Am 17. Januar soll verkündet werden, wer in Südkorea für die Schweiz um olympische Hockey-Ehre kämpfen darf. Es ist das wichtigste Aufgebot eines Nationaltrainers im 21. Jahrhundert. Denn die NHL-Profis sind nicht dabei. Zum ersten Mal seit 1952 reisen die Schweizer mit berechtigten Medaillen-Hoffnungen zu einem olympischen Turnier. Es ist für alle eine «Jahrhundert-Chance» auf ewigen Hockey-Ruhm.
Nationaltrainer Patrick Fischer sagt denn auch, dass dieses Turnier kein Planschbecken für Aus- und Weiterbildung sei. Die Besten der Besten werden nominiert. Es geht darum, eine einmalige Chance zu nützen.
Wer wird ein olympischer Held? Patrick Fischer sagt, dass vor dem Spengler Cup noch vier bis fünf Plätze offen waren.
Gehen wir das Aufgebot systematisch durch. Es braucht 3 Torhüter, 8 Verteidiger und 14 Stürmer aus der NLA. Jene, die sich bei der WM 2017 in Paris bewährt haben, geniessen einen Bonus. Der Spengler Cup war die letzte Gelegenheit, sich doch noch für das olympische Turnier zu empfehlen.
Gesetzt war bereits vor dem Spengler Cup Leonardo Genoni (SC Bern). Kandidaten für die restlichen zwei Plätze sind Jonas Hiller (Biel), Tobias Stephan (Zug), Robert Mayer (Servette), Niklas Schlegel, Lukas Flüeler (ZSC) und Luca Boltshauser (Kloten).
Die Auswahl ist gross, jedoch völlig unbrisant: Leonardo Genoni ist mit grossem Abstand die Nummer 1 und wird wahrscheinlich alle Partien bestreiten. Für die zwei anderen Torhüter im Aufgebot geht es mehr oder weniger bloss um eine schöne Reise, ein aufregendes Erlebnis und die Ehre, auch dabei gewesen zu sein. Das höchste aller Gefühle wäre ein Einsatz gegen das tapfere südkoreanische Operetten-Team.
Gesetzt waren bereits vor dem Spengler Cup Raphael Diaz, Dominik Schlumpf (Zug), Philippe Furrer (Lugano), Eric Blum, Ramon Untersander (SCB), Romain Loeffel (Servette) und Joël Genazzi (Lausanne). Es ist also nur noch ein Platz zu vergeben.
Die Kandidaten für dieses letzte olympische Verteidiger-Ticket sind, in der Reihenfolge ihrer Chancen: 1. Felicien Du Bois (Davos), 2. Christian Marti, 3. Patrick Geering (ZSC). 4. Noah Schneeberger (Davos), 5. Dave Sutter (ZSC) und 6. Yannick Rathgeb (Gottéron).
Gesetzt waren schon vor dem Spengler Cup Thomas Rüfenacht, Simon Moser, Gaëtan Haas (SCB), Vincent Praplan, Denis Hollenstein (Kloten), Tanner Richard, Cody Almond (Servette), Pius Suter, Reto Schäppi (ZSC) und Andres Ambühl (Davos).
Vier Plätze sind noch zu vergeben. Die Kandidaten heissen: 1. Simon Bodenmann, 2. Tristan Scherwey (SCB), 3. Damien Brunner, 4. Luca Fazzini (Lugano), 5. Fabrice Herzog (ZSC), 6. Enzo Corvi (Davos) 7. Reto Suri (Zug), 8. Noah Rod (Servette), 9. Joël Vermin (Lausanne), 10. Gregory Hofmann, 11. Luca Cunti (Lugano) und 12. Lino Martschini (Zug).
Wir sehen also, dass Patrick Fischer das Team schon vor dem Spengler Cup mehr oder weniger im Kopf hatte. Das Turnier brachte nur eine einzige neue Erkenntnis: Tristan Scherwey ist auch im Nationalteam besser als erwartet. Er hat die Liste der Kandidaten, die ihren Platz noch nicht auf sicher haben, ordentlich durcheinandergewirbelt.
