Warum ist der SCB trotz der viel zu späten Lösung des Torhüterproblems nun doch ein Krisenteam geworden? Ein paar Kennzahlen im Vergleich mit den zwei letzten Gegnern Servette und Davos genügen, um das zu erklären.
Servette, Davos und der SCB beschäftigen ausländische Verteidiger. Bei Davos verteidigt Magnus Nygren. Seine Bilanz: 14 Spiele, 2 Tore, 7 Assists, Plus 5. Vor ihm verteidigte bis zum Wechsel nach Biel Otso Rantakari. Seine Bilanz: 26 Spiele, 8 Tore, 12 Assists, Plus 4. Bei Servette verteidigt Henrik Tömmernes. Seine Bilanz: 30 Spiele, 9 Tore, 15 Assists. Plus 11.
Beim SCB verteidigt Andrew MacDonald. Seine Bilanz: 15 Spiele, 0 Tore, 1 Assist, Minus 4. Bis zu seiner Entlassung verteidigte Miika Koivisto. Seine Bilanz: 15 Spiele, 0 Tore, 2 Assists. Minus 5.
Servette, Davos und der SCB beschäftigen auch ausländische Stürmer. Bei Servette haben die ausländischen Stürmer bisher 106 Punkte produziert. Bei Davos haben die ausländischen Stürmer bisher 97 Skorerpunkte gebucht. Beim SCB haben die ausländischen Stürmer bisher 89 Punkte beigesteuert.
Liga-Topskorer Mark Arcobello (nächste Saison in Lugano) hat allein 44 Punkte auf dem Konto. Also fast die Hälfte. Er genügt als Einziger den hohen Ansprüchen in Bern. Kommt dazu, dass von den drei ausländischen Stürmern nur einer (Jan Mursak) eine Plus-Bilanz hat. Aber offensiv nicht genügt (bloss 12 Skorerpunkte).
Noch Fragen? Nein. Diese Fakten sagen alles. Mit vier guten Ausländern hätte der SCB am Samstag gegen Servette gewonnen (und nicht 3:4 n. V. verloren) und auch in Davos oben gesiegt (und nicht 3:4 verloren). In einer so ausgeglichenen Liga machen die Ausländer bei den nominellen Spitzenteams die Differenz.
Alle Analysen beginnen und enden beim Titelverteidiger mit dem ausländischen Personal. Wäre die sportliche Führung in Bern fähig, die Ausländerpositionen richtig zu besetzen, wie es beispielsweise Chris McSorley bei Servette oder Raeto Raffainer bei Davos getan haben, dann hätten die Berner keine Sorgen. Aber wenn die Schweizer Spieler das ungenügende Leistungsvermögen der Ausländer kompensieren müssen (statt dass die Ausländer die Mannschaft prägen und tragen), dann kommt es unweigerlich zur Krise.
Jahrelang ist gespottet worden, nirgendwo werde so viel Hockey-Geld so schlecht gemanagt wie in Lugano. Inzwischen gilt: Nirgendwo wird Hockey-Geld so sinnlos ausgegeben wie von der sportlichen Führung in Bern.
Dieses Versagen hat die Mannschaft inzwischen aus dem Gleichgewicht gebracht. Der Schlüssel zum Erfolg der ruhmreichen letzten Jahre war die Balance zwischen Offensive und Defensive. Die sehr gute Spielorganisation («Schablonen-Hockey»), die Fähigkeit, den Rhythmus dem Resultat anzupassen, Ebbe und Flut des Spiels zu steuern. Also die Fähigkeit, eine Führung über die Zeit zu schaukeln oder bei Bedarf doch noch eine Wende zu erzwingen. Darin ist der grosse Kari Jalonen ein Hexenmeister.
Um diese Balance zu erhalten, ist eine bestimme Anzahl Spieler notwendig, die über die taktische Intelligenz, die technischen Fähigkeiten und die Erfahrung verfügen, um ein Spiel zu steuern. Der SCB hat mehrere solche Spieler mit Schweizer Pass, mindestens gleich viele wie andere Spitzenteams. Aber sie reichen nicht aus, um das Team auf hohem Niveau im Gleichgewicht zu halten.
Dafür braucht es eben auch die Klasse der vier ausländischen Spieler – wie bei Servette und wie bei Davos. Vorübergehend galt in Bern Torhüter gut, Schablone gut, alles gut. Aber nun müssen wir diese Formel ergänzen: Torhüter gut, Ausländer nicht gut, Schablone nicht gut, nicht mehr alles gut. Und die Gefahr wird immer grösser, dass die Verunsicherung auch auf Torhüter Tomi Karhunen übergreift.
Nicht kontrollierbare Umstände können jedes Team aus der Bahn werfen, jede Mannschaft durchläuft eine Phase der Erneuerung und kann dabei in eine Krise geraten. Es ist auch möglich, dass der Trainer die Kontrolle über die Kabine verliert und ausgewechselt werden muss. Keiner dieser Faktoren trifft bei Bern zu. Wenn eine Mannschaft so offensichtlich durch sportliche Misswirtschaft destabilisiert wird wie in Bern, die Krise also hausgemacht ist, hilft ein Trainerwechsel nicht weiter.
