Als «Märchenfinalist» hat Servette zum zweiten Mal in Folge alle Erwartungen übertroffen. Wird die Mannschaft wegen der dadurch geweckten hohen Erwartungen das Opfer des eigenen Erfolges? Servette steht vor einer schwierigen Saison der Bestätigung. Nach gewichtigen Abgängen ist die Gefahr eines unverhofften Absturzes erheblich.
Chris McSorley, einst in Genf als «Jesus Chris» verehrt, ist bei Servette in Ungnade gefallen, und weil es in der ersten Saison seit dem Wiederaufstieg von 2002 ohne den charismatischen Kanadier so gut gelaufen ist, wächst der Hang zur Undankbarkeit. Nach dem Motto: «Jesus Chris» hat uns verlassen – na und? Aber er ist der Architekt des Teams, das in den letzten zwei Jahren alle Erwartungen übertroffen hat und zweimal hintereinander die Nummer 1 im Welschland war. So mitreissend Servette mit seinem Jugendstil im letzten Frühjahr bis in den Final gestürmt ist, so schwierig wird jetzt die Bestätigung. Weil eine ganze Reihe von Spielern (u.a. Gauthier Descloux, Simon Le Coultre, Roger Karrer, Tyler Moy) erneut ihr bestes Hockey zeigen müssen, und weil die Abgänge von Eric Fehr, Linus Omark und Daniel Manzato nicht kompensiert werden konnten. Kein anderer Finalist seit Einführung der Playoffs (1986) stand auf so dünnem Eis. Nicht auszuschliessen, dass es bald Nostalgiker geben wird, die heimlich seufzen werden: «Ach, Jesus Chris, stehe uns bei.»
Es war keine leichte Aufgabe, in den Schuhen des Hexenmeisters Chris McSorley zu stehen. Aber nach zwei Jahren dürfen wir sagen: Sein Zauberlehrling Patrick Émond ist jetzt auch ein Hexenmeister. Vorletzte Saison auf Rang 4 bestes welsches Team und im letzten Frühjahr die erste Final-Qualifikation seit elf Jahren und erneut die Nummer 1 in der Romandie. Der Kanadier ist der heimliche Coach des Jahres: Im Alter von 54 Jahren hat der langjährige Juniorentrainer in Genf erstmals ein Profi-Team übernommen und seine Autorität ging auch letzte Saison ohne seinen Mentor Chris McSorley im Klub nicht verloren.
Es war noch Sportchef Chris McSorley, der den teuren Robert Mayer nach Davos ziehen liess, ganz auf Gauthier Descloux setzte und Daniel Manzato zur Absicherung als Nummer 2 holte. Die Rechnung ist letzte Saison aufgegangen: Gauthier Descloux bewährte sich in 41 von 50 Qualifikations-Partien als Nummer 1, war hinter Tobias Stephan und Niklas Schlegel (und vor Leonardo Genoni ...) der statistisch drittbeste Goalie der Liga. Und als er verletzt aufgeben musste, trug Daniel Manzato das Team bis in den Final. Aber nun ist Daniel Manzato in Bern die Nummer 2 und Servette steht mit Gauthier Descloux auf der Goalieposition auf dünnem Eis: Es fehlt eine starke Nummer 2. Stéphane Charlin ist talentiert, aber nach einer enttäuschenden Saison in La Chaux-de-Fonds noch kein NL-Torhüter. Servette ist auf der Schlüsselposition im Tor schwächer besetzt als letzte Saison.
Servette hatte vorletzte Saison die beste Abwehr der Liga und letzte Saison kassierten nur Zug und Lausanne weniger Gegentore. Es gibt keine wichtigen personellen Veränderungen und daher auch keinen Grund zur Beunruhigung. Zumal einige junge Verteidiger ein erhebliches Entwicklungspotenzial haben (Karrer, Le Coultre, Chanton). Findet Patrick Émond einen Weg, um Henrik Tömmernes so zu entlasten, dass er nicht wieder pro Abend 25 Minuten Eiszeit schultern muss?
Die Attraktion Linus Omark, hinter Zugs Jan Kovar der produktivste Spieler der Liga, ist aus familiären Gründen aus einem laufenden Vertrag heraus nach Schweden zurückgekehrt. Die Dampfwalze Eric Fehr hat die Karriere beendet. Die beiden konnten nicht vollwertig ersetzt werden. Der neue finnische Stürmer Valtteri Filppula ist ein grosser Name, aber er hat seine temporeichen Tage hinter sich. Noah Rod ist neben Joel Vermin (zieht nach der Saison im Sommer 2022 nach Bern) der einzige Schweizer Nationalstürmer. Unter diesen Voraussetzungen ist es schwierig, die hohe Abhängigkeit von der ausländischen Torproduktion zu verringern – und letzte Saison hat kein anderer Trainer seine ausländischen Spieler so sehr forciert. Weiterhin gilt: Die ausländischen Stürmer sind auch in Genf nicht alles. Aber ohne ausländische Stürmer ist in Genf alles nichts.
