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Ein unmoralisches Angebot? Durchaus. Kevin Schläpfer hat in Biel einen Vertrag bis 2018. Ohne Ausstiegsklausel. «Wir haben bei der vorzeitigen Vertragsverlängerung auf seinen ausdrücklichen Wunsch auf eine Ausstiegsklausel verzichtet» sagt Sportchef Martin Steinegger. Das passt zu Kevin Schläpfer: So wie man schwanger ist oder eben nicht, so bindet man sich an einen Klub – oder eben nicht. Halbpatzigkeiten wie Ausstiegsklauseln waren noch nie sein Ding.
Trotzdem hat Nationalmannschaftsdirektor Raeto Raffainer (33) hinter dem Rücken des Bieler Managements Kevin Schläpfer die Offerte gemacht, Nationaltrainer zu werden. Vielleicht werden wir in ein paar Monaten erkennen, dass genau diese Offerte eine Krise ausgelöst hat.
Kevin Schläpfer hat eine ganz besondere Beziehung zu Biel. Hier hat er nach seinem Rücktritt als Spieler eine neue Karriere aufgebaut. Zuerst ab 2007 als Sportchef und dann ab 2010 als Trainer. Hier ist er eine der populärsten helvetischen Hockeypersönlichkeiten geworden. Darüber hinaus haben ihn die Bieler auch ausserhalb des Hockeybetriebes in schwierigen Zeiten (Scheidung) unterstützt.
Biel, so wie wir es heute kennen, wäre ohne Kevin Schläpfer nicht möglich. Aber Kevin Schläpfer, wie wir ihn heute kennen, wäre ohne Biel auch nicht möglich. Ohne Biel hätten wir seinen Namen wahrscheinlich schon vergessen. Zwischen Biel und Kevin Schläpfer gibt es eine gegenseitige Abhängigkeit, die es in den letzten 30 Jahren in dieser Form sonst nur noch in Davos (mit Arno Del Curto) und in Genf (mit Chris McSorley) gegeben hat.
Biel war bis heute immer bedingungslos loyal zu Kevin Schläpfer – und umgekehrt war Kevin Schläper immer absolut loyal zu seinem Arbeitgeber. Mit Loyalität ist so wenig zu spassen wie mit Treue. Kevin Schläpfer Trainer in Langnau, Bern, Zug, Zürich oder Ambri? Nicht denkbar. Nie ein Thema für ihn. Trainer bei einem anderen Klub als Biel zu sein, hat ihn sowieso noch nie wirklich interessiert.
Aber Nationaltrainer zu sein, das schon. Der Spieler, dem es nie für eine grosse NLA-Karriere reichte und schon gar nicht für Länderspiele wird auf einmal Nationaltrainer. Wow! Ein Bubentraum geht in Erfüllung! Bei diesem Angebot musste Kevin Schläpfer erst einmal durchatmen – und seit diesem Angebot hat er fünf von sechs Partien verloren. Durch dieses Angebot hat er sozusagen seine Unschuld verloren. Zum ersten Mal ist er in Gedanken hockeytechnisch fremdgegangen.
Biel ist nominell nach wie vor kein Playoffteam. Aber unter Kevin Schläpfer haben die Bieler bisher meistens so gespielt, als seien sie ein wenig talentierter, grösser, schwerer und schneller als sie in Wirklichkeit sind. Biels Erfolge der Vergangenheit – in vier Jahren dreimal in den Playoffs – haben viel mit «weichen Faktoren» zu tun, die der Trainer direkt beeinflusst: Leidenschaft, Engagement, Wille, Disziplin.
Am Dienstagabend spielte Biel gegen Zug. Die Fotografen haben von ihren Kunden den Auftrag, die Fans im Auge zu behalten. Das Nationaltrainerangebot ist das (Medien-) Thema der Stunde. Wer weiss, vielleicht entrollen die Fans ja ein Transparent. Oder es gibt sonst irgendeine Aktion.
Die Chronistinnen und Chronisten, Kevin Schläpfer und das Management mag das Thema auch umtreiben – und vielleicht auch einzelne Spieler. Aber dem Publikum ist es egal. Die Zuschauerinnen und Zuschauer wollen ein gutes Hockeyspiel sehen. Sie werden enttäuscht.
