Gemeinsam mit den Lakers und Gottéron punktelos am Tabellenende. Beim Aufsteiger kein Grund zur Panik. Damit musste der Neuling rechnen. Und die ganze Historie von Gottéron ist ja eine Kulturgeschichte der Entbehrungen und Enttäuschungen. Dazu gehören Aufenthalte am Tabellenende.
Aber der HCD nach zwei Runden noch punktelos? Fehlstarts hat es zwar ab und an gegeben. Im Herbst 2012 gingen beispielsweise sieben der ersten zehn Partien verloren. Aber bei den beiden Startpleiten gegen Kloten und die Lakers gab es wenigstens je einen Punkt.
Rückschläge und wilde Zeiten hat es in Davos während den letzten 22 Jahren unter Arno Del Curto seit 1996 immer wieder gegeben. Da war beispielsweise die Finanzkrise zu Beginn des Jahrhunderts. Oder die Emotionen um den Rücktritt von Reto von Arx.
Aber es waren letztlich nur kurzweilige Episoden, die das tiefe HCD-Selbstvertrauen nicht einmal zu ritzen vermochten. Dieses Selbstverständnis, auf einer Mission zu sein. Der Mission, das Eishockey ständig besser zu machen und dabei immer neue Gipfel des Ruhmes zu erstürmen. Immer schneller. Immer besser. Immer anders. Immer unkonventionell. Immer HCD.
Zweifel haben Arno Del Curto tief in der Hockey-Seele nie geplagt. Aber nun zweifelt er nach den zwei Pleiten gegen Lugano (1:3) und Ambri (2:5) mit dem ausländischen NHL-Lottergoalie Anders Lindbäck (Fangquote 89,90 %). Sportliche Krise? Ja, auch. Aber eher eine tiefer gehende Sinnkrise.
Kürzlich fragte mich ein bekannter Spieleragent, dessen Namen mir bereits wieder entfallen ist, was eigentlich mit Arno Del Curto los sei. Er habe in Arnos Auftrag nach einem starken ausländischen Center gesucht, einen in Finnland gefunden und offeriert. Arno habe sich bedankt und versichert, man werde sich umgehend melden. Am anderen Tag habe er vernommen, dass die Davoser einen ausländischen Torhüter verpflichtet haben.
Um zu verstehen, wie es im aufgewühlten HCD-Innenleben in diesen Tagen zu- und hergeht, können wir uns nicht mehr auf offizielle Verlautbarungen verlassen. Erst recht nicht mehr, seit der kluge, umsichtige HCD-Obmann Gaudenz Domenig seinem Trainer untersagt hat, sich spontan öffentlich über Interna zu äussern. Dieser «Maulkorb-Erlass» kränkt Arno Del Curto nach wie vor.
Aber es gibt natürlich Gewährsleute, mit denen sich der HCD-Sportchef und -Trainer austauscht. So ist es verhältnismässig einfach, ein wunderbares hochalpines Hockey-Krisen-Panorama zu entwerfen.
Am Anfang dieses herbstlichen Hockey-Dramas steht eine gutgemeinte Naivität der beiden jungen Torhüter Joren van Pottelberghe (21) und Gilles Senn (22). Sie haben ihrem Chef anvertraut, dass sie im Sommer 2019 ihr Glück in Nordamerika suchen werden. Bei den NHL-Organisationen, die sich im Draft ihre Rechte gesichert haben (New Jersey, Detroit).
Damit haben sie sich bei Arno Del Curto aus dem Spiel genommen. Bedingungslose Loyalität ist seit allen Zeiten die unverhandelbare Voraussetzung, um ein wahrer «Zeuge Del Curtos» zu sein. Jetzt schon den Kopf in Amerika? Das geht nicht. Das ist sozusagen «Verrat».
Darin stimmen alle Berichte aus dem HCD-Inneren überein: Arno Del Curto habe nicht nur das Vertrauen in seine Goalies verloren, die ihn immerhin schon zweimal in die Playoffs und einmal ins Halbfinale gebracht haben. Er sei inzwischen überzeugt, dass auch die Mannschaft dieses Ur-Vertrauen in die Goalies nicht mehr habe. Und er traue beiden nicht zu, mental den Belastungen eines Kampfes um die letzten Playoffplätze gewachsen zu sein.
