Der Cheftrainer ist der wichtigste Angestellte der Sportabteilung, in der Aussenwahrnehmung personifiziert er sogar ein Hockeyunternehmen. Loyalität und Engagement für den Klub sind deshalb bis zum Tag der Entlassung (oder des Vertragsablaufes) für den Trainer unabdingbar. Weil Loyalität und Engagement fundamentale Voraussetzung für den Erfolg sind. Wie soll ein Trainer diese Eigenschaften von den Spielern einfordern, wenn er sie selber nicht vorlebt?
Der SC Bern ist in seinem Selbstverständnis eines der grossen Hockeyunternehmen Europas. Dort Trainer zu sein, ist also ein Privileg. So wie im Fussball ein Trainerjob bei Bayern München, in Dortmund, in Barcelona, bei Real Madrid oder dem FC Basel.
Guy Boucher sieht das anders. Der SCB-Trainer betont bei jeder Gelegenheit, dass er lieber wieder in der NHL arbeiten würde. Er diskutiert fleissig mit verschiedenen NHL-Bürogenerälen und das lässt er die Welt auch wissen. Der SCB ist für ihn ganz offensichtlich nur eine Notlösung, bis er wieder in die Liga seiner Bestimmung zurückkehren kann.
Das ist eigentlich ein unhaltbarer Zustand. Und es ist erstaunlich, dass beim SCB solche Verhältnisse toleriert werden. Marc Lüthi heizt die Gerüchteküche ja auch nicht ständig mit Wechselgerüchten ins Management von Bayern München oder Basel (Fussball, nicht Hockey …) an. «Doch, ich habe bei Bayern unterschrieben», sagt der grosse SCB-Vorsitzende. Er meint es natürlich als Spass.
Den Einwand, dass das Verhalten seines Trainers nach aussen irritierend und auf Dauer unglaubwürdig wirkt, versteht Lüthi. «Manchmal ist es eben opportun, gewisse Zustände zu tolerieren, manchmal nicht.» In diesem Falle sei es opportun. Er fügt aber auch an: «Ab einem gewissen Zeitpunkt ist es vorbei mit Flirten.» Marc Lüthi sagt nicht, wann dieser Zeitpunkt sein wird. Er hält lediglich fest: «Wir sind über alle Schritte von Guy Boucher informiert.»
Die NHL ist für jeden Nordamerikaner das Grösste. Bei der Möglichkeit, dort wieder arbeiten zu können, lässt jeder alles stehen und liegen. «Wie gross die Faszination NHL ist, wird erst klar, wenn man mit einem NHL-Trainer zu tun hat», sagt Peter Zahner, der Manager der ZSC Lions. «Wer einen kompetenten NHL-Trainer will, muss damit leben, nur die zweitbeste Lösung zu sein – oder es sein lassen.»
Die Zürcher sind mit NHL-Trainern gut gefahren. Bob Hartley gewann 2012 auf Anhieb und Marc Crawford 2014 im zweiten Anlauf den Titel. Beide Coaches haben zudem erfolgreich junge Spieler ausgebildet. Der SCB hat mit Guy Boucher bisher etwas weniger gute Erfahrungen gemacht. In seiner ersten Saison hat er die Mannschaft als Nothelfer in die Abstiegsrunde versenkt und diese Saison ging das Halbfinale gegen den späteren Meister Davos glatt mit 0:4 verloren. Der Cupsieg ist nur ein kleiner Trost.
Bob Hartley hat Zürich nach dem Titelgewinn verlassen und arbeitet jetzt in Calgary erfolgreich wieder in der NHL. Marc Crawford hat ebenfalls eine NHL-Ausstiegsklausel im Vertrag. Sein Name wird hin und wieder im Zusammenhang mit Cheftrainerposten in Nordamerika genannt. Aber weder Bob Hartley noch Marc Crawford haben jemals ihr NHL-Interesse so bei jeder Gelegenheit in die Welt hinausposaunt wie Guy Boucher.
Wer immer wieder alle wissen lässt, dass er halt schon lieber an einem anderen Ort arbeiten würde, wird irgendeinmal unglaubwürdig und, wenn es nicht nach Wunsch läuft, erst recht in Schwierigkeiten geraten. Guy Boucher und der SC Bern spielen ein riskantes Spiel mit der Glaubwürdigkeit.