Sieben Pleiten in Serie in der Swiss League? Kein Problem. Kein Grund zur Aufregung. Trainer André Rötheli ist nach dem 2:5 gegen Olten die Ruhe selbst. Freundlich erklärt er den Chronisten die logischen Gründe für diese kleine Baisse. Alles nur eine Frage der Zeit. Die Mannschaft mache einen Entwicklungsprozess durch und werde gestärkt daraus hervorgehen. Und klar, die jungen Spieler machen halt noch Fehler. Er betont, das soll aber nicht etwa eine Ausrede sein.
Wer ihm so zuhört, ist beeindruckt. Er ist ja eine grosse Persönlichkeit. Als Spieler Meister mit Zug, dem SCB und Lugano. Nun hat er als Trainer nach dem Abstieg die schier unlösbare Aufgabe, sich mit einer jungen, unerfahrenen Mannschaft in der zweithöchsten Liga zurechtzufinden. Wahrlich, das braucht seine Zeit. Was sind schon sieben Niederlagen hintereinander im Hinblick auf den langfristigen Lern- und Entwicklungsprozess? Nichts.
Der Chronist, der eigentlich ein wenig polemisieren wollte, schämt sich. Welches Unrecht wäre es, André Rötheli zu kritisieren! Oder gar sarkastisch zu werden!
Oder sollte er doch polemisieren? Wie ist das eigentlich mit dieser jungen Mannschaft? Lassen wir die Polemik. Nur Fakten. Nicht als Fakten. So steht es um die Erfahrung der Mannschaft, die soeben gegen den EHC Olten chancenlos war und 2:5 verloren hat.
Auf Torhüter Andrin Seiffert trifft die Einschätzung «unerfahren» zu. Er hat noch keine 20 Partien in der Swiss League bestritten. Aber alle sind sich einig: Für die Niederlage gegen Olten ist der Held der Cup-Sensation gegen Biel (4:3-Sieg nach 0:3-Rückstand) sicher nicht verantwortlich.
Also sieht der Chronist nach, wie es eigentlich um den Faktor Erfahrung bei den Vordermännern steht. Und staunt. Hier eine Auswahl. Zum besseren Verständnis nennen wir die höchste Liga nach alter Väter Sitte «NLA» und die zweithöchste «NLB»:
Unerfahren? Nein, das kann es nun wahrlich nicht sein. André Rötheli hat eine der routiniertesten Mannschaften der zweithöchsten Liga zur Verfügung. Die Durchschnittsalter:
Wirklich jung ist das Team der EVZ Academy (19,76 Jahre). Die Zuger haben drei Punkte mehr als die Klotener.
Oder sind die armen Klotener vielleicht zu klein oder zu leicht für die gewaltige Herausforderung der zweithöchsten Liga? Werden sie herumgeschubst? Nein. Sie haben im Schnitt die zweitgrössten und die zweitschwersten Spieler der Liga.
Der neutrale Chronist ist nun einigermassen verwirrt. Die Mannschaft des EHC Kloten ist eine der erfahrensten der Liga, die Spieler sind kräftig, wehrhaft, überdurchschnittlich gross und schwer.
Oder ist es vielleicht so, dass sich das Publikum von der Mannschaft abgewandt und die Unterstützung nach dem Abstieg eingestellt hat? Nein, das kann es auch nicht sein. Mit 4376 Fans hat der EHC Kloten den höchsten Zuschauerschnitt der Liga. Und tatsächlich: Die Fans stehen auch gegen Olten hinter ihrer Mannschaft. Sie haben mit ihren Anfeuerungsgesängen die Spieler durch den ganzen Match getragen. Mehr geht nicht. Bessere Fans gibt es nicht.
Aber sieben Niederlagen in Serie! In der Tabelle nach zehn Partien mit neun Punkten auf dem 8. Platz. Was ist da eigentlich los? Dieser EHC Kloten ist doch eine der traditionsreichsten und besten Hockeyfirmen im Land. Oben am Dach hängen die Banner, die von Heldentaten künden: Meister 1967, 1993, 1994, 1995 und 1996, Cupsieger 2017.
Diese Arena atmet Geschichte und Ruhm. Diese Arena ist einer der Erinnerungs- und Andachtsorte unseres Hockeys. Es riecht unten in den Katakomben noch immer so wie in den ruhmreichen, meisterlichen Zeiten. An den Wänden klebt der Geruch von Schweiss. Freude, Enttäuschung, Wut: Hier sind über die Jahre Dramen und Heldengeschichten geschrieben worden. Sie füllen den Inhalt von so manchem Leben und so manchem Portemonnaie. Auch nach dem Abstieg gilt: Wer in diesem Hockeytempel auftreten darf, wer in den Monturen, die an Ritterrüstungen mahnen, durch diese Gänge schreiten darf, wer diesen Dress tragen darf, muss stolz sein. Kann Niederlagen nicht akzeptieren. Die Geschichte verpflichtet.
Und was hat der neutrale Beobachter gesehen? Tatsächlich Spieler, die nie aufgegeben, die hart gearbeitet haben. Diese Mannschaft lebt. Und warum verliert sie doch? Zum siebten Mal hintereinander in der Meisterschaft?
Weil sie Hockey spielt wie vor 40 Jahren. Struktur, Ordnung im Spiel? Eine erkennbare Linie? Eine klare Aufgabenverteilung, bei der jeder weiss, was er zu tun hat? Nein. Es ist ein wildes, begeisterndes Spektakel, befreit von der Zwangsjacke der Taktik. Angriffsauslösungen als sei ein Strickmuster aus «Meyers Modeblatt» oder ein Gemälde von Pablo Picasso die Vorlage. Das Spiel des EHC Kloten mahnt irgendwie an ein Handballteam, das auf offene Manndeckung umschaltet, um doch noch eine Entscheidung zu erzwingen.
Wer den EHC Kloten in dieser Saison nicht gesehen hat, verpasst eine wunderbare Reise zurück in die Zeit, als Eishockey einfach ein Spiel war und jeder dem Puck und dem Gegenspieler hinterherrannte. Leidenschaftlich, mutig, freudig.
Der Überraschungseffekt dieses wilden Stils dürfte für eine Mannschaft, die sich gewohnt ist, in geordneten Bahnen zu spielen, erheblich sein. Das mag eine Erklärung sein für die überraschende Niederlage des NL-Tabellenführers Biel im Cupspiel.
Aber im Liga-Alltag braucht es halt schon ein Mindestmass an Ordnung, Taktik, System. Gegen die Ticino Rockets, den nächsten Gegner, könnte es dann doch reichen: Die «Raketen» sind jünger, unerfahrener, kleiner, leichter und haben gar keinen Ausländer. Aber gleich viele Punkte.
Der EHC Kloten ist eine glückliche Insel der letzten wahren Hockey-Romantiker. Sportchef Felix Hollenstein steht in Treue fest zu Trainer André Rötheli, seinem Freund. Er sieht keinen Grund zur Besorgnis. Auch er spricht leise und freundlich. Und verspricht, dass das Engagement eines zusätzlichen ausländischen Feldspielers schon ein Thema sei. Alle anderen haben ja zwei.
Der neutrale Beobachter, der im Laufe der Jahre so manches «Krisenspektakel» miterlebt und beschrieben hat, ist tief beeindruckt. Endlich hat sich ein Sportunternehmen vom profanen «Schwarz-Weiss-Denken» von Sieg und Niederlage gelöst. Sport, ganz im Sinne von Baron Pierre De Coubertin, dem Gründer der modernen Olympischen Spiele. Er hat das Motto geprägt: «Teilnehmen ist wichtiger als siegen.»
Genau so ist es beim EHC Kloten im milden Spätherbst 2018: Ein wenig mitmachen in der Swiss League ist wichtiger als siegen. Absteigen kann man ja, im Gegensatz zum Vorjahr, diesmal nicht. Der EHC Kloten ist der miserabelste Absteiger aus der höchsten Liga in diesem Jahrhundert. Selbst der EHC Basel, der später dem Konkurs anheimfallen sollte, hatte nach dem Abstieg in die zweithöchste Liga nach zehn Runden drei Punkte mehr.
Eigentlich ist das alles ein Verrat an einer der stolzesten Hockeykulturen unseres Landes. Der EHC Kloten hat eine Mannschaft, die richtig zusammengestellt, geführt, trainiert, abgestimmt, organisiert, ausbalanciert und gecoacht gut genug ist für den Wiederaufstieg.
Der neutrale Chronist, dem jegliche Form der Polemik fremd ist und der noch Klotens grandiose Meisterteams der 1990er-Jahre bewundert hat, macht sich durch die Nacht auf den Heimweg, hält inne und fragt sich auf einmal: Haben die Klotener eigentlich den Hockey-Verstand verloren?