Eigentlich ist der ehemalige SCB-Verwaltungsrat Michael Rindlisbacher «nur» ein SIHF-Präsident von Marc Lüthis Gnaden. Eigentlich ist Raeto Raffainer «nur» ein Verbands-Sportdirektor von Peter Zahners Gnaden.
Eigentlich. Aber nun sind beide ein Beispiel dafür, dass man sehr wohl im Amt wachsen und sich von seinen Förderern emanzipieren kann. Was sich für unser Hockey als Glücksfall erweist.
Michael Rindlisbacher und Raeto Raffainer obliegt es, die sportlichen Gesamtinteressen unseres Hockeys gegen die Klubinteressen zu verteidigen. Diese «Balance of Power» zwischen den sportlichen Romantikern (wie Rindlisbacher und Raffainer) und den sportlichen Kapitalisten (wie Zahner und Lüthi) ist ein Erfolgsgeheimnis unseres Hockeys. Jahrelang war Peter Zahner als Verbands-Sportdirektor der Verteidiger der sportlichen Interessen, ehe er 2007 die Fronten wechselte und ein tüchtiger Manager beim ZSC wurde.
Die Machtverhältnisse hatten sich in den letzten Jahren zugunsten der «Sport-Kapitalisten» verändert. Angeführt von den «grossen Bossen» Marc Lüthi und Peter Zahner ist es den Klubs immer besser gelungen, kapitalistische Interessen in der Liga und im Verband durchzusetzen. Deshalb haben wir beispielsweise eine höchste Spielklasse mit zwölf Teams (statt mit zehn, was dem Spielerpotenzial entsprechen würde), keinen direkten Auf- und Abstieg zwischen den beiden höchsten Ligen und auch deshalb muss sich der HC Davos die Spengler-Cup-Pause mit 800'000 Franken pro Saison erkaufen.
Der Antrag von Marc Lüthi, ab nächster Saison in der höchsten Liga mit sechs statt wie bisher vier Ausländern zu spielen, hätte sehr starke Auswirkungen auf die sportliche Gesamtentwicklung unseres Hockeys.
Aber noch vor zehn Tagen wagte es Michael Rindlisbacher nicht, öffentlich gegen dieses Ansinnen zu reden, wie es seine Pflicht als sportlicher Gralshüter unseres Hockeys wäre. Er war loyal zu seinem Freund und Förderer Marc Lüthi und versteckte sich hinter einem internen Strategie-Papier. Was ihm Kritik eingetragen hat.
Doch nun hat er sein Herz in beide Hände genommen und stellt sich doch mutig und öffentlich gegen das Projekt «Sechs Ausländer». Er sagt: «Ja, es stimmt, dass ich vorerst nur intern, aber nicht öffentlich gegen diesen Antrag war. Aber nach Abwägen der Risiken und Chancen bin ich gegen die Erhöhung auf sechs Ausländer.»
Die präsidiale Stellungnahme wird am Mittwoch, wenn über den Antrag abgestimmt wird, wichtig sein. Michael Rindlisbacher leitet die Liga-Versammlung. Er hat dabei kein Stimmrecht. Aber wer eine Versammlung geschickt führt – und das kann Rindlisbacher – hat Einfluss. Es genügt, wenn sechs Klubs gegen den Antrag sind. Für sechs Ausländer sind nur der SCB, Davos, Lausanne und Servette. Aber hier geht es um Politik und Meinungen wechseln schnell.
Marc Lüthi nimmt die Opposition seines einstigen Weggefährten übrigens gelassen. Er habe damit überhaupt kein Problem: «So ist Demokratie. Jeder darf seine Meinung haben.» Hat er denn nicht versucht, Einfluss zu nehmen? «Ich habe meine Argumente vorgebracht. Nun werden wir sehen.»
Der SCB-Manager betont noch einmal, dass er den Entscheid der Liga-Versammlung ohne «Wenn und Aber» akzeptieren werde. «Wir werden auch keinen neuen Antrag stellen.» Eine Kompromisslösung mit fünf Ausländern mache gar keinen Sinn.
Allerdings ist Marc Lüthi nicht ganz sicher, ob sich alle Befürworter seiner Idee einem negativen Entscheid der Ligaversammlung beugen werden. «Es gibt unberechenbare Klubs.» Man könne nicht einmal einen Gang vor ein Gericht ausschliessen, wenn die Ausländerzahl nicht erhöht werde. Auf die Frage, ob er damit Lausanne meine, sagt er: «Das haben Sie gesagt.» Natürlich meint er Lausanne.
Im Amt gewachsen ist auch Raeto Raffainer. Im Februar 2015 wechselte er direkt als Spieler der GCK Lions – also aus dem Hoheitsgebiet von Peter Zahner – zum Verband ins Amt eines Sportdirektors. Im Alter von 33 Jahren.
Er übernahm eine fast unlösbare Aufgabe: die Umsetzung des «Projekt Swissness». Also die Rückkehr zu einheimischem Schaffen rund um die Nationalmannschaften. Seit der Deutsch-Kanadier Ralph Krueger im Herbst 1997 Nationaltrainer geworden war, hatten Ausländer das Nationalteam geführt (Ralph Krueger, Sean Simpson, Glen Hanlon).
Raeto Raffainer behielt im Chaos des Herbstes 2015 – Glen Hanlon trat zurück, Felix Hollenstein sagte ab – die Nerven. Er setzte sich mit der Lösung Patrick Fischer durch, auch nach einer spielerisch wilden und sportlich missglückten WM 2016 in Moskau («Pausenplatz-Hockey») und justierte die Schwachstellen im Sommer 2016 mit dem Engagement des schwedischen Taktiklehrers Tommy Albelin als Assistent von Patrick Fischer.
Inzwischen funktionieren die Nationalmannschaften (U18, U20, Nationalteam) unter der Führung von Schweizern (Thierry Paterlini, Christian Wohlwend, Patrick Fischer). Gerade beim Deutschland Cup während des vergangenen Wochenendes überzeugten die Schweizer mit einer im Herbst so noch nie gesehenen Winner-Mentalität. Das «Projekt Swissness» ist eine Erfolgsgeschichte.
Inzwischen ist aus dem «Zauberlehrling» Raeto Raffainer ein charismatischer Kämpfer für das sportliche Wohl unseres Hockeys geworden. Hohe fachliche Kompetenz, durchsetzungsstark und kommunikativ begabt. Auch er stellt sich nun – sowie sein Präsident – öffentlich gegen die Aufstockung von vier auf sechs Ausländer.
Die Macht der Klubbosse schwindet, ist aber nach wie vor gross genug, um die administrativen Auswüchse in den Verbandsbüros unter Kontrolle zu halten. Wie jede Verwaltung neigt auch unser Hockey-Verband dazu, eine Dynamik zur unnötigen Vergrösserung und Bürokratisierung zu entwickeln. Aber die «Verbandsgeneräle» haben wieder den Mut, die sportlichen Gesamtinteressen engagiert zu verteidigen.
Im Herbst 2018 zeichnet sich ab, dass die «Balance of Power» wieder ins Lot kommt. Das kann für unser Hockey nur gut sein.