Der Chef habe es sich nicht leicht gemacht und sicherlich fünf Wochen mit sich gerungen, bis er sich für die Verpflichtung eines ausländischen Torhüters entschieden habe.
Um das Budget zu entlasten und Geld für Transfers freizubekommen, darf nun einer der beiden heimischen Goalies sofort gehen um anderorts Spielpraxis zu bekommen. Das bestätigt Arno Del Curto auf Anfrage. Derjenige, der zuerst mit einem akzeptablen Vorschlag komme, dürfe zu einem anderen Klub wechseln. Joren van Pottelberghes Agent ist bereits daran, den Markt zu sondieren.
Damit haben wir auch die Erklärung für die Verwirrung des eingangs erwähnten Spieleragenten: Arno Del Curto sucht nämlich tatsächlich nach wie vor einen ausländischen Mittelstürmer. Als Ersatz für den dauerverletzten Sami Sandell. Mit seiner Genesung in nützlicher Frist werde nicht mehr gerechnet. Vielleicht kommt der besagte Agent mit dem HCD-Cheftrainer ja doch noch ins Geschäft.
Allerdings geht es inzwischen um mehr als «nur» die Besetzung der Ausländerpositionen: Arno Del Curto habe erkannt, dass nach dem Aderlass der letzten Jahre ein tiefgreifender Wechsel der Philosophie von Nöten sei.
Der «Hockey-Romantiker», der 20 Jahre lang nach dem noch schnelleren, perfekteren Hockey gesucht und nie gezweifelt habe, mutiere zum Hockey-Realisten. Er sehe die Notwendigkeit, nun auf unerbittliches Zweckhockey («SCB-Hockey») umzustellen. Es gebe keine Möglichkeit, den HCD wieder zu einem Spitzenteam aufzurüsten. Die Chance, dass Enzo Corvi bleibe, werde inzwischen höchstens noch auf 50:50 geschätzt. Der WM-Silberheld habe versprochen, spätestens bis zur Nationalmannschafts-Pause im November bekannt zu geben, wo er seine Künste nächste Saison vorführen wird.
Auf dem Eis zeigt sich, wie schwierig die Umstellung auf die neuen Erfordernisse ist. Soeben sind die Davoser gegen Ambri nach gutem Beginn (1:1 nach einem Drittel) wieder ins alte Fahrwasser des stürmischen Vorwärtsdranges geraten und gnadenlos ausgekontert worden (2:5-Niederlage).
Arno Del Curto habe nach der Partie im kleinen Kreis einen bemerkenswerten Satz gesagt: Das sei nicht mehr der HCD, der auf dem Eis machen könne, was er wolle. Auch in Davos müsse man sich auf die Gegner einstellen. Und es sei beunruhigend, dass nicht nur die jungen, sondern auch die Routiniers den Kopf verloren haben.
Eine echte, tiefe sportliche HCD-Krise hätte natürlich einen ganz besonderen Reiz und würde den Unterhaltungswert des Spengler Cups erhöhen. Der HCD in der Altjahrswoche immer noch unter dem «Strich» – welch ein Spektakel! Gerüchte, Mutmassungen und Polemik rund um Arno Del Curto, sogar Spekulationen über seine Absetzung würden uns bestens unterhalten.
Aber so weit ist es noch lange nicht. Wir sollten nicht den Fehler machen, Arno Del Curto zu unterschätzen. Eigentlich ist der «ewige HCD-Trainer» selbst in diesen Zeiten der Zweifel zu beneiden. Erst im Alter von 62 Jahren wird er im Berufsleben genötigt, vom Romantiker zum Realisten zu werden.
Im richtigen Leben wird einem diese Umstellung spätestens mit dem Erreichen des 30. Lebensjahres abverlangt.
Egal, Hauptsache ein Punkt im Bullshit-Bingo.