Zuerst etwas Theorie. MVP steht für «Most Valuable Player» und die Bezeichnung kommt, natürlich, aus Amerika. Es ist die begehrteste individuelle Auszeichnung im Teamsport. Sie zählt mehr als das gelbe Ehrenkleid des Topskorers. Der MVP ist ganz einfach der wichtigste Spieler einer Mannschaft. Der Wertvollste der Wertvollen ist der MVP der Playoffs.
In der NHL gibt es für den MVP der Playoffs die «Conn Smythe Trophy». Das Wahlverfahren ist interessant. 12 bis 15 Vertreterinnen und Vertreter der «Professional Hockey Writers’ Association» vergeben die Auszeichnung. Darunter sind jeweils drei Chronistinnen oder Chronisten aus den beiden Städten der Stanley-Cup-Finalteams. Bereits vor einem möglichen letzten Spiel müssen sie sich auf einen Sieger festlegen.
Die Trophäe wird direkt im Anschluss an die letzte Partie – noch vor der Übergabe des Stanley Cups – durch den NHL-Commissioner verliehen. Der MVP muss nicht zwangsläufig für den Stanley-Cup-Sieger spielen. Bisher sind fünf Helden (darunter vier Torhüter) aus dem Verliererteam ausgezeichnet worden. Zuletzt Anaheims Torhüter Jean-Sébastien Giguerre (2003).
Bei uns wird der Playoff-MVP erst seit 2017 vergeben. 2017 an Thomas Rüfenacht (SC Bern) und 2018 an Kevin Klein (ZSC Lions). Die Wahl wird nach der Saison durch eine Runde aus Funktionären und Medienvertreterinnen und -vertretern vorgenommen. Die Auszeichnung erfolgt erst im Spätsommer vor der neuen Saison.
Was im aktuellen Playoff-Final auffällt: Wer die Frage nach dem Playoff-MVP beim SC Bern stellt, löst eine lebhafte Diskussion aus. Ist es Torhüter Leonardo Genoni? Wir haben zwar nicht jeden Abend den grossen Leonardo Genoni gesehen. Aber als es auf ein einziges Spiel ankam, als der SCB nur noch eine Niederlage vor dem Saisonende stand, da war er da und hexte die Berner in Biel zu einem 1:0. Mehr geht nicht.
Oder müsste es Ramon Untersander sein? Der Verteidiger und WM-Silberheld ist im Halbfinal nach einer langen Verletzungspause zurückgekehrt und hat beim SCB gleich die Wirkung eines zusätzlichen Ausländers. Er ist der an der blauen Linie der Dynamo des SCB-Spiels, der produktivste SCB-Verteidiger und hat das einzige Tor beim «Schicksalssieg» in Biel erzielt.
Wie wäre es mit Tristan Scherwey? Nach wie vor hat keiner in diesen Playoffs mehr Tore erzielt als der teuflisch schnelle Vorkämpfer (6). Er erzielt darüber hinaus «im Felde» Wirkung. Wie mit dem Check in Zug, der den Weg zum SCB-Verlängerungs-Siegestreffer eröffnete.
Wer für Captain Simon Moser, den Titanen, stimmt, hat gute Argumente auf seiner Seite. Selbst in Zeiten der Zweifel und Unsicherheiten war er beim SCB im Laufe dieser Playoffs ein Leuchtturm des Selbstvertrauens. Ein Leitwolf im besten Wortsinn.
Andere wiederum argumentieren, Mark Arcobello gebühre die Auszeichnung zum wertvollsten Spieler dieser Playoffs. Er hat soeben im zweiten Finalspiel drei Treffer erzielt.
Wir sehen: Selbst nach einer mehrstündigen Diskussion wäre es schwierig, sich beim SCB auf einen Playoff-MVP zu einigen. Das ist die besondere SCB-Qualität: Beinahe in jedem Spiel taucht ein neuer Kandidat auf. Bisher ist immer einer aufgestanden und hat das Steuer herumgerissen.
Bei Zug hingegen löst die Frage nach dem Playoff-MVP erst einmal Ratlosigkeit aus. Und die Frage: Haben wir überhaupt einen Playoff-MVP? Tobias Stephan war es bis und mit dem Halbfinal. Aber noch nicht im Playoff-Final.
Lino Martschini tanzte bis ins erste Finalspiel und er ist nach wie vor der beste Playoff-Skorer mit Schweizer Pass. Aber im zweiten und dritten Spiel ist er ohne Skorerpunkt geblieben.
Garrett Roe ist Playoff-Topskorer. Aber für eine Auszeichnung zum MVP reicht es nur, wenn er in den nächsten zwei Partien mit seinen Skorerpunkten die Differenz macht.
Vorkämpfer Reto Suri, der in Spiel 1 nach einem Check von Adam Almquist ein paar Zähne verlor, verdient so oder so eine Tapferkeitsauszeichnung. Aber er ist noch nicht Zugs Antwort auf Tristan Scherwey.
Raphael Diaz ist ein eleganter, charismatischer Verteidigungsminister und Captain. Aber um MVP zu werden, ist er zu wenig produktiv. Wenn schon, dann wäre Santeri Alatalo ein Kandidat. Er ist mit elf Assists der produktivste Verteidiger dieser Playoffs. Aber er hat noch kein Tor erzielt.
Die Zuger können nur Meister werden, wenn wir ob den vielen Kandidaten nicht wissen, wen wir zum Playoff-MVP küren sollen.
Zug sucht seinen Playoff-MVP und muss ihn in den nächsten zwei Partien finden. Sonst ist es zu spät und es bleibt nur noch die Suche nach Ostereiern.
Wichtiger ist, dass die Zuger nicht mehr das Startdrittel verschlafen und endlich wieder mal das Spiel diktieren.