Erfahrung macht klug. ZSC-Sportchef Sven Leuenberger wehrt sich immer wieder mit Nachdruck gegen die Einschätzung, seine Mannschaft sei die talentierteste der Liga und man dürfe Dominanz und Platz 1 erwarten.
Er gibt jeweils zu bedenken, dass Talent allein keine Meistermannschaft mache. Allein die Definition des Begriffes «Talent» gibt ihm recht. Talent steht für Begabung, unabhängig davon, ob sie sich bereits durch besondere Leistung manifestiert hat.
Tatsächlich hat sich das immense Talent der ZSC Lions mit 16 helvetischen Nationalspielern im Herbst 2018 noch nicht in besonderen Leistungen manifestiert. Inzwischen haben die Zürcher schon dreimal gegen die SCL Tigers verloren. Im Cup (3:5) und nun am Dienstagabend bereits zum zweiten Mal in der Meisterschaft 1:4. Gemessen am eingesetzten Geld und am Talent sind drei Niederlagen gegen die Emmentaler eigentlich ein unhaltbarer Zustand.
Noch bleibt Polemik um die Position des Trainers aus. Dabei gäbe es durchaus Grund für ein bisschen Aufregung. Die ZSC Lions stehen mit einer noch talentierteren Mannschaft nach 14 Runden weniger gut da als vor einem Jahr unter dem gescheiterten Hans Wallson. Um den Verdacht billiger Polemik zu entkräften, hier ein Blick auf die Zahlen:
Der neue Trainer Serge Aubin hat zwei Vorteile: Erstens hat er, anders als sein gefeuerter Vorgänger Hans Wallson, die Kabine noch nicht verloren. Diesen Ausdruck verwenden die Nordamerikaner dann, wenn der Trainer seine Spieler nicht mehr erreicht. Sein schwedischer Vorgänger scheiterte ja nicht nur an den Resultaten. Er hätte auch eine neue sportliche Philosophie durchsetzen sollen.
Wie sich rückblickend zeigt: ein gut gemeinter Unsinn, geboren in einer Zeit, als es den Zürchern mit zwei Titeln und einem Final in vier Jahren viel zu gut ging. Der schwedische Hockeygelehrte, der alles besser wusste, verlor beim Versuch, den Unwissenden das Hockey-Evangelium zu bringen, zu viel Energie und Akzeptanz.
Unter Sportchef Sven Leuenberger ist ein gesunder Pragmatismus zurückgekehrt: es geht nur darum, erfolgreich zu sein. Und nicht mehr um eine neue «Hockey-Heilslehre». Und zweitens hat Serge Aubin den Vorteil, dass die Zürcher aus Erfahrung wissen, dass ein mässiger Herbst noch lange kein Grund zur Sorge ist. Die ZSC Lions haben 2012 und 2018 den Titel vom 7. Platz aus erobert. 2012 war nicht einmal eine Trainerentlassung notwendig.
Flüeler, Karrer, Marti, Bachofner und Miranda - das macht fünf 🦁 im ersten Nati-Aufgebot des Jahres 👍🏻 https://t.co/PWpIeV4rUD
— ZSC Lions (@zsclions) 31. Oktober 2018
Keine andere Mannschaft ist so schwierig zu coachen wie ein Titan, der nicht darauf angewiesen ist, das Publikum im Herbst zu unterhalten, weil ein Mäzen am Ende des Tages das Defizit bezahlt. Die Stars wissen, dass es reicht, im Frühjahr parat zu sein. Der Herbst ist eine Zeit des Warmlaufens und der aktiven Erholung.
Diese Haltung hat in Lugano und in Zürich schon so manchen Trainer zur Verzweiflung und um den Job gebracht. Die ZSC Lions stecken jetzt nur deshalb nicht in einer echten Krise, weil vermeintlichen «Hinterbänkler» wie Raphael Prassl (20), Marco Miranda (20) oder Jérome Bachofner (22) Energie ins Team tragen.
Bachofner ist mit bloss 12:41 Minuten Eiszeit pro Spiel ein «Blitz-Topskorer». Jeder der elf anderen Team-Topskorer der Liga hat mehr Eiszeit. Andrew Ebbett beim SCB sogar 19:57 Minuten. Bachofner und Miranda sind nun von Nationaltrainer Patrick Fischer mit ihren ersten Aufgeboten zu Länderspielen belohnt worden.
Erfahrung macht klug. Deshalb lassen die ZSC Lions ihren Trainer Serge Aubin noch in verhältnismässiger Ruhe arbeiten. Aber diese Klugheit aus Erfahrung sollte den Kanadier auch beunruhigen. Er ist noch weit davon entfernt, eine Autorität wie einst Bob Hartley oder Marc Crawford zu sein. Seine Chefs wissen um die wundersame Wirkung einer Trainerentlassung zum richtigen Zeitpunkt.