In den Playoff-Halbfinals treffen vier Hockeyphilosophien, vier taktische Lehren aufeinander. Aber hockeytaktische Fachbegriffe «High Posting», «Forechecking», «1-3-1» oder «Neutral Zone Trap» sagen einem sportbegeisterten Laien wenig. Deshalb hier die Erklärung der vier Halbfinal-Hockey-Philosophien am Beispiel des leichter verständlichen Fussballs.
Die Vorliebe der ZSC Lions für Spielkontrolle (Puckbesitz) lässt sich am ehesten mit dem berühmten Tiki-Taka des FC Barcelona vergleichen. Tiki-Taka bezeichnet einen Spielstil mit Kurzpässen und einem hohen Ballbesitzanteil der angreifenden Mannschaft. Dabei befinden sich alle Spieler in Bewegung und lassen den Ball durch ihre Reihen zirkulieren.
Dies gilt durchaus für die ZSC Lions. Aber mit dem Unterschied, dass im Eishockey, anders als beim Tiki-Taka, auch mit langen Steilpässen operiert wird. Möglich ist diese Spielweise im Eishockey nur dann, wenn in allen vier Blöcken durchwegs technisch und taktisch sehr gut ausgebildete Spielern stehen – und das ist nur bei den ZSC Lions der Fall. Schlüssel dieses Spiels ist der sofortige Scheibenbesitz nach dem Anspiel («Bully»). Da kommt es gelegen, dass Dan Fritsche einer der besten Bully-Spezialisten ist.
Aussenseiter Servette lässt sich am ehesten mit den Griechen der EM 2004 vergleichen. Trainer Otto Rehhagel sagte damals: «Früher hat jeder gemacht, was er will. Jetzt macht jeder, was er kann.» Das ist exakt das Prinzip von Servette-General Chris McSorley. Jeder weiss, was er zu tun hat. Oft ist es so, dass ein Spieler verloren ist wie ein Koala-Bär ausserhalb des Eukalyptus-Waldes, wenn er den taktisch geordneten Planeten Servette verlässt. Nationalstürmer Daniel Rubin erzielte für die Genfer in 182 Spielen 45 Tore und wechselte zum SC Bern. Dort traf er in 111 Partien nur noch zweimal. Nun ist er auf diese Saison wieder in den heimischen taktischen Eucalyptus-Wald zurückgekehrt und hat für Servette in 52 Partien 12 Tore erzielt.
Mit perfektem Defensivspiel und klarer Rollenzuteilung demonstriert Chris McSorley, dass es möglich ist, gegen spielerisch scheinbar klar überlegene Mannschaften (wie zuletzt Lugano) erfolgreich zu sein. Das rustikale Rumpelhockey wird mit kerniger Härte gewürzt um die talentierteren Gegner einzuschüchtern. Die Angriffsauslösung ist einfach, im Fussball würde man von «kick and rush» sprechen. Aufs Eishockey übertragen: Der Puck wird nach vorne gedroschen, um einen schnellen Abschluss zu erreichen. Mit dem Vorteil, dass dabei die neutrale Zone schnell überbrückt wird und die Gefahr von Scheibenverlusten gering ist.
Der grosse SCB Bern mahnt an die spielerisch dunklen, aber erfolgreichen Zeiten von Inter Mailand unter Trainer Helenio Herrera (Bild). Die Mailänder gewannen mit der totalen Defensivtaktik drei Meistertitel und zweimal den Meistercup. Bei diesem «Catenaccio» werden durch tiefe Staffelung in der eigenen Hälfte die Räume zwischen den einzelnen Spielern so eng gemacht, dass kein schnelles Offensivspiel des Gegners möglich ist. Offensiv bietet sich beim Catenaccio die Möglichkeit des schnellen Konterns und deshalb ist es bei dieser Taktik wichtig, in Führung zu gehen. Die gegnerische Mannschaft wird bei der Aufholjagd zum Aufrücken gezwungen und in der eigenen Defensive Räume zu öffnen, in welche die Catenaccio-Spieler vorstossen können. Das Mittelfeld wird bei Kontern schnell überbrückt und die Verteidiger gehen bei den Gegenangriffen mit nach vorne.
Genau so spielt der SCB unter Guy Boucher – obwohl die Berner spielerisch eigentlich überlegen wären und ihre Gegner dominieren könnten. Bezeichnenderweise ist mit Eric Blum nur beim SC Bern ein Verteidiger der Playoff-Topskorer. Ja, zwei der der besten SCB-Playoffskorer (Blum und Philippe Furrer) sind Defensivspieler.
Arno Del Curto würde mit seinem HC Davos am liebsten Tiki-Taka zelebrieren. Er ist fasziniert von dieser Fussballphilosphie. Doch er kann sie nicht aufs Hockey übertragen. Er hat dafür zu wenig talentierte Spieler. Deshalb ist Del Curtos «totales Spiel» eine Art Eishockey-Antwort auf den englischen Fussball. «Harder, better, faster, stronger» charakterisiert treffend die HCD-Spielweise.
Die Davoser spielen mit höchstem Einsatz und viel Kraftanstrengung ein spektakuläres, vorwärts ausgerichtetes, schnelles und intensives Powerhockey. Wie den Briten fehlt den Bündnern dabei eine gewisse taktische Flexibilität und Schlauheit – aber an einem guten Abend überrennen und überrollen sie jeden Gegner. Weil das Geld fehlt, um teure Stars einzukaufen, ähnelt der HCD mit seinem aggressiven Jugendstil zurzeit wohl am ehesten dem britischen FC Southampton.
Im Eishockey ist ohne die Absicherung durch einen guten Torhüter auch die beste Taktik wertlos. Deshalb gewinnt manchmal nicht die taktisch beste Mannschaft den Titel, sondern jene mit dem besten Goalie. Der legendäre kanadische Eishockey-Coach und -Lehrer Dave King pflegt seine Taktik-Vorträge mit der Bemerkung zu beenden: «… und wenn Sie keinen guten Torhüter haben, dann vergessen Sie wieder alles, was Sie soeben über Taktik gelernt haben.»