Ein historisches Ereignis und eine gute Sache: Der SC Bern, die SCL Tigers und der EHC Biel ersetzen beim Spengler Cup Ambri, den zweiten Schweizer Teilnehmer neben dem HCD. Die Idee ist während des Berner Derbys am vergangenen Sonntag in der VIP-Loge in Langnau spontan entwickelt und in 24 Stunden umgesetzt worden. Und so ganz nebenbei wird durch dieses «Team Bern» die neue Machtstruktur beim SC Bern erstmals ein wenig sichtbar.
Wie das? Um diese Geschichte zu erzählen, begeben wir uns auf eine Reise nach Moskau und in die slowakische Hauptstadt Bratislava. Erste Station: Moskau. Roter Platz. Leicht gewölbt zwischen dem roten Ziegelbau des Historischen Museums im neorussischen Stil auf der Nordseite und der exotisch anmutenden Basilius-Kathedrale am südlichen Ende.
Auf den Längsseiten die Fassadenfront des Kaufhauses GUM, dem LOEB von Moskau, und auf der gegenüberliegenden Seite die Kremlmauer mit den Prominentengräbern und vor allem dem Lenin-Mausoleum, auf dessen Tribüne die sowjetische Führung den Vorbeimarsch der 1. Mai-Paraden abzunehmen geruhte.
Aus der Position der Regierungsmitglieder oben auf der Tribüne bei der grossen Parade erkannte das Volk in einer Gesellschaft ohne freie Medien die tatsächlich gültige Hierarchie im Politbüro. Wer steht zuvorderst? Welche Verschiebungen hat es seit der Parade vor einem Jahr gegeben? Wer ist in der Gunst aufgestiegen? Wer hat mehr, wer weniger zu sagen? Der Chronist ist so alt, dass er diesem Schauspiel noch beiwohnen durfte, und seine Gewährsleute haben ihm das geheimnisvolle Prozedere erklärt. Ach, das waren noch Zeiten.
Kehren wir in die Gegenwart zurück. Der SCB ist nach drei Titeln in vier Jahren nicht nur in die spektakulärste sportliche Krise seit Einführung der Playoffs gerutscht, aus der er sich nun in guter Berner Art langsam aber sicher wieder herausarbeitet. Erstmals in diesem Jahrhundert gibt es im grössten Hockey-Imperium Europas auch eine Führungskrise. Das Volk weiss eigentlich nicht mehr so genau, wer was und wie viel zu sagen, wer das letzte Wort beim SCB hat. Fast ein wenig wie damals in den 1980er Jahren in der alten Sowjetunion.
Nun mögen wir einwenden, es sei doch nachgerade abwegig, die Machtstrukturen der ehemaligen Sowjetunion mit jenen beim SCB zu vergleichen. Das mag wohl so sein. Aber es gibt eben doch Parallelen. So wie der Präsident beim SCB noch selten das letzte Wort hatte, so war eben in der Sowjetunion nicht immer das formelle Staatsoberhaupt – der Vorsitzende des Präsidiums des Obersten Sowjets – der mächtigste Mann. Oft war der Generalsekretär des Zentralkomitees viel mächtiger und hatte das letzte Wort.
Dank dem Spengler Cup 2021 wissen wir nun, wer beim SCB das letzte Wort hat. Nochmals ein kurzer Blick zurück. Wir befinden uns in der wunderschönen Altstadt von Bratislava während der Eishockey WM 2019. Der langjährige SCB-Saisonkarten-Besitzer Andreas Sigrist sitzt beim Kaffee unter der wärmenden Frühlingssonne in einer Gartenbeiz.
Auf einmal taucht Marc Lüthi auf, seit 1998 SCB-Alleinherrscher. Höflich wie er ist, macht er Small Talk. Auf die entsprechende Frage von Sigrist versichert Lüthi: «Sie können beruhigt sein. So lange ich beim SCB etwas zu sagen habe, werden wir nie – ich betone nie! – beim Spengler Cup mitmachen.» Da Zweifel an den Worten aufkommen, bestätigt er diese Aussage ausdrücklich mehrmals.
Zwei Jahre später ist der SCB beim Spengler Cup an vorderster Front dabei. Mit acht Spielern, mit Trainer Johan Lundskog im Coaching-Team und Obersportchef Raëto Raffainer als Delegations-General. Ohne Boshaftigkeit dürfen wir sagen: der halbe SCB wird nach Davos hinaufreisen, um dem HC Davos beim Spengler Cup beizustehen und auszuhelfen.
Wie ist dieser Gesinnungswandel zu erklären? Ganz einfach: Beim SCB hat Marc Lüthi nicht mehr das letzte Wort. So wie einst bei der 1. Mai-Parade in Moskau die wahre Hierarchie in der Regierung, so bekommen wir nun dank dem «Team Bern» beim Spengler Cup 2021 endlich einen kleinen Einblick in die wahren neuen Machtverhältnisse im «SCB-Politbüro». Anders als damals in Moskau sogar schwarz auf weiss: Als Delegationsleiter des Teams aus Bern amtet Raëto Raffainer. Nicht Marc Lüthi, der Mann, der niemals – niemals! - beim Spengler Cup mitmachen wollte.
SCB-Kronprinz Raëto Raffainer reagiert auf eine entsprechende Frage nach der mutmasslich neuen SCB-Hierarchie etwas grantig: «Sie erwarten doch nicht, dass ich zu dieser These etwas sage...»
Nein, erwarten wir nicht.
Torhüter: Joren van Pottelberghe (Biel), Daniel Manzato (SCB).
Verteidiger: Juuso Hietanen (Ambri), Colin Gerber, Mika Henauer (Bern), Anthony Huguenin, Miro Zryd (Langnau), Beat Forster, Alexander Yakovenko, Noah Schneeberger (Biel).
Stürmer: Phil Varone, Vincent Praplan, Christian Thomas, Cory Conacher, Thierry Bader (SCB), Lauri Korpikoski, Elvis Schläpfer, Tino Kessler, Jere Sallinen (Biel), Harri Pesonen, Alexandre Grenier, Flavio Schmutz, Keijo Weibel, Jesper Olofsson, Nolan Diem (Langnau), Bobby Ryan (34, NHL-Saurier im Ruhestand).
Captain: Beat Forster.
Coaches: Antti Törmänen (Biel), Jason O’Leary (Langnau), Johan Lundskog (SCB).
Delegationsleiter: Raëto Raffainer (SCB)