Mit dem Vorstoss in den Final hat Servette ein «Hockey-Märchen» geschrieben. Aber nicht unverdient. Dieser Erfolg ist das Produkt seriöser Arbeit, taktischer Klugheit und brennender Leidenschaft. Also nicht einfach dem Zufall und einer Laune der Hockey-Götter geschuldet. Aber wir sehen das Problem in einer gewissen «Zerbrechlichkeit» auf der Torhüterposition: Hält Gauthier Descloux die Saison durch? Ohne ihn gehen die Lichter aus. Servette hat keine ligafähige Nummer 2. Und wie wir es auch drehen und wenden: Topskorer Linus Omark kann nicht ersetzt werden. Bereits die direkte Playoff-Qualifikation wäre ein Erfolg
Jeff Tomlinson hat die Lakers zum Cupsieg, zurück in die NL und zum ersten Mal seit 15 Jahren in den NL-Halbfinal geführt. Trotzdem musste er gehen. Sein Nachfolger Stefan Hedlund steht in grossen Schuhen. Aber immerhin ist das Team für die schwierige Saison der Bestätigung verstärkt worden.
Tomlinson hat in sechs Jahren bei den Lakers die Ziele sogar übertroffen: Cupsieg, Aufstieg, Halbfinal. Trotzdem wird er ersetzt. Eine Torheit? Nicht unbedingt. Wir können auch sagen: Besser den Trainer wechseln, wenn alles noch funktioniert, als wenn alles in Scherben fällt. Janick Steinmann hat mit Stefan Hedlund seinen Wunschkandidaten geholt. Bevor er Sportchef wurde, diente er bei Zugs Farmteam ein Jahr als Assistent von… Stefan Hedlund (2017/18). Und so sagen die alten Lakers, sie hätten schon am Tag der Vorstellung Steinmanns vor zwei Jahren gewusst, dass der nächste Trainer Stefan Hedlund heissen wird.
Kann der Schwede in Jeff Tomlinsons Schuhen stehen? Das ist die entscheidende Frage. Immerhin erreichte er letzte Saison in Schweden mit Skelleftea den Halbfinal. Bei den Lakers kann von ihm niemand erneut einen Halbfinal erwarten. Aber die Pre-Playoffs sollten es schon sein. Mindestens. Die Mannschaft ist qualitativ und quantitativ besser als letzte Saison. Die Lakers sind definitiv von den Miserablen zu den Respektablen geworden und im Kampf um die direkte Playoff-Qualifikation keine chancenlosen Aussenseiter. Scheitert Stefan Hedlund, dann gerät Janick Steinmann in seiner dritten Saison erstmals in die Kritik und die Lakers gehen den Weg zurück zu den Miserablen.
Stefan Hedlund war zwischen 2017 und 2019 ein Jahr Cheftrainer bei Zugs Farmteam und ein Jahr Assistent von Dan Tangnes. Nach einer temporären Rückkehr nach Schweden aus familiären Gründen ist er wieder da. Ein junger, dynamischer Coach, mehr Spielerversteher und Ausbildner als Bandengeneral. Er wird die Lakers taktisch weiterbringen. Die grosse Frage ist, ob auch er ein «Wir-Gefühl» in die Kabine bringt wie sein populärer Vorgänger Jeff Tomlinson. Ein guter Saisonstart ist wichtig. Damit alles ruhig bleibt. Die Arbeit des neuen Trainers wird kritisch mit jener seines erfolgreichen Vorgängers verglichen, dessen Verabschiedung noch immer nicht alle gutheissen.
Zum Glück für die Lakers Ist Melvin Nyffeler ein Koala-Bär. Der Koala kann nur im Eukalyptus-Wald leben. Deshalb lässt er sich nicht weglocken. Melvin Nyffeler ist bisher nur bei den Lakers glücklich geworden und klugerweise bleibt er bei den Lakers und hat gleich vorzeitig bis 2026 verlängert. Er ist also ein Koala, der die Lakers nie verlassen wird.
🌹 Melvin Nyffeler verlängerte gestern seinen Vertrag bei den @lakers_1945 bis 2026. 📝 #NationalLeague
— MySportsCH (@MySports_CH) September 2, 2021
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Diese Standortreue ist das Glück der Lakers. Denn Melvin Nyffeler ist der wichtigste Einzelspieler und hat zu Recht Kultstatus bei den Fans. Nun können wir einwenden, er sei in den letzten drei Jahren statistisch stets einer der drei schwächsten NL-Torhüter gewesen. Aber seine Vorderleute waren halt lange nicht konkurrenzfähig und als sie es endlich waren – in den Playoffs – erspielte er sich sein erstes WM-Aufgebot: Melvin Nyffeler ist zwar nicht alles, aber ohne Melvin Nyffeler ist bei den Lakers alles nichts. Noël Bader ist ein Lückenbüsser und keine künftige Nummer 1. Spielte Melvin Nyffeler aus irgendeinem Grund nicht sein bestes Hockey, flackern bei den Lakers die Lichter oder sie gehen ganz aus.