Wie kommt es, dass er auf einmal ein ganz ernsthafter olympischer Kandidat geworden ist? Wir können mit einer anderen Frage beginnen: Wie unterscheiden sich sehr gute von weniger guten Trainern? Natürlich durch die Resultate. Aber auch dadurch, dass sie Spieler besser machen.
Kari Jalonen hat aus einem wilden, manchmal mit seiner Härte überbordenden wilden Kerl einen der besten Flügelstürmer der Liga gemacht.
Vor dieser Saison hatte Tristan Scherwey in den vorangegangenen 79 Qualifikationspartien 10 Tore erzielt. Nun sind es seit Saisonstart in 34 Partien schon 9. Beim Spengler Cup war er einer der wirkungsvollsten Aussenbahn-Feger (1 Tor/1 Assist in drei Einsätzen). Selbst im Finale gegen Team Canada ging fast jeder vielversprechende Angriff von ihm aus.
Kari Jalonen hat an der Technik und an der Hockeyseele seines rauen Energieflügels gefeilt. Unter anderem hat er ihm einen um ein paar Zentimeter längeren Stock verordnet. «Ob das etwas ausmacht, kann ich nicht sagen» erklärt Tristan Scherwey. «Wichtiger scheint mit, dass ich gelernt habe, mich aufs Spiel zu konzentrieren.» Er lasse sich nicht mehr so leicht ablenken und provozieren. Er setzt seine Energie konstruktiv ein.
Vor zehn Jahren (im Sommer 2007) zügelte er noch im Juniorenalter von Fribourg nach Bern. Mit seinen ungestümen Sturmläufen, mit Provokationen und beinharten Checks, oft am Rande der Regularität, spielte er sich in Bern rasch in die Herzen der Fans. Servette-Bandengeneral Chris McSorley jammerte einmal, Scherwey werde noch jemanden umbringen.
Der wilde Energiestürmer bestritt die U18- und zweimal die U20-WM. Aber im Erwachsenenalter hat es ihm nie mehr zu WM-Einsätzen gereicht. Glen Hanlon nahm ihn zwar mit zur WM 2015 in Prag, liess ihn aber nicht auf die Gegner los. Tristan Scherwey sass während des ganzen Turniers auf der Tribüne.
Und jetzt? Olympia ohne Tristan Scherwey? Ja, er ist inzwischen zum heikelsten Fall für Nationaltrainer Patrick Fischer geworden: Kann es sich der Nationaltrainer wirklich leisten, auf den SCB-Stürmer zu verzichten? Unter Umständen wären dann mit Thomas Rüfenacht, Simon Moser, Gaëtan Haas, Simon Bodenmann und Tristan Scherwey fünf SCB-Stürmer im Aufgebot. Dazu Torhüter Leonardo Genoni und die Verteidiger Eric Blum und Ramon Untersander.
Geht so viel SCB hockeypolitisch? Ja, es geht. Schliesslich ist der SCB Titelverteidiger und mit Abstand die beste Mannschaft der laufenden Saison. Viel SCB ist logisch.
Aber sportlich ist das olympische Turnier für den SCB nicht ungefährlich. Es kann sein, dass auch zwei oder gar drei SCB-Ausländer von den Kanadiern oder Amerikanern nominiert werden und Justin Krueger für die Deutschen nach Südkorea reist. Dann würden elf oder zwölf SCB-Spieler, die bessere Hälfte der Mannschaft, bei einem Hockeyturnier acht Zeitzonen weg kurz vor den Playoffs viel Energie verbrauchen. Trainer Kari Jalonen könnte während dieser Zeit gar nicht richtig üben. Seine Herausforderer in Zürich, Lugano, Zug und Davos hätten klar bessere Voraussetzungen.
Es könnte daher sein, dass unter diesen Umständen einem gescheiterten Titelfavoriten die schönste aller Ausreden beschert wird. Sollte der SCB nicht Meister werden, kann SCB-General Marc Lüthi sagen: «Wir haben unsere Titelhoffnungen ewigem olympischen Ruhm geopfert, für uns war das Wohl unseres Hockeys wichtiger als eine Meisterfeier auf dem Bundesplatz.» Und niemand könnte ihm widersprechen.