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Medaille oder Desaster – eine Reise zu Finnland, eine Reise der Hoffnung

epa06738372 Mikael Granlund (L) of Finland in action against Connor Murphy (R) of the US during the IIHF World Championship group B ice hockey match between Finland and USA in Jyske Bank Boxen in Hern ...
Finden die Schweizer ein Mittel gegen Finnland?Bild: EPA/EPA
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Medaille oder Desaster – eine Reise zu Finnland, eine Reise der Hoffnung

Die Finnen spielen so spektakulär vorwärts wie seit Jahren nicht mehr. Der Sieg gegen die Schweiz wird im Viertelfinale erwartet – aber ein Sieg ist nach einem riskanten Stilwechsel durchaus nicht sicher.
15.05.2018, 17:1015.05.2018, 17:45
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So viel Selbstvertrauen muss sein. So viel Zuversicht ist nicht uneidgenössisch. Das «Operetten-Spiel» Schweiz gegen Frankreich mochte ich mir nicht antun. Drei Dinge sind an diesem Dienstag sicher: Unser Leben ist endlich, wir müssen Steuern bezahlen und wir besiegen Frankreich. Eine Niederlage gegen diese «Operetten-Franzosen» ist ganz einfach völlig unmöglich. Und so kommt es dann ja auch: Mit 5:1 haben sich die Schweizer fürs Viertelfinale gegen Finnland qualifiziert. Das Minimalziel ist erreicht.

«Gegen die Schweiz zu verlieren wäre eine Katastrophe.»
Mein finnischer Chronisten-Kollege

Also bin ich mit der dänischen Eisenbahn nach Herning gefahren. Es ist der perfekte Spielplan: Finnland spielt hier gegen die USA um den Gruppensieg. Der Sieger dieser Partie spielt im Viertelfinale gegen die Schweiz. Oder aus Sicht der finnischen Hockey-Öffentlichkeit: um ein Freilos fürs Halbfinale. Eine wunderbare Gelegenheit, unseren Viertelfinalgegner «im scharfen Schuss» zu beobachten und ein wenig mit den finnischen Hockeyfreunden zu plaudern.

Gegen die Schweiz das Viertelfinale verlieren – ein Desaster. «Nein», sagt mein finnischer Chronisten-Kollege. «Es wäre eine Katastrophe».

Ja, so ist es. Die Frage ist aber: Woher kommt dieser Optimismus? Nun, in Finnland herrscht Freude über einen taktischen Frühling. Die letzten Jahre haben die Finnen mit defensivem Hockey gelangweilt, das unter Nationaltrainer Kari Jalonen (heute SCB) perfektioniert worden ist. Aus einem aufregenden, unberechenbaren Spiel auf rutschiger Unterlage ist oft ein berechenbares, langweiliges Puckgeschiebe geworden. Taktisch hochklassig und meist erfolgreich. Aber eben: zu wenig fürs Gemüt. Wir kennen das ja in Bern.

Bern's Head coach Kari Jalonen looks his players, during a National League regular season game of the Swiss Championship between Geneve-Servette HC and SC Bern, at the ice stadium Les Vernets, in ...
Bern-Coach Kari Jalonen trainierte zuvor die finnische Nationalmannschaft.Bild: KEYSTONE

Aber Kari Jalonen ist ein unerbittlicher Perfektionist und macht so ziemlich jeden Spieler besser. Deshalb ist ihm das Defensivhockey in Finnland verziehen worden und deshalb verzeiht man es ihm in Bern.

Nationaltrainer Lauri Marjamäki – zuvor Jalonens Assistent – ist nach der letzten WM (1:4 im Halbfinale gegen Schweden, 3:5 im Bronze-Spiel gegen Russland) und dem olympischen Turnier (0:1 im Viertelfinale gegen Kanada) arg in die Kritik geraten. Schlimmer noch war das Hockey, das er spielen liess. Mindestens so defensiv und noch langweiliger als unter Kari Jalonen. Und auch noch erfolglos. Ihm hat man nicht verziehen.

epa05788529 Finland's head coach Lauri Marjamaki gestures during the Sweden Hockey Games match Sweden vs Finland at the Scandinavium Arena in Goteborg, Sweden, February 12, 2017. EPA/Bjoern Larss ...
Lauri Marjamäki ist in Finnland als Coach umstritten.Bild: EPA/TT NEWS AGENCY

Der jüngste finnische Nationaltrainer der Neuzeit ist nicht mehr so populär. Er hat gegen die Top-Teams der Welt in seiner zweijährigen Amtszeit vor dieser WM erst ein Spiel (gegen die USA) gewonnen. Nächste Saison übernimmt er Jokerit Helsinki und jetzt ist hier in Herning Wiedergutmachung angesagt. Resultatmässig und vor allem auch mit besserem, aktiverem, offensiverem, kreativerem Hockey.

Der Stilwechsel ist nicht ohne Risiko. Hier haben die Finnen die Spiele verloren, die sie hätten gewinnen müssen (gegen Dänemark und Deutschland) – und dafür die Partien gegen die Titanen spektakulär gewonnen. Gegen die Kanadier (5:1) und nun gegen die USA gleich 6:2.

In dieser letzten Partie um den Gruppensieg ist den Finnen das perfekte Spiel gelungen. Smart, blitzschnell in der Reaktion auf gegnerische Fehler, schon fast provozierend cool im Abschluss, gut gesteuert von enorm scheibensicheren Verteidigern – und abgesichert von Harri Sateri, einem Weltklassegoalie. Keine Chance für die Schweizer?

epa06738577 Sebastian Aho (R) of Finland celebrates after scoring a goal during the IIHF World Championship group B ice hockey match between Finland and USA in Jyske Bank Boxen in Herning, Denmark, 15 ...
Sebastian Aho (rechts) hat gegen die USA einen Hattrick erzielt.Bild: EPA/EPA

Die Sache ist nicht hoffnungslos. Meine Zugfahrt nach Herning war auch eine Reise der Hoffnung. Lauri Marjamäkis Stilwechsel, sozusagen «erzwungen» durch die öffentliche Hockeymeinung in Finnland, ist riskant und noch nicht abgeschlossen. Die wild, blind und unkonzentriert stürmenden Amerikaner waren der perfekte Gegner. Zumal ihr Torhüter miserabel war. Das 6:2 ein logisches Resultat. So einfach wird es gegen die Schweiz nicht sein.

Haben die Schweizer also eine Chance, zum ersten Mal seit 1988, seit dem Eröffnungsspiel des olympischen Turniers von Calgary unter Simon Schenk (2:1, Siegestreffer durch Köbi Kölliker), die Finnen zu bodigen? Ja.

Erstens haben die Schweizer auf dem Papier ein mindestens so gutes Team mit ebenso viel NHL-Power.

Zweitens sind die Finnen defensiv bei weitem nicht so stabil wie etwa die Schweden. Mit dem Tempo, der Wucht und dem Mut, den die Schweizer beispielsweise gegen Russland gezeigt haben, können sie diesen Gegner ins Wanken bringen.

Die Highlights des Schweizer Sieges gegen Frankreich.Video: YouTube/IIHF Worlds 2018

Drittens unterschätzen die Finnen die Schweizer. Das scheint auf den ersten Blick nicht so. Lauri Marjamäki, ein charismatischer Kommunikator, mehr Lateiner als Finne, nimmt sich Zeit, um mit dem angereisten helvetischen Chronisten ein wenig zu plaudern. 

Helvetischer Chronist: Haben Sie mit dem Sieg gegen die USA ein Freilos fürs Halbfinale gewonnen?
Lauri Marjamäki: Wie bitte? 
Helvetischer Chronist: Ein Freilos fürs Halbfinale. 
Lauri Marjamäki: Aha. Nein, nein, ganz und gar nicht. Die Schweizer haben ein so gutes Team und Leonardo Genoni ist ein so guter Torhüter …
Helvetischer Chronist: … er ist nur die Nummer zwei …
Lauri Marjamäki: So? Wer ist die Nummer eins? 
Helvetischer Chronist: Reto Berra.
Lauri Marjamäki: Aha. Nein, wir unterschätzen die Schweiz ganz sicher nicht. Ich mag auch Coach Patrick Fischer und seinen Stil.

epa06720161 Finland's head coach Lauri Marjamaki during the IIHF World Championship group B ice hockey match between Finland and Norway in Jyske Bank Boxen in Herning, Denmark, 08 May 2018. EPA/C ...
Lauri Marjamäki will die Schweizer einfach nicht unterschätzen. Oder etwa doch?Bild: EPA/EPA

So geht es noch ein wenig hin und her und Lauri Marjamäki tut alles, um nicht etwa den Eindruck zu erwecken, er unterschätze die Schweizer. Durch und durch ein Profi. Schliesslich hat er lange genug mit Kari Jalonen gearbeitet. Ich höre seine Worte wohl, allein mir fehlt der Glaube.

Ich bleibe dabei: Die ganz grosse Chance ist und bleibt, dass die Finnen uns unterschätzen werden. Es ist in Finnland so unvorstellbar, gegen uns zu scheitern, wie für uns eine Niederlage gegen Frankreich unvorstellbar war.

Aber möglich wird die Sensation nur, wenn die Schweizer die grosse Schwäche unter Patrick Fischer endlich überwinden: die zu hohe Fehlerquote.

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39 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Paul Badman
15.05.2018 17:50registriert November 2015
Die Schweizer brauchen nur einen Schiedsrichter, der nicht bis sechs zählen kann.
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Madmessie
15.05.2018 17:34registriert Februar 2016
Naja, dieser Sieg gegen die USA sagt nicht viel aus. Der Goalie der Amis hat anscheinend einen rabenschwarzen Tag eingezogen, wenn ich mir die Zusammenfassung anschaue. Für mich sieht er praktisch bei jedem Treffer schlecht aus. Vielleicht versuche ich aber nur die Finnen schwach zu reden ;-)
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Lindros88
15.05.2018 19:20registriert Februar 2014
Harri Sateri ist ein Weltklassegoalie?? Vermutlich ist auch genau deshalb bei den Florida Panthers nur die Nummer 3 🤦🏼‍♂️
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Yannick Weber (35) ist ein weitgereister Haudegen aus dem Bernbiet. Erfahren aus 14 Jahren Nordamerika, mehr als 500 NHL-Spielen und Auftritten auf der ganz grossen Bühne: 2017 verliert er an der Seite von Roman Josi mit Nashville den Stanley Cup-Final.

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