Alle Bemühungen, Dominik Egli zu halten, sind gescheitert. Der beste Schweizer Offensivverteidiger der Klubgeschichte ist nach Davos gezogen. Die Lakers haben deshalb erstmals seit 2018 (Matt Gilroy) wieder einen ausländischen Verteidiger verpflichtet. Und zwar mit Emil Djuse einen, der fast die ganze Last zu tragen vermag: Er hat letzte Saison bei Spartak Moskau fast 25 Minuten pro Partie durchgehalten. Der ausländische Verteidiger ist bei den Lakers von zentraler Bedeutung.
In der Hoffnung, den nächsten Dominik Egli zu finden, hat der Sportchef mit David Aebischer, Inaki Baragano und Nathan Vouardoux gleich drei Nachwuchsnationalspieler verpflichtet. Die restlichen Verteidiger sind von so überschaubarer Qualität (Sataric, Maier, Bircher), dass die Zukunftshoffnungen rund um den neuen schwedischen Verteidigungsminister viel Eiszeit bekommen werden.
Wir haben Roman Cervenka, also sind wir: Das galt in den letzten zwei Jahren für die Offensive. Weil der Tscheche letzte Saison nicht nur 32, sondern 49 Partien bestreiten konnte, reichte es für die Pre-Playoffs und anschliessend für die Playoffs. Nun wird der zerbrechliche Zauberer 36. Er wird die Lakers nicht mehr jeden Abend retten können. Captain Andrew Rowe ist offensiv zu limitiert, Steve Moses wird mit einer Achillessehnenverletzung lange fehlen und sein Ersatz Zack Mitchell ist eher Mitläufer als Tormaschine und Leitwolf. Das ist die Chance für die Schweizer. Für Marco Lehmann und Nando Eggenberger, die letzte Saison enorme Fortschritte machten. Sie haben das Potenzial für mehr als 15 Tore.
Die Lakers sind gut genug, um die gute letzte Saison nun unter einem neuen Trainer zu bestätigen – das heisst: um die Pre-Playoffs zu erreichen. Aber sie haben während einer langen Qualifikation noch nicht den sportlichen Kurswert eines Halbfinalisten. Die erste Halbfinal-Qualifikation seit 2006 war mehr ein Wunder und kein logisches Resultat. Die Lakers haben zwar auf dem heimischen Markt viel transferiert. Aber nur der meisterliche Center Yannick-Lennard Albrecht (von Zug) ist ein grosser Transfer. Viel Umsatz, zu wenig Ertrag, den Erfolgstrainer verabschiedet und hohe Erwartungen nach dem Halbfinal – das ist eher der Stoff für sportliche Dramen und weniger für neue Triumphe.
In einer Zeit, in der das Eishockey jünger und schneller wird, steigt Christian Dubé mit dem ältesten Team der Liga in die Saison. Kann das funktionieren? Die Antwort auf diese Frage dürfte sein Schicksal als Trainer und Sportchef bei Gottéron entscheiden. Die schwierige Bestätigung des letztjährigen 3. Ranges ist seine bisher grösste Herausforderung.
Der kluge Schauspieler Jack Nicholson hat einmal gesagt: «Älter werden heisst auch besser werden.» Christian Dubé muss hoffen, dass diese Weisheit auch für seine Spieler gilt. Denn er hat im Laufe der letzten Jahre die mit Abstand älteste Mannschaft der Liga zusammengestellt. Jeder Schlüsselspieler ist älter als 30 und ein «grauer Panther». Von Torhüter Reto Berra (34) über den neuen Abwehrchef Raphael Diaz (35) und Philippe Furrer (36) bis zu Captain Julien Sprunger (35) und den vier Ausländern Chris DiDomenico (32), David Desharnais (34), Ryan Gunderson (35) und Daniel Brodin (31).
Routine und nachlassende Schnelligkeit statt der Dynamik der Jungen in Zeiten des Tempos. Es wäre eine Überraschung, kämen alle Graubärte beschwerdefrei durch die Saison.
Gottéron ist zwar nicht das erste Team in der Historie, das auf Routine setzt und die Jugend ignoriert. Der SCB tat es zuletzt 2018/19, um noch einmal einen weiteren Titel zu holen – und landete seit der Meisterfeier von 2019 zweimal auf dem schmählichen 9. Rang.
