben Maxwell 93 Sekunden vor Schluss direkt aus der Luft ins Netz zum 4:3. Darüber hinaus hat er zum 1:0 assistiert. Huguenins erste Skorerpunkte in dieser Saison. Er sagt: «Ja, das dürfte mein schönstes Tor sein.» Es sind ja auch noch nicht so viele: Es ist sein zehnter Treffer im Dress der SCL Tigers in bald vier Jahren.
Ende Saison läuft der Vertrag aus. Huguenin personifiziert die welsche Tugend: die mit Genialität veredelte Verspieltheit. Langnau ist die erste Hockey-Heimat in seiner langen Karriere, die ihn von La Chaux-de-Fonds aus über Rapperswil-Jona, Biel und Fribourg schliesslich im Laufe der Saison 2016/17 ins Emmental geführt hat. An den Ort seiner Bestimmung. «Ich würde gerne in Langnau bleiben. Auch meine Freundin lebt inzwischen hier.» Die Verlängerung des Arbeitsverhältnisses wird für seinen Agenten Gaëtan Voisard nur eine Formsache sein.
Dieser Gaëtan Voisard spielt für Langnau auch eine weniger gefreute Rolle. Am gleichen Abend weilt er nämlich in Davos oben am Spiel gegen Zug, um mit Raeto Raffainer die letzten Details für den Transfer von Julian Schmutz (26) zu diskutieren. «Ich glaube, es kommt gut», sagt der HCD-Sportchef auf Anfrage. Schmutz hat das 1:0 erzielt. Er ist Langnaus zweitbester Torschütze.
Rikard Franzén bedauert den bevorstehenden Abgang und rühmt den bissigen, dynamischen Stürmer. «Er geht in jedem Training und Spiel mit dem guten Beispiel voran. Aber so ist es halt in diesem Geschäft …» Wenn einer gehe, dann werde eben ein Platz frei für eines der jungen Talente.
Was beim SCB der Fall war. Weil ein paar Titanen wegen Corona-Infektionen oder Verletzungen fehlen (Scherwey, Heim, Thiry, Sciaroni, Henauer, Rüfenacht, Beat, Colin und Jeremy Gerber), kommt eine ganze Reihe von Talenten zum Debüt in der National League: Janis Elsener (23), Mika Burkhalter (19), Kyen Sopa (20), Santiago Näf (18) und Elite-Captain Finn Fuchs (19). Sie dürfen alle im Laufe des Spiels aufs Eis. Am längsten Elsener (11:51 Min.). Keiner steht bei einem Minustreffer auf dem Eis und Fuchs erreicht sogar eine Plus-Bilanz (+1).
Sind diese Absenzen eine Erklärung für die schmähliche Verbannung ans Tabellenende? Nein, bloss eine Ausrede. Auch die Langnauer müssen auf bewährte Kräfte verzichten (Diem, Glauser, Kuonen, Neukomm, Schilt).
Der einst so charismatische Captain Simon Moser hat diese Saison erst ein einziges Tor erzielt (am 10. Oktober gegen Lausanne). Wenn beim SCB hochdekorierte und hochbezahlte Titanen wie Simon Moser (−1), Dustin Jeffrey (−3), Vincent Praplan (−3), Calle Andersson (−2), Inti Pestoni (−3), Ted Brithén (−1) und Ramon Untersander (−3) gegen die zweitschwächste Offensive der Liga (die schwächste hat der SCB …) allesamt mit Minus-Bilanzen vom Eis müssen, dann hat die Krise tiefere Ursachen. Untersander, der WM-Silberheld von 2018, hat die miserabelste Plus/Minus-Bilanz aller 30 in dieser Saison eingesetzten SCB-Spieler (−10). Wahrlich, es ist nicht nötig, zu polemisieren. Die neutralen, objektiven Zahlen sind bereits polemisch.
Beim SCB ist die Sportabteilung inzwischen zur Folklore verkommen. Noch nie in der Geschichte ist ein Titelverteidiger durch anhaltende sportliche Misswirtschaft so gründlich ruiniert worden. Aus tiefem Respekt, den wir dem SCB auch in struben Zeiten entgegenbringen, wollen wir nicht rateburgern, was herauskommen wird, wenn diese sportliche Führung dereinst zehn (!) ausländische Spieler zu rekrutieren hat.
Tiefer kann der SCB nicht mehr sinken. Gemeint ist nicht der letzte Tabellenplatz. Sondern das gesamte Auftreten, Wesen und Wirken der sportlichen Führung und einer Mannschaft, die noch vor zwei Jahren die beste der Liga war. Was den bedauernswerten Not-Trainer Mario Kogler – ihn trifft am Zerfall der Leistungskultur wahrlich keine Schuld – zur Bemerkung veranlasst: «Wenigstens kann es nicht mehr schlimmer werden.»
Wo er recht hat, da hat er recht. Es kann beim SCB im neuen Jahr nur besser werden.
Aber Lüthi wird schon alles unternehmen, damit die Liga geschlossen wird und dies sicher nicht passieren kann. Allerdings werden die Berner Fans sicher keine Freude haben an einem SCB der regelmässig am Tabellenende herumkriecht. Wahrscheinlich ist die Zeit von Lüthi einfach abgelaufen, aber es wird noch dauern bis er das auch begreift…