So viele Fehler. So viel Spektakel (40:30 Torschüsse). So gute Unterhaltung. Die bange Frage für die ZSC Lions: Wie stabil ist Biels spielerische Schönwetterlage? Es gibt eine interessante Zahl: Die Bieler haben in der Qualifikation zwei Treffer weniger kassiert als die Zürcher. Sie können also auch defensiv.
Auch beunruhigend: Mike Künzle erzielt zwei Treffer. Obwohl seine Standard-Linienpartner Damien Brunner und Luca Cunti wegen Verletzung und Krankheit fehlen. Biels Spektakel mag zerbrechlich sein. Aber bald wird sich zeigen, ob das Selbstvertrauen der Zürcher und die Position ihres Trainers noch zerbrechlicher sind.
Oder ist es der perfekte Playoff-Start für die ZSC Lions? Auch das sollten wir nicht ausschliessen. Ein Titelkampf ist noch nie im ersten Viertelfinalspiel entschieden worden. Im Gegenteil: Davos (2009 1:2 gegen Lugano), die ZSC Lions 2014 (1:4 gegen Lausanne) und 2018 (1:4 in Zug) sowie der SCB 2019 (0:2 Servette) verloren auf dem Weg zum Titel erst einmal die erste Partie in den Viertelfinals. Und im Frühjahr 2015 starteten die ZSC Lions mit einer 0:2-Heimniederlage gegen die Bieler in die Viertelfinals und rückten doch bis in den Final vor, den sie gegen Davos verloren.
Noch ist es möglich, dass für die Zürcher eine alte welsche Redensart gilt: «Reculer pour mieux sauter» (Sinngemäss: Ein Schritt zurück, um dann umso weiter springen zu können). Die ZSC Lions haben drei der vier Direktbegegnungen in der Qualifikation gegen Biel gewonnen. Eigentlich ist sogar alles andere als eine Finalqualifikation mit dieser Mannschaft als Misserfolg zu werten. Eine bessere Lektion als dieses 4:5 gegen Biel konnte sich Trainer Rikard Grönborg für seine Jungs gar nicht wünschen. So gesehen ist es der perfekte Start.
Wenn nicht der perfekte Start auf dem Weg in den Final, dann ist diese Partie der Anfang vom Ende einer Ära: Trainer Rikard Grönborg hat in Zürich bisher alle Ziele verfehlt: Den Cupfinal auf eigenem Eis 2021 gegen den SCB schmählich verloren und im Halbfinal vor einem Jahr gegen Servette kläglich gescheitert. Bei einem dritten Scheitern würde der Trainer-Titan Grönborg zum entlassbaren Zwerg schrumpfen. Er hätte keine Ausreden mehr.
Erstaunlich bei dieser ersten Partie: Zur DNA des schwedischen Schablonenhockeys gehört das Spiel ohne Scheibe. Die Spieler ohne Puck wissen genau, wie sie sich zu verhalten haben. Es ist die Basis einer stabilen Defensive. Die Zürcher aber zelebrierten «Pausenplatz-Hockey». Kreativ, spektakulär, sorglos und manchmal gar ein wenig zerstreut.
Einerseits ist das bei so vielen talentierten offensiven Leitwölfen nicht verwunderlich. Wenn Denis Malgin und Sven Andrighetto gemeinsam stürmen, müssten eigentlich zwei Pucks im Spiel sein. Andererseits ist so viel spielerischer Leichtsinn mit dem berühmtesten schwedischen Trainer der Zeitgeschichte an der Bande schon ein wenig verwunderlich. Kehren Konzentration, Ordnung und taktische Disziplin nicht zurück, dann ist kein Schurke, wer fragt: Erreicht der Trainer seine Spieler noch oder leiden sie schon unter dem Göschenen-Airolo-Syndrom? Die Botschaft des Chefs «fährt» bei einem Ohr rein und beim anderen raus. Wie die alte Eisenbahn in Göschenen in den Tunnel und in Airolo wieder raus.
Die Bieler sind Hockey-Romantiker. Sie leben seit dem Wiederaufstieg von 2008 eine in dieser Art einmalige, familiär geprägte Hockeykultur. Sie setzen der geschäftigen Professionalität der Interessengemeinschaft der Zürcher Hockey-Jungmillionäre Leidenschaft, Mut und Kreativität entgegen. An einem guten Abend sind sie dazu in der Lage, mit ihrem dynamischen, kreativen Tempospiel jeden Gegner zu überraschen und weit über ihren spielerischen Nominalwert hinauszuwachsen. Aber bisher sind sie auf dem Weg zum Final immer spätestens nach der ersten Runde am taktischen Realismus ihrer Gegner zerbrochen.
Zürichs Realisten gegen Biels Romantiker: Durchaus möglich, dass dieser Viertelfinal die spektakulärste und unterhaltsamste Playoffserie dieses Frühlings wird. Obsiegen die Bieler, dann folgt zum Abschied aus dem Hallenstadion ein Hockey-Theaterstück im Büro der ZSC Lions. Wie es sich als Schlussakt zum Abschied aus dem Unterhaltungstempel Hallenstadion gehört. Eigentlich passender als eine Meisterfeier. Die ZSC Lions zügeln ja im Sommer in einen neuen, noch seelenlosen Hockey-Palast vor den Toren von Zürich.
Daher umso grösser meine Freude über den verdienten Sieