Nach dem Abstieg ist vor dem Aufstieg. Auf den ersten Blick ist es für einen Sportchef schier unmöglich, nach einem Abstieg ein konkurrenzfähiges Team zusammenzustellen. Alle Verträge sind nichtig. Er sitzt in seinem Büro vor einem weissen Blatt Papier. Aber es ist die einmalige Chance zum Neuanfang, zur sportlichen Läuterung und Erneuerung ohne Rücksicht auf Verträge und Verdienste.
Die SCL Tigers und Rapperswil-Jona haben diese Chance genutzt und nach dem Abstieg «auf der grünen Wiese» gleich ein Spitzenteam zusammengestellt. Langnau kam in der ersten NLB-Saison bis ins Finale und stieg in der zweiten wieder auf. Rappi hat zweimal den Final verloren und ist im dritten Anlauf in die höchste Liga zurückgekehrt. Warum funktioniert es nicht auch beim EHC Kloten so? Wie kann es sein, dass der Absteiger viermal hintereinander verliert, auch noch auf eigenem Eis gegen das Schlusslicht Winterthur?
1:4 Heimniederlage gegen den @ehcwinterthur . Ein Wochenende zum Vergessen. Nächste Woche geht es am Dienstag zu Hause gegen den EHC Visp weiter. Come on boys! Unser Torschütze: MacMurchy pic.twitter.com/EAzKVNw5mc
— EHC Kloten (@EHC_Kloten_1934) 14. Oktober 2018
Für einmal ist eine Krise keine Krise. Der EHC Kloten ist eine intakte Hockeyfirma. Mit einer starken Kultur und Identität. Mit einer exzellenten Nachwuchsorganisation. Mit treuen Fans. Nach dem Abstieg kommen nicht weniger Zuschauer als zuvor in der höchsten Spielklasse. Und das ist besonders wichtig: Der tüchtige Sportchef Felix Hollenstein hat, wie seine Vorgänger zuvor in Langnau und Rapperswil-Jona, nach dem Abstieg ein Aufstiegsteam zusammengestellt.
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Aber es funktioniert noch nicht. Logisch. Felix Hollenstein hat ein Problem, das ihn ehrt: Er ist seit Jahren mit seinem Trainer André Rötheli befreundet. Diese Freundschaft macht es ihm unmöglich, seinen Trainer «gnadenlos» zu beurteilen. Deshalb hat er ihn nach dem Abstieg im Amt belassen. Mit dem Abstiegstrainer den Wiederaufstieg anstreben – dieses Experiment hat in der Neuzeit noch niemand gewagt. Weil es absurd ist. Die Wunden eines Abstieges heilen bei einem Trainer nicht mehr. Kloten hat nun ein Aufstiegsteam mit einem Abstiegstrainer.
Ist es tatsächlich ein Aufstiegsteam? Ja. Zumindest auf dem Papier. Und wer sorgt dafür, dass eine Mannschaft, die auf dem Papier so schön aussieht, auf dem Eis funktioniert? Richtig: der Trainer.
Allerdings braucht es noch zwei Änderungen, bis aus Klotens Swiss-League-Spitzenteam eine echte Aufstiegsmannschaft wird. Erstens einen Schweizer Torhüter und zweitens zwei ausländische Feldspieler.
Felix Hollenstein hatte bei der Besetzung seiner Goalieposition unverdientes Pech. Ajoie hat Dominic Nyffeler, den Bruder von Rappis Aufstiegsheld Melvin Nyffeler, nicht aus einem laufenden Vertrag freigegeben. Wohl wissend, wie wichtig die Goalieposition ist, hat Klotens Sportchef in der Not einen ausländischen Torhüter verpflichtet. Den Österreicher Bernhard Starkbaum. Eigentlich ein Titan. Mit Erfahrung aus der höchsten schwedischen Liga. Und im letzten Frühjahr ein WM-Held mit einer Fangquote von über 91 Prozent.
Hinter einer Lotter-Verteidigung ist er allerdings nicht mehr in der Lage, wenigstens 90 Prozent der Schüsse abzuwehren. Wer ist dafür verantwortlich, dass die Verteidigung nicht lottert? Richtig: der Trainer.
Ein ausländischer Torhüter ist in der Swiss League ein Problem, weil dann nur noch eine Lizenz für ausländische Feldspieler bleibt. Die Ausländer sind in der zweithöchsten Liga noch wichtiger als in der National League. Mit ihnen steht und fällt das Powerplay. In entscheidenden Spielen machen sie die Differenz. Weil der Unterschied zwischen dem heimischen und dem ausländischen Personal in der Swiss League eben grösser ist als in der National League.
Es war wirklich Pech, dass Arno Del Curto seinen Freund Felix Hollenstein erst eine Woche vor Meisterschaftsbeginn angerufen und gefragt hat, ob er einen seiner zwei Torhüter (Joren van Pottelberghe oder Gilles Senn) haben wolle. Zu diesem Zeitpunkt hatte Klotens Sportchef den Vertrag mit seinem österreichischen Nationalgoalie längst gemacht. Hätte Arno Del Curto im Mai oder im Juni angerufen, dann wäre jetzt einer der beiden HCD-Goalies schon in Kloten.
Was nun? Entweder finden die Klotener, so wie sie jetzt sind, wieder den Tritt. Wenn nicht, ist es ganz einfach, die Krise zu lösen. Felix Hollenstein hat im Falle eines Falles kein Problem, für Bernhard Starkbaum einen neuen Arbeitgeber in Österreich oder Deutschland zu finden. Wer wettet, dass Joren van Pottelberghe noch vor der November-Länderspielpause in Kloten die Nummer eins wird, hat gute Gewinnchancen. Dann ist der Weg aufch frei für zwei ausländische Feldspieler.
Ein Trainerwechsel ist auch kein Problem. Natürlich drücken wir André Rötheli die Daumen. Aber wenn es kommt, wie es halt kommen kann, dann wird Felix Hollenstein seinen tüchtigen Kommunikationschef Beat Equilino ins Büro bitten und ihm folgende Medienmitteilung diktieren:
Und diese Lösung kostet nichts! Das ist für Präsident Hans-Ueli Lehmann auch wichtig. Wahrscheinlich war es noch nie seit der Einführung der Playoffs (1985/86) so einfach in einer der beiden höchsten Ligen den Trainer zu wechseln.
Klotens Krise ist im Grunde eine «Unterhaltungskrise»: Sie fördert das öffentliche Interesse an dieser grossartigen Hockeyfirma, gefährdet aber weder das sportliche noch das wirtschaftliche Wohlergehen.