Die Zustände in Bern spotten inzwischen jeder Beschreibung. Noch und noch wird das zahlende Publikum bei Heimpartien verärgert. Ein Hockeykonzern mit einem Gesamtumsatz von mehr als 50 Millionen pro Jahr, den höchsten Zuschauerzahlen Europas und den höchsten Werbeeinnahmen im Land darf es sich eigentlich gar nicht leisten, so durch die Saison zu taumeln.
Selbst wenn es durch einen Glückstreffer gelingen sollte, einen brauchbaren Ausländer für die Playoffs zu verpflichten und mit allem Glück der Welt und dem Beistand der Hockeygötter den Titel zu verteidigen: Was in Bern passiert, ist Betrug am zahlenden Kunden. Am besten Publikum Europas. Der Zuschauer hat ein Recht darauf, dass vom ersten Spiel alles getan wird, um ein Maximum zu leisten, und dass das Geld, das er für sein Ticket bezahlt, kompetent ausgegeben wird.
Noch ist es also möglich, die Playoffs zu erreichen. Und in den Playoffs kann der Trainer die besten Schweizer Spieler bis an die Erschöpfungsgrenze forcieren, mit letzter Kraft die Balance wiederherstellen und sehr weit kommen. Aber bereits zeichnet sich ab: Selbst wenn der SCB Meister werden sollte: Mit dieser sportlichen Führung wird der SCB in den nächsten zwei Jahren den grössten sportlichen Absturz seit dem Wiederaufstieg von 1986 erleben.
Eine Erneuerung wie sie soeben Servette und Davos, aber auch die ZSC Lions erfolgreich durchlaufen, ist durch die unsinnige Verlängerung mit Spielern, die ihre Zukunft längst hinter sich haben (Beat Gerber, Thomas Rüfenacht), nachhaltig erschwert worden. Junge Spieler mit Potenzial wechseln überall hin, nur nicht mehr zum SCB. Wer keine Perspektiven mehr hat, wechselte früher zu überhöhtem Salär zu den Rapperswil-Jona Lakers. Heute nach Bern. Der SCB ist der grösste Lohntreiber für Durchschnittsspieler geworden. Die sportliche Misswirtschaft gefährdet also auch die Zukunft. Dass soeben bei der Niederlage in Davos zwei junge Spieler beim Gegner bei den entscheidenden Treffern den Stock im Spiel hatten, die das SCB-Management als untauglich ausgemustert hat (Luca Hischier, Dario Meyer), passt gut ins Bild.
Was beim SCB die durchaus mögliche Wende erschwert: Wenn der Trainer mit Vertrag bis Ende der nächsten Saison nicht in Frage gestellt werden darf, kann und soll, müssten ja auf einer anderen Ebene die Fehler gesucht und die Konsequenzen gezogen werden. Weil sich aber der allmächtige SCB-Mitbesitzer, -Verwaltungsrat und -Manager Marc Lüthi in Nibelungentreue an seine sportliche Führung klammert, die ihm Stück für Stück das meisterliche Erbe demontiert, das ihm Sven Leuenberger (jetzt Sportchef ZSC Lions) hinterlassen hat, kann und will er die Ursachen der Krise nicht erkennen: die sportliche Misswirtschaft. Es ist in Bern inzwischen wie bei der Geschichte über die neuen Kleider des Kaisers: Sehr viele sehen, dass der Kaiser schon lange nackt ist und keine teuren Gewänder trägt – aber niemand wagt es, dem Kaiser die Wahrheit zu sagen. Kaiser Marc Lüthi ist zu mächtig.
So ist der SCB zur Titanic des Hockeys geworden, die blind durch den Nebel rauscht und einfach darauf vertraut, schon wegen der schieren Grösse und des riesigen Umsatzes unsinkbar zu sein. Dass es schon gut kommt und dass es gelingt, an allen Eisbergen vorbeizukommen. Jedes noch so kleine Erfolgserlebnis wird als «wir haben eben doch recht» interpretiert und verhindert jede Einsicht.
Der SCB ist so auch zum spektakulärsten Krisenteam der Neuzeit geworden. Die Leistungskultur ist nämlich nach wie vor sehr gut und wird sehr gut bleiben. Den Spielern kann vieles vorgeworfen werden, aber niemals fehlende Leistungsbereitschaft und Leidenschaft. Die Mannschaft lebt, die Kabine ist intakt. Niemandem käme es in den Sinn, gegen den Trainer zu sein. Die Mannschaft hat nach wie vor genug gute Schweizer Leitwölfe, um in jedem Spiel eine Chance zu haben und einen Titel zu gewinnen. Es sind mutige Löwen, gemanagt von Eseln.
Kommt der SCB doch noch einigermassen ungeschoren durch die Saison, dann eröffnen sich Marc Lüthi ungeahnte Sparmöglichkeiten: Warum nicht nächste Saison höchstens mit drei Ausländern bestreiten und so mehr als eine halbe Million sparen? Und braucht er einen vollamtlichen Sportchef? Wenn Marc Lüthi selber die Ausländer rekrutiert, kommt es bestimmt besser.