Gottéron hat seit 2014 (gegen Ambri) trotz grossen Infrastruktur- und Transfer-Investitionen keine Playoff-Serie mehr gewonnen und dreimal die Playoffs verpasst. Die Ausrichtung auf die Alten macht also weniger Sinn als damals in Bern.
Reicht es im Frühjahr 2022 nicht mindestens für den Halbfinal, dann stehen Gottéron und Christian Dubé mit seinem aus der Zeit gefallenen Doppelmandat Trainer/Sportchef und der Strategie der «grauen Panther» vor einem Scherbenhaufen.
Christian Dubé ist der charmanteste Diktator des Hockeys. Diktator? Nicht ganz. Er zwingt niemandem seinen Willen auf. Er ist allmächtig, weil ihm bei Gottéron alle sportliche Macht überlassen wird. Es sind die Schwächen eines Operetten-Verwaltungsrates (nach dem Ausscheiden von Slawa Bykow) und eines Operetten-Managements (aus dem sich Manager Raphael Berger verabschiedet hat), die ihn so stark machen, dass er weiterhin als Sportchef und Trainer den sportlichen Takt auf und neben dem Eis vorgeben kann. Den Job als Sportchef macht er gut. Seine Transfers machen Sinn und nun hat er mit Gerd Zenhäusern einen Gehilfen, der als eine Art Untersportchef die Administration der Sportabteilung führt und beim Scouting hilft.
Aber als Trainer fehlt ihm ein so starker Assistent wie es vorletzte Saison der ehemalige Nationalcoach Sean Simpson war. Unabhängig von der Person ist ein Doppelmandat Trainer/Sportchef im Jahr 2021 nicht mehr zeitgemäss. Die Anforderungen sind zu umfangreich und zu zeitintensiv geworden. Das fehlende Gespür, um junge Spieler weiterzubringen, heimliche Kritik über bescheidene Trainingsintensität und das klägliche Scheitern in den Playoffs erlauben keine bessere Bewertung. Christian Dubé ist ein guter «Schönwetter-Coach» für die Qualifikation. Aber weder Ausbildner noch Bandengeneral für die grossen Playoffs-Dramen.
Das Duo Reto Berra/Connor Hughes ist eines der besten der Liga – und hat nach wie vor für Gottéron keine Playoff-Serie gewonnen. Reto Berra war in der Qualifikation ein Titan, aber im Viertelfinal gegen Servette, gemessen an seinem Talent, ein Lottergoalie (Fangquote 88,20 %). Gute Torhüter gibt es viele. Sie hexen vom September bis im März. Grosse Torhüter hexen vom März bis Anfang Mai. Sie sind selten. Reto Berra war letzte Saison «nur» ein guter Torhüter.
Eine «heilige defensive Dreifaltigkeit» mit Raphael Diaz, Ryan Gunderson und Philippe Furrer wäre noch 2015 meisterlich gewesen. Aber nun haben wir das Jahr 2021. Gottérons drei wichtigste Verteidiger erreichen zusammen das biblische Alter von 106 Jahren. Es ist möglich, dass sie die ganze Saison verletzungsfrei durchhalten, aber darauf wetten sollte man nicht. Trotzdem: Gottérons Abwehr ist dank des Transfers von Raphael Diaz besser als letzte Saison.
Sieben Stürmer erzielten mindestens zehn Treffer (Mottet, DiDomenico, Herren, Sprunger, Desharnais, Stalberg). Nun wird Raphael Diaz das beste Powerplay der Liga der letzten Saison (Erfolgsquote von 23,56 Prozent) noch besser machen. Eine Steigerung ist möglich. Aber mit Ausnahme von Sandro Schmid und Daniel Brodin haben letzte Saison alle Stürmer ihr Potenzial ausgeschöpft. Gelingt das noch einmal? Nein. Letzte Saison machte der Konkurrenzdruck unter den Ausländern Chris DiDomenico Beine. Nun muss ihm Christian Dubé Beine machen. Neu stehen nicht mehr fünf, sondern nur noch vier ausländische Spieler zur Verfügung.
Gottéron kam letzte Saison ohne Krise durch die Qualifikation und es war die ruhigste in diesem Jahrhundert. Aber es wäre fast ein Wunder, wenn noch einmal ein 3. Platz gelingt. Die Mannschaft ist zwar auf einer wichtigen Position verstärkt worden (Raphael Diaz) und ein Jahr erfahrener und schlauer geworden. Aber halt auch ein Jahr älter. Ein herbstliches Hoch kann erneut für eine lange spielerische Schönwetterlage sorgen. Aber es sieht eher nach Gewitterfronten und wechselhaftem Wetter aus.
Sonst kommen magere Jahre auf uns zu.