Etwas ist faul im Staate Bern. Albi Saner ist eine lokale Reporterlegende. Sozusagen Berns Antwort auf Walter Scheibli. In der ersten Pause der Partie SC Bern gegen Davos schwärmt Albi Saner noch ganz aufgewühlt in den höchsten Tönen von der Partie YB gegen Lausanne (3:2), die er soeben auf der anderen Strassenseite miterlebt hat. Das gab es noch gar nie: Im Hockeytempel wird ein gewöhnliches YB-Spiel gegen einen gewöhnlichen Gegner als riesiges Spektakel gerühmt. Wahrlich, ein Alarmzeichen. Walter Scheibli hat ja auch nie GC im Hallenstadion während eines ZSC-Spiels begeistert gerühmt.
Der SCB hat schon höher als 3:6 verloren. Meistens waren es «Betriebsunfälle». Fehlender Konzentration und fehlender Bedeutung des Spiels geschuldet. Aber nun hat der SCB in einer Partie vor den eigenen Fans miserabel gespielt, bei der es um die Ehre, ums Geld (um die Gunst des zahlenden Publikums) und um die Verbesserung einer dramatischen sportlichen Situation (11. Platz!) geht. In solchen Situationen hat sich der SCB seit dem Wiederaufstieg von 1986 nie gehen lassen und stets aufgerafft. Auch letzte Saison.
Den Bernern fehlt gegen Davos alles, was ihre DNA sonst ausmacht: Wucht, einschüchternde Härte, Körpersprache, Emotionen, Disziplin, Leidenschaft, Ordnung. Die HCD-Tormaschine Matej Stranski fährt durch den wirren Haufen wie ein warmes Messer durch Butter und bucht fünf Treffer. Der beste Berner? Torhüter Philip Wüthrich. Obwohl er, schmählich im Stich gelassen, nur 78,57 Prozent der Schüsse abzuwehren vermag.
Dabei wäre diese Mannschaft trotz ungenügendem ausländischem Personal richtig gecoacht, mit dem richtigen taktischen Konzept nach wie vor zu viel mehr fähig. Das hat sie bereits mehrmals bewiesen. Zuletzt beim heroischen Untergang in Fribourg (3:5).
Nun müsste SCB-Manager Marc Lüthi in seinem Büro Tacheles reden. Ja, er sollte toben. Aber er hat ein Problem. Er hat zwei Elefanten in seinem Büro. Der Spruch vom Elefanten im Raum bezeichnet ein offensichtliches Problem, das zwar im Raum steht, aber dennoch von den Anwesenden nicht angesprochen wird und nicht angesprochen werden darf. Der SCB hat gleich zwei Probleme, die in Marc Lüthis Büro niemand ansprechen darf. Also zwei Elefanten.
Zum ersten Problem. Eigentlich müsste Marc Lüthi Trainer Johan Lundskog aufs allerschärfste kritisieren. So im Sinne: «Nun bist du seit August da und wir haben nullkommanull Fortschritte gemacht. Komm mir nicht mit der Ausrede, dass du Zeit brauchst, um dein System einzuschulen. Der Rappi-Trainer hat das seit Saisonbeginn ebenso hingekriegt wie Jason O’Leary im Valley hinten. Einige unserer wichtigsten Spieler – ich denke da etwa an Simon Moser und Tristan Scherwey – sind ausser Form. Herrgott nochmal, was übt ihr eigentlich im Training? Und wie kommst du überhaupt dazu, den Spielern am Sonntag nach dem Davos-Match freizugeben? Ich hätte ein Straftraining anordnen sollen! Jawoll, das hätte ich! Inzwischen haben wir trotz eines tapferen Philip Wüthrich nur noch eine Lotterverteidigung. Ich fürchte, du bist überfordert. Ich verneige mich zwar vor deiner Fachkenntnis. Aber du hast kein Charisma. Du kannst die Kabine mit deiner Präsenz nicht füllen und du bist nicht dazu in der Lage, das taktische Konzept der spielerischen Substanz unserer Mannschaft anzupassen. Kein Wunder: Du hast ja noch nie als Cheftrainer eine Mannschaft geführt. Ich bin zutiefst besorgt. So wenig Stimmung wie gegen Davos hatten wir seit meinem Amtsantritt vor mehr als 20 Jahren noch nie. Das kleine Grüppchen der HCD-Fans machte zeitweise mehr Stimmung als unsere Fans. Das habe ich noch nie erlebt.»
So darf Marc Lüthi mit seinem Trainer natürlich nicht reden. Da sei Gott davor! Denn dann müsste er ihn trotz Vertrag bis zum Ende der nächsten Saison sofort entlassen. Da bereits Johan Lundskogs Vorgänger Kari Jalonen und Don Nachbaur gefeuert worden sind, ist eine Trainerentlassung beim SCB tabu. Daran darf nicht einmal gedacht, geschweige denn davon gesprochen werden. Der Trainer ist kein Thema und darf kein Thema werden. Komme was wolle. Der Elefant bleibt im Raum.
Zum zweiten Problem: Eigentlich müsste Johan Lundskog jede Form von Kritik klafterweit von sich weisen: «Marc, wir haben nur einen brauchbaren Ausländer und deshalb nur noch eine richtige Sturmlinie. Wir waren gegen Davos nur dann ebenbürtig, wenn Dominik Kahun auf dem Eis stand. Wenn wir drei Ausländer mit seinem Format hätten – unsere Mannschaft sähe ganz anders aus und wir hätten keine Sorgen. Ich weiss, dass Du völlig aufs Geld fixiert bist. Aber wenn sich Langnau drei Ausländer mit der Kragenweite von unserem Kahun leisten kann, dann haben wir auch die finanziellen Mittel für anständiges ausländisches Personal. Ich bin das unschuldige Opfer der Misswirtschaft deiner Sportabteilung.»
