Erst grosse, schöne Geschichten hauchen dem Cup Leben ein. Der Wettbewerb hat im Eishockey – im Gegensatz zum Fussball – zu wenig Tradition, um mit gewöhnlichen Partien Bedeutung zu erlangen.
Die Rapperswil-Jona Lakers haben dem auf die Saison 2014/15 wieder eingeführten Cup eine Identität gegeben – und der Cup den Lakers.
Der SC Bern, die ZSC Lions und Kloten waren gewöhnliche Cup-Sieger. Wir haben den Cup gewonnen – na und? Diese Hockeyunternehmen rockten als mehrfache Meister im Playoff-Zeitalter sportlich schon ganz anders. Der Cup blieb eine nette Veranstaltung ohne Ausstrahlung über die eigenen Fankreise hinaus.
Erst die Lakers haben dem Cup eine Identität gegeben. Indem sie als Klub aus der zweithöchsten Liga, also als echter David, die Goliaths aufs Kreuz legten.
Letzte Saison auf dem Weg ins Finale Zug und Lugano und im Finale schliesslich den HC Davos. Die Erfolge im Cup waren die Initialzündung für die Wiederauferstehung der Lakers, die im letzten Frühjahr in der Rückkehr in die NL mündete.
Diese Saison hat der Aufsteiger aus den Cup-Erfolgen die Kraft und die Energie gewonnen, die ihn vor dem inneren Zusammenbruch bewahrt haben. Wir verlieren fleissig und sind hoffnungslose Tabellenletzte – na und? Wir haben den Cup! Im Halbfinale gelingt sogar ein Sieg über das Saison-Überraschungsteam Langnau.
Und nun also das Finale gegen den EV Zug. Auf den ersten Blick ist es für die Zuger ja «nur» der Cup. «Nur» ein Spiel. Aber auf den zweiten Blick erkennen wir: Es ist mehr. Viel mehr. Im Rückblick werden wir erkennen, dass dieser Cup-Final 2019 unsere Hockey-Landkarte verändert, dass eine neue Ära begonnen hat.
Die Zuger haben ihren ersten Titel seit 1998 auf so überzeugende, ja gnadenlose Art und Weise geholt, dass dieser Cup-Final wirkt wie die Morgendämmerung einer neuen, grossen Zeit. Einer neuen Zeit mit Zug als Titan, der regelmässig Meisterschaften gewinnt und den SC Bern oder die ZSC Lions hinter sich lässt.
Wow, stimmungsmässig gaben sowohl die Fans des Cupsiegers @official_EVZ als auch das rote Heimpublikum der @lakers_1945 alles 😍 Einige Impressionen vom Cupfinal 🏆👇🏼#MySportsCH #HomeofSports #SIHC pic.twitter.com/S0TeXnAWc8
— MySportsCH (@MySports_CH) 3. Februar 2019
Eine neue Zeit? Tatsächlich? Bloss wegen dieses sonntäglichen Hockeyspektakels? Ist das nicht masslos übertrieben? Der Gegner war doch bloss der Tabellenletzte, der in der laufenden Meisterschaft 55 Punkte weniger auf dem Konto hat und froh sein muss, wenn es am Ende der Saison gelingt, dem Abstieg zu entrinnen. Dieser Sieg kann doch bei Lichte besehen nicht viel mehr als die Erfüllung einer Pflicht sein. Oder etwa nicht?
Eben nicht. All die Statistiken dieser Saison, die Zug vor diesem Cup-Final zum himmelhohen Favoriten gemacht hatten, zählten im Finale nicht mehr.
Die Lakers, die vermeintlichen Aussenseiter, waren auf eine ganz besondere Art Titanen. Eine verschworene Gruppe auf einer Mission. Mit dem Cupsieg vor einem Jahr hatte sich der Aufsteiger eine wundersame, bunte Parallelwelt zum tristen Alltag der Meisterschaft erschaffen.
Nun sollte dieses Cup-Märchen seine Fortsetzung finden. Mit einer Titelverteidigung gegen Zug auf eigenem Eis. In sechs Minuten waren alle Tickets für diesen Final verkauft. Und am Freitag hatten die Lakers in der Qualifikation, sozusagen als Warm-Up, die ZSC Lions, den Schweizer Meister, 4:1 besiegt.
Aber Zug war eine Nummer zu gross. Und das sollte für die Konkurrenz im Hinblick auf die Playoffs und auf die kommenden Meisterschaften eine Warnung sein.
Die Zuger haben diesen Titel mit ihrem besten Spiel der Saison gewonnen. Es war nicht ein Spektakel-Sieg für die Tribüne. Es war ein logischer, zwingender Sieg. Wie auf dem taktischen Reisbrett entworfen. Auf fremden Eis, in einer bis auf den letzten Platz gefüllten Arena gegen eine Mannschaft, die mit der Energie aus der Begeisterung ihrer Anhänger aufgeladen war.
Vor einem Jahr ist hier unter diesen Umständen der damals noch nicht marode HC Davos im Finale mit 7:2 vom Eis gefegt worden. Im Rückblick erkennen wir, dass diese Cup-Finalniederlage der Anfang vom Ende einer ruhmreichen, bis ins letzte Jahrhundert reichende und mit sechs Titeln geschmückte Ära war: der Ära des HC Davos unter Arno Del Curto.
Zum ersten Mal seit dem letzten Titel von 1998 waren die Zuger dazu in der Lage, ein Spiel zu gewinnen, das sie gewinnen mussten. Eine Chance zu nützen, die es nur in diesem einen Spiel gab. Und sie taten es mit ruhiger, beinahe provozierender Kaltblütigkeit und mit einem Selbstvertrauen, das den Gegner irritierte.
Zugs Klasse und taktischer Verstand siegte über die Emotionen, die Energie und den Mut des Aussenseiters. Deshalb ist dieser Cup-Sieg wie ein Vorbote für eine neue, grosse Zeit. Die seit dem letzten Titel von 1998 andauernde Zuger Hockey-Folklore, mit Spektakel zwischen September und März und Scheitern in den Playoffs, wenn die wahren harten Männer spielen, ist beendet.
Das Spiel war übrigens bereits nach 3 Minuten und 15 Sekunden entschieden. Torhüter Sandro Aeschlimann verhinderte mit einer grandiosen Reflexparade das 1:0 für die Lakers: Kurz darauf nützten seine Vorderleute das erste Powerplay eiskalt nach nur 9 Sekunden zum 1:0. Dieses Powerplay war erst noch das Produkt eines Schiedsrichter-Fehlentscheides. Es war der Stich ins Herz des Cup-Titanen. Das Ende der Cup-Romantik. Der Einsturz der Parallelwelt der tapferen Lakers. Sie sind die vergessenen Helden dieses Finals: sie gaben selbst nach dem 0:3 nicht auf. Sie kämpften auch mit gebrochenem Cup-Herzen leidenschaftlich weiter bis weit ins Schlussdrittel hinein und sie wurden mit einer Stimmung in der Arena belohnt wie noch selten ein klarer Verlierer in einem wichtigen Spiel.
Nach 21 Jahren wissen die Zuger endlich wieder, wie man Titel gewinnt. Ironie der Geschichte: nicht Tobias Stephan stand im Tor. Sondern sein Ersatz, der Emmentaler Sandro Aeschlimann, nächste Saison beim HC Davos. Mit einer fabelhaften Abwehrquote von 96,15 Prozent.
Tobias Stephan, ab nächster Saison in Lausanne, ist dem Makel, er könne «nichts gewinnen», also nach wie vor nicht losgeworden. Aber vielleicht haben wir hier den Anfang einer ganz anderen Geschichte: Es ist auch möglich, dass Tobias Stephan durch die verletzungsbedingte Pause genau jene psychische und physische Energie gespart hat, die es ihm nun ermöglichen wird, in den Playoffs die Zuger zum Meistertitel zu hexen. Zum ersten «Double» der Geschichte.
Für die tapferen Lakers heisst es nach dem Zusammenbruch ihrer Cup-Parallelwelt: willkommen in der Wirklichkeit des Abstiegskampfes. Sie brauchen eine neue Identität.
Und der Cup braucht ein neues Märchen.