Sport
Eismeister Zaugg

Corona-Angst frisst Zuschauer – die neue Furcht vor dem Gang ins Stadion

Die Zuger fans geniessen das Spiel mit Schutzmasken beim Eishockey Meisterschaftsspiel in der Qualifikation der National League zwischen dem EV Zug und dem SC Bern vom Samstag, 10. Oktober 2020 in Zug ...
3800 Fans hätten Zug – Bern im Stadion sehen können – es kamen nur 3259.Bild: keystone
Eismeister Zaugg

Angst frisst Zuschauer – die neue Furcht vor dem Gang ins Stadion

Nicht alle, die ein Ticket gekauft haben, wagen es, zum Spiel zu gehen. Diese neue Angst vor dem Gang ins Stadion betrifft im Eishockey sogar den Schweizer Zuschauer-Krösus SC Bern.
12.10.2020, 17:28
Folge mir
Mehr «Sport»

Der SC Bern hat 11'000 Saisontickets verkauft. Aber bloss 6750 Inhaberinnen und Inhaber dürfen wegen der Einschränkungen zum Spiel in ein Stadion mit einem Fassungsvermögen von 17'031 Sitz- und Stehplätzen kommen. Was dazu führt, dass die Saisonkarten-Inhaber nur jedes zweite Spiel sehen können und in zwei Gruppen aufgeteilt worden sind. Bevor die Saison begonnen hat, sind also schon alle Tickets verkauft.

Für die beiden ersten Heimspiele gegen Ambri und Lausanne vermeldete der SCB logischerweise «ausverkauft». Aber ein Blick durchs Rund der grössten Hockey-Arena ausserhalb von Nordamerika machte schnell klar: Es waren bei weitem nicht 6750 Menschen im Stadion. «Dieser optische Eindruck ist richtig», sagt SCB-Manager Marc Lüthi. Wie viele Ticketbesitzer auf den Besuch des Spiels verzichtet haben, wird nicht verraten. «Diese Zahlen nennen wir nicht.»

Ein Plakat mit Informationen vor Eingang A vor dem Eishockey Meisterschaftsspiel der National League zwischen dem SC Bern und den HC Ambri-Piotta, vor der Postfinance Arena in Bern, am Donnerstag, 1.  ...
Die Schutzkonzepte der Klubs wurden von den Behörden bewilligt.Bild: keystone

Organisatorische Meisterleistungen

Auch viele der Treusten der Liga sind nicht ins Stadion gegangen. In Langnau dürfen 2850 von 6000 Plätze besetzt werden. Nicht genug für alle Saisonkartenbesitzer. Aber auch hier bleiben viele Sitze leer. Zum ersten Heimspiel kamen «nur» 2085 Zuschauerinnen und Zuschauer. «Wir nennen die Anzahl der tatsächlich Anwesenden im Stadion», sagt Geschäftsführer Peter Müller. Und selbst den Klassiker EV Zug – SC Bern wollten nicht alle sehen, die dafür bereits bezahlt hatten: 3259 kamen, 3800 Plätze standen zur Verfügung. Die Zuger haben über 5000 Saisonkarten verkauft.

Was ist der Grund dafür, dass Inhaberinnen und Inhaber eines Saisontickets nicht ins Stadion kommen? An den technischen und organisatorischen Umständen kann es nicht liegen. In Bern und in Langnau funktioniert die Zuteilung der Tickets und der Ablauf vor Ort. Bei Spielbeginn waren alle auf ihren Plätzen. Ein Gedränge bei den Eingängen gab es an beiden Orten nicht, in Bern ging es sogar noch zügiger voran als in Langnau. Und wer aus irgendeinem Grund nicht zum Spiel gehen wollte, der konnte sein Saisonabo mit einem Mausklick personifiziert weitergeben. Die Hockeymanager haben an allen Orten organisatorische Meisterleistungen vollbracht.

Der Grund, warum die Menschen zu Hause bleiben, ist die Angst vor einer Ansteckung. Marc Lüthi sagt: «Saisonkarten-Besitzer haben uns gesagt, dass sie wegen der Gefahr einer Ansteckung keine Veranstaltungen besuchen wollen und deshalb nicht zum Spiel kommen.» Das Geld werde nicht zurückverlangt. «Viele sagen uns, dass sie das Saisonabo aus Solidarität zum Klub gelöst haben.» Langnaus Peter Müller spricht ebenfalls von Rückmeldungen dieser Art: «Wir verstehen das und tun alles, um unsere Organisation weiter zu verbessern und diese Ängste zu zerstreuen.»

Angst beginnt, Gewohnheiten zu verändern

Die Klubs haben alle mit den Behörden ausgearbeiteten Sicherheitskonzepte nahezu perfekt umgesetzt. Und die Zuschauerinnen und Zuschauer haben sich in allen Stadien an die Vorschriften gehalten. Auch an die Maskenpflicht. Das Live-Erlebnis im Stadion ist zwar ein ganz anderes geworden. Sozusagen Emotionen mit angezogener Handbremse. Aber Hockeyspiele als «Maskenball» – das geht. «Corona-Rebellen» oder Chaoten gibt es in den Hockeystadien keine. Hockey-Fans sind in der Regel ja auch in normalen Zeiten anständig. Es gibt also weder technische noch organisatorische Gründe, nicht zum Spiel zu gehen.

2085 Zuschauer beim Meisterschaftsspiel der National League, zwischen den SCL Tigers und dem EHC Biel, am Samstag 10. Oktober 2020 im Ilfisstadion in Langnau. (KEYSTONE /Marcel Bieri)
In Langnau sieht es zwar gut gefüllt aus, aber fast 800 Billetbesitzer verzichteten auf einen Stadionbesuch gegen Biel.Bild: keystone

Das Eishockey offenbart auf eindringliche Art und Weise ein gesellschaftliches Phänomen: Die Angst vor dem Virus beginnt, die Gewohnheiten der Menschen nachhaltig zu verändern. Wenn wir jeden Tag von steigenden Fallzahlen lesen und hören, wenn in allen Medien die Virus-Krise das zentrale Thema ist, wenn wir uns diesem Thema einfach nicht mehr entziehen können – dann durchdringt diese Krise nach und nach all unser Tun und Lassen. Auch dann, wenn wir in unserem persönlichen Umfeld niemanden kennen, der erkrankt ist, und es eigentlich keinen ersichtlichen Grund gibt, nicht zum Spiel zu gehen. Nur noch die Furchtlosen wagen sich ins Stadion.

Ein Geschäftsmodell wird in seinen Grundfesten erschüttert

Wenn Läden oder Restaurants weniger Umsätze machen, muss das noch keine Folge der Angst sein. Wenn aber jemand für mehr als 1000 Franken ein Saisonabo kauft und dann darauf verzichtet, zum Spiel zu gehen – dann ist der wichtigste Grund Angst. Oder um es dramatisch wie Rainer Werner Fassbinder zu formulieren: «Angst essen Seele auf». Noch so perfekte Sicherheits- und Schutzmassnahmen können diese Angst nicht vertreiben.

Ernsthafte Folgen hat diese Angst für die Klubs diese Saison noch nicht. Die Saisontickets sind bereits bezahlt. Der Umsatzrückgang in der Gastronomie wird dadurch nicht weiter verschärft – kommen etwas weniger Leute, ist der Zugang zu Wurst und Bier einfacher.

Aber diese Angst kann das Geschäftsmodell «Massenveranstaltung» in den Grundfesten erschüttern. Solange die Angst vor einer Ansteckung mit einem tödlichen Virus bleibt, wird es nicht mehr möglich sein, Stadien zu füllen und noch einmal im gleichen Masse Saisonkarten zu verkaufen. Auch Opernhäuser, Konzertsäle oder Theater werden die Folgen dieser Angst spüren.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Schweizer Grossveranstaltungen von Corona betroffen
1 / 12
Schweizer Grossveranstaltungen von Corona betroffen
Ajla Del Ponte, Mujinga Kambundji, Salome Kora und Sarah Atcho an der Weltklasse Zürich 2019 im Letzigrund Stadion. Für dieses Jahr wurden die Finalwettkämpfe die eigentlich am 11. September stattgefunden hätten, bereits abgesagt. Die weltweite Corona-Krise liesse eine Durchführung des Events nicht zu, so die Veranstalter.
quelle: keystone / jean-christophe bott
Auf Facebook teilenAuf X teilen
«Herts Blatt» – die beste Kuppelshow des Jahres
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
70 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
dmark
12.10.2020 19:19registriert Juli 2016
Muss man es als "Angst" definieren oder könnte man da auch den Begriff "Vorsicht" verwenden?
48747
Melden
Zum Kommentar
avatar
Eifach_öpis
12.10.2020 18:00registriert Februar 2016
Ich persönlich habe keine Angst vor einer Ansteckung. Die Chance auf einen schweren Verlauf ist gleich null.

Grossveranstaltungen, Clubs u. Ä. meide ich trotzdem. Mir geht es primär darum meine liebsten zu schützen, eine Verbreitung zu verhindern und die Fallzahlen tief zu halten.

Hinzu kommt noch das niemamd genau sagen kann was im Falle eines positiven Tests passiert und auf Quarantäne habe ich auch keinen Bock
45579
Melden
Zum Kommentar
avatar
Buceador
12.10.2020 18:59registriert März 2019
Ich hatte in der PFA überhaupt keine Angst vor einer Ansteckung... da ist das Risiko im ÖV oder sonst wo definitiv grösser.
18335
Melden
Zum Kommentar
70
Der zweite Abschied: Marco Streller verlässt den FC Basel ein weiteres Mal
Marco Steller verlässt den FC Basel. Er tut dies ein zweites Mal in der Zeit nach der aktiven Karriere – und will sich privaten Projekten widmen. Der Klub muss ein neues Sportkommissionsmitglied finden.

Es ist nicht wie im Sommer 2019. Nicht mit dem ganzen Theater, dem Aufruhr. Und doch ist es eine Meldung, die beim FC Basel eine gewisse Wirkung hat: Marco Streller verlässt den Verein. Er tut dies offiziell per Ende Saison, inoffiziell wohl aber schon eher in ein paar Wochen. Die Saison würde hingegen noch mindestens bis Ende Mai dauern.

Zur Story