Bieler verlieren 2:3 und haben trotz einer 1:0-Führung in dieser Partie keine echte Chance. Nie kommt das Gefühl auf, sie könnten dieses Spiel gewinnen. Das 2:3 gelingt erst 8,40 Sekunden vor Schluss. Da ist längst alles gelaufen. Inzwischen die 6. Niederlage im 7. Spiel.
Warum hat Biel verloren? Weil zu viele Kleinigkeiten nicht stimmen. Torhüter Lukas Meili hat nur 88,00 Prozent der Schüsse abgewehrt. Nach wie vor kann Biel nur drei Ausländer einsetzen, weil Ahren Spylo immer noch verletzt ist. Neue Spieler, die tragende Elemente sein sollten wie Fabian Sutter (von Zug mit einem Dreijahresvertrag geholt) sind ausser Form. Mittelstürmer Fabian Sutter war auf die Tribüne verbannt worden – obwohl mit Gaëtan Haas ein Center verletzt ist. Eigentlich verlieren die beiden schwedischen Stürmer das Spiel.
Inzwischen haben Niklas Olausson (-13!) und Per Arlbrandt (-8) die schwächsten Plus/Minus-Statistiken des Teams. Eine Tändelei von Olausson und ein Wechselfehler von Arlbrandt führen direkt zu Gegentreffern.
Ganz entgegen seiner Gewohnheit macht Kevin Schläpfer nach dem Spiel öffentliche Einzelkritik. «Wir sollten Spiele dank unserer ausländischen Stürmer gewinnen. Es ist nicht normal, dass wir wegen den beiden Schweden Spiele verlieren.» Es liege nicht am fehlenden Willen. Auch die physische Verfassung sei okay. «Aber inzwischen fehlt es wohl an der Spielintelligenz.» Starker Tobak.
Es ist nicht mehr der Kevin Schläpfer des Septembers, als er vier der ersten fünf Partien gewonnen hatte. Er kritisiert nicht nur öffentlich Einzelspieler. Er redet auch Leistungen und Spiel schön. Das ist ganz und gar nicht seine Art. Ausländer kritisieren und das Spiel schönreden – das ist etwas, was gewöhnliche Trainer tun. Aber Kevin Schläpfer ist kein gewöhnlicher Trainer.
Wenn Kevin Schläpfer und seine Bieler rocken, dann werden Spiele auch gewonnen, wenn viele Kleinigkeiten nicht stimmen. Kevin Schläpfer und die Bieler rocken (vorübergehend?) nicht mehr. Obwohl es die nominell beste Mannschaft seit dem Wiederaufstieg von 2008 ist.
Dass Kevin Schläpfer und Biel nicht rocken, hat wohl auch etwas mit den unmoralischen Nationaltrainerangebot zu tun. Ein starkes Indiz für diese Theorie: Auf Wunsch von Kevin Schläpfer hat Biels Management alle Chronistinnen und Chronisten per E-Mail angewiesen, kein Fragen zum Thema Nationaltrainer zu stellen – Kevin Schläpfer werde keine diesbezüglichen Fragen beantworten. Und als ein vorwitziger Chronist das Thema nach dem Spiel doch anschneiden will, sagt er unwirsch: «Wenn ihr weiter solche Fragen stellt, gehe ich.» Und auch vor den TV-Kameras ziert er sich und mag nicht über das Thema Nationaltrainer plaudern.
Aber dieses Thema wird er so schnell nicht mehr los. Heute Abend leitet er das traditionelle Plauschtraining mit Chronistinnen und Chronisten, das der Liga-Hauptsponsor PostFinance jedes Jahr bei mehreren Klubs durchführt – inkl. gemütlichem Beisammensein bei Speise und Trank. Diesmal gibt es so viele Anmeldungen wie noch nie. Über 30. Und alle treibt eine Frage um: wird Kevin Schläpfer am Ende doch noch Nationaltrainer? Kevin Schläpfer hat seine Unschuld verloren und wird sie in Biel vorerst nicht wiederfinden.