Die Langnauer haben ihre sportliche Seele dem Kommerz verkauft. Geld und Geist im Sport des 21. Jahrhunderts. Mögen die Hockeygötter gnädig sein und dafür sorgen, dass am Ende die verschenkten drei Punkte gegen den SCB nicht die Playoffs kosten.
Das mag nun gar polemisch klingen. Aber es kommt der bitteren Wahrheit nahe.
Die Verlegung des Heimspiels ins Stade de Suisse hat rein kommerzielle Gründe. Am 14. Januar 2007 hatten die Langnauer schon einmal ihre Heimpartie gegen den SCB ins gleiche Fussballstadion verlegt. 30'076 Fans kamen. Absoluter Schweizer Rekord.
Die SCL Tigers verloren damals 2:5 (0:0, 1:3, 1:2). Aber das spielte keine Rolle. Die Playoffs waren ausser Reichweite. Es ging um den zusätzlichen Gewinn von über 250'000 Franken und vor allem um den Ruhm des damaligen Präsidenten Hans Grunder. Er wollte unbedingt in den Nationalrat und brauchte Publizität.
Das Freiluftspiel, das erste dieser Art in unserem Hockey, brachte dem streitbaren späteren Gründer der BDP im Bernbiet wohl die zusätzlichen Stimmen, die er im Herbst 2007 für die Wahl in den Nationalrat brauchte. Der «Blick» schrieb, Grunder habe in einem Tag im Bernbiet mehr bewegt als der damalige Berner Stadtpräsident Alexander Tschäppät in zwei Jahren.
Um Politik ist es nun 12 Jahre später nicht mehr gegangen. Nur um die Kohle. Die Kapazität war geringer. 26'000 Tickets lagen zum Verkauf bereit. Nur 20'672 wurden gekauft. Der Reiz des Einmaligen gab es nicht mehr. «Wir machen trotzdem einen kleinen Gewinn» sagt Präsident Peter Jakob. Er rechnet mit ungefähr 100'000 Franken Mehreinnahmen gegenüber einem Spiel im heimischen Ilfis-Tempel. Der Gesamtgewinn wird mit den Besitzern des Stade de Suisse geteilt, die im Gegenzug die Infrastruktur zur Verfügung gestellt haben. Auch bei einem Verlust hätte man halbe-halbe gemacht.
Aber warum die Seele verkauft? Nun, so ein Hockey-Freiluftspiel ist mehr Jahrmarkt als Sport. Was da draussen auf dem Eis vor sich geht, sieht niemand so richtig. Deshalb fehlen die aufs Spiel bezogenen Emotionen. Das «Ahhh» und «Ohhh» bei vergebenen Chancen und anderen aufregenden Szenen. Der Druck auf die Schiedsrichter.
Das Geschehen auf dem Eis rückt in den Hintergrund. Eine Hockey-Chilbi im Fussballstadion.
Die SCL Tigers gewinnen gegen den SCB nur dann, wenn jeder hundertprozentig bei der Sache ist. Wenn sie vom eigenen Publikum getragen oder von den «feindlichen» Fans aufgestachelt werden. Wenn sie sich nicht von äusseren Umständen ablenken lassen. Konzentrationsfehler können sie sich gegen diesen nominell klar besseren, routinierteren Gegner nicht leisten.
Wenn die Langnauer des schnöden Mammons willen vor den Toren der Stadt Bern ein Spektakel mit allerlei Aufregungen und Ablenkungen inszenieren, wenn sie dafür freiwillig ihren Heimvorteil im eigenen Stadion hergeben, in welchem der SCB höchst ungern antritt – dann verkaufen sie ihre sportliche Seele. Punkt.
Eine provokative Analyse, die übrigens unmittelbar nach der Partie auch von einem anerkannten, jeder Polemik abholden Fachmann vor der Kamera des Kult-Lokalsenders «TeleBärn» vertreten wurde.
Das war natürlich auch schon 2007 so. Aber damals spielte eben der Sport keine Rolle. Die SCL Tigers waren nicht playofffähig. Eine Niederlage mehr oder weniger kümmerte niemanden. Inzwischen spielt der Sport eine zentrale Rolle. Langnau ist playofffähig. Jeder Punkt zählt.
Die Chilbi-Partie ging zu Beginn des Schlussdrittels verloren, als die fahrigen, unkonzentrierten Langnauer – was unter Heinz Ehlers höchst selten ist – «Chilbi-Hockey» spielten und in Überzahl das 0:1 kassierten. Damit war die Partie bereits gelaufen. Unter den speziellen Umständen dieser Partie war eine heftige Reaktion nicht mehr möglich.
Also ging die Frage an den Trainer: Hat Langnau mit dieser Hockey-Chilbi die sportliche Seele verkauft? Heinz Ehlers konnte nicht zu einer Aussage provoziert werden, die seinen Chefs ganz und gar nicht gefallen hätte. Er verzog das Gesicht ganz leicht, als hätte er Zahnweh, und liess sich immerhin die Zustimmung zur Behauptung entlocken, dass seine Mannschaft nicht «Heinz-Ehlers-Hockey» gespielt habe.
«Heinz-Ehlers-Hockey» ist, wenn alle hundertprozentig bei der Sache sind. Und das war bei diesem 1:4 gegen den SCB ganz und gar nicht der Fall.
Und nun gibt es noch diese Geschichte mit den Haaren des «Rockstars». Torhüter-Titan Damiano Ciaccio, auf dessen Schultern nach dem Ausfall von Ivars Punnenovs die ganze Last des Abwehrens der feindlichen Pucks liegt, hatte die längsten Haare aller helvetischen Hockeyprofis. Wenn er in seine an eine Ritterausrüstung mahnende Ausrüstung stieg und den Helm über den Kopf stülpte, band er seine Haare hinten zu einem «Bürzi» (Haarknoten) zusammen. Ähnlich wie einst die feschen Töchter Gotthelfs, wenn sie strenge Arbeit in Haus und Hof zu verrichten hatten.
Als er nach dem «Zirkusspiel» den Chronisten Rede und Antwort steht, fällt auf, dass seine Haare kurz geschoren sind. «Ja, ich habe die Haare geschnitten» gibt er zu. Hat es die Mutter oder gar die Freundin befohlen? «Nein, nein, ich habe das selbst entschieden.» Lange Haare seien einfach nicht bequem und er habe zu sehr wie ein Rockstar ausgesehen.
Nun fällt auf: Mit der Rockstar-Frisur hatte er diese Saison eine durchschnittliche Fangquote von 91,88 Prozent erreicht. Und jetzt wehrte er kurzhaarig im «Tatzen-Derby» bloss 88,00 Prozent der Pucks ab. Das war für die überlegenen Langnauer (36:25 Torschüsse!) fatal.
Ja, es schien fast ein wenig wie verhext. Eine so schwache Fangquote hatten die Torhüter der SCL Tigers diese Saison in den drei vorangegangenen Partien gegen den SCB noch nie.
Und jetzt bloss 88,00 Prozent für Damiano Ciaccio! Obwohl er sogar einen Penalty abgewehrt hatte! Mag ja sein, dass seine unkonzentrierten Vorderleute ihm keine grosse Hilfe waren. Aber irgendwie war die Magie weg.
Während wir über das Spiel fachsimpeln, macht ein welscher Chronist auf eine biblische Geschichte aus dem Buch der Richter aufmerksam. Auf die Geschichte mit dem Titanen Samson.
Hochinteressant! Darauf wäre ich nicht gekommen. Die Geschichte geht so: Als ein Auserwählter Gottes blieb Samson unbezwingbar, solange er sein langes Haupthaar ungeschoren ließ. Aber als er dieses Geheimnis seiner Frau Delila verriet, die es an seine Feinde weitergab, wurde er gefangen genommen und geschoren. Erst als sein Haar wieder nachgewachsen war, erlangte er noch einmal seine übernatürliche Kraft.
Damiano Ciaccio wie Samson? Mit geschorenem Haupthaar nicht mehr unbezwingbar?
Gemach, gemach. Wir wollen nicht übertreiben. Aber jetzt, wo im Drama um die Playoff-Qualifikation jedes Detail zählt, sollten wir auch die «weichen» Faktoren, die Magie nicht gänzlich ausser Acht lassen. Damiano Caccio hat die Samson-Geschichte mit Schmunzeln zur Kenntnis genommen.
Mit meinem welschen Chronisten-Kollegen habe ich dann nachgerechnet, ob Damiano Ciaccios Haare während der Qualifikation noch einmal auf Samson-Rockstar-Länge nachwachsen können. Keine Chance. Pro Monat wachsen Haare rund einen Zentimeter.
Damiano Ciaccio und seine Langnauer müssen die Playoffs ohne Hilfe der Magie erreichen.
Es ist an der Zeit, dass Trainer Heinz Ehlers nach dem Zirkus-Spiel nun die Schraube sofort wieder ganz, ganz fest anzieht.