So darf Johan Lundskog mit seinem Dienstherrn natürlich nicht reden. Denn dann würde er auf der Stelle entlassen. Die sportliche SCB-Misswirtschaft, die nun schon ins dritte Jahr geht, darf nicht thematisiert werden. Sie ist tabu. Denn der SCB hat mit Alex Chatelain und Florence Schelling die beiden letzten Sportchefs gefeuert. Die Autorität von Obersportchef Raëto Raffainer und Untersportchef Andrew Ebbett darf nicht angetastet werden. Auch der zweite Elefant bleibt im Raum. Also ist Johan Lundskog dazu verurteilt, nach innen und aussen alles schönzureden, um Geduld zu bitten, die Professionalität des sportlichen Managements und den Charakter und die Leistungsbereitschaft der Spieler in den höchsten Tönen zu lobpreisen. Und zu hoffen, dass eine Besserung eintritt. Die Hoffnung ist nicht unberechtigt. Tiefer kann der SCB sportlich nicht mehr sinken.
Wird Obersportchef Raeto Raffainer trotzdem bald zum nackten Kaiser, der nur deshalb noch ruhig im Tempel herumlaufen kann, weil niemand zu sagen wagt, er sei nackt? Noch hat er Kleider an. Immerhin hat er auf nächste Saison zwei Transfers (Joël Vermin, Romain Loeffel) eingefädelt.
Aber seine Bilanz ist inzwischen beängstigend: er hat die Übernahme des Lausanne-Vertrages von Cory Conacher bis zum Ende der nächsten Saison, die Verpflichtung von Kaspars Daugavins, die Ausmusterung von Jesper Olofsson und die definitive Anstellung von Zauberlehrling Johan Lundskog zu verantworten. Cory Conacher ist, wie allseits erwartet, nicht fähig, das Team zu tragen. Der Schillerfalter öffnet seine Flügel, wenn es dem Team läuft und die Sonne scheint. Er faltet sie zusammen, wenn es nicht läuft und regnet. Kaspars Daugavins ist eine teure „Nullnummer“ und der verschmähte Jesper Olofsson in Langnau Liga-Topskorer.
Die Bilanz von Untersportchef Andrew Ebbett (seit dem 1. Juni im Amt) ist etwas besser: Der von ihm rekrutierte Dominik Kahun ist einer der besten ausländischen Stürmer der Liga. Aber er hat die Verpflichtung von Christian Thomas zu verantworten. Der Kanadier ist ein Mitläufer. Es wäre sportlich und vor allem finanziell sinnvoller gewesen, aus Langenthal die eigenen Junioren Noah Fuss (20) und Ronny Dähler (20) zurückzuholen.
Die zwei Elefanten im Büro von Marc Lüthi erschweren das Krisenmanagement. Weil nicht angesprochen werden darf, was nicht sein darf. Die Leistungskultur war einst bis über die Landesgrenzen hinaus berühmt. Misserfolg machte hässig, führte zu Polemik und wurde nicht geduldet. Der SCB war das Bayern München des Hockeys. Arrogant und erfolgreich. Nun ist der SCB zu einer Selbsterfahrungsgruppe verkommen, die in ihrer DNA einer Rudolf Steiner-Schule viel näher steht als Bayern München.
Das grösste Publikum Europas ist geduldig. Die Bernerinnen und Berner sehen ein, dass der SCB in einer Aufbauphase steckt. Dass der Weg zurück nach oben Zeit braucht. Aber nun ist das Schwadronieren von Geduld mehr und mehr zu einer faulen Ausrede für fehlende Leistungsbereitschaft geworden. Die Elefanten im Büro von Marc Lüthi werden immer grösser.
Wenn der SCB von den drei nächsten Partien gegen Servette, in Langnau und in Ajoie nicht mindestens zwei gewinnt, braucht Trainer Johan Lundskog keinen Wintermantel. Diese drei Spiele werden für ihn zur grossen Herausforderung.
Auch das zeigt, wie tief der SCB sportlich gesunken ist: einst waren Spitzenkämpfe gegen Titanen wie Davos, Zug oder die ZSC Lions die grosse Herausforderung. Nun sind es Spiele gegen den Tabellenletzten, den Tabellenvorletzten und Langnau. Kein Wunder, beträgt die Stadionauslastung inzwischen nur noch 77,19 Prozent. In normalen Zeiten werden mehr als 95 Prozent der Tickets verkauft.
Der SCB ist erst wieder dort, wo er sein sollte, wenn Albi Saner im Presseraum des Wankdorf-Stadions während der Halbzeitpause eines YB-Spieles vom SCB schwärmt.
P.S. Kurz nach der 0:9-Pleite in Davos am 10. Oktober 1987 ist Trainer Timo Lahtinen gefeuert worden. Im Frühjahr 1989 war der SCB bereits wieder Meister.
Der SCB holt traditionellerweise gestandene Trainer und Schlüsselspieler. Er ist kein Ausbildungsklub und wird es auch nie werden. Und gerade in der Umbruchphase bräuchte man einen sehr erfahrenen Trainer und keinen Neuling.
Beim HCD lacht man sich und Fäustchen. Ist man doch den überbewerten Sportchef elegant losgeworden, bevor seine Defizite ans Licht kamen. Vieleicht können sie so auch noch Wohlwend loswerden.
Moser? Scherwey? Praplan? Untersander? Da kommt nichts, diese Herren sind das Problem, stehen völlig neben den Schuhen. Blum und Rüfi fehlen auch, aber nicht erst seit gestern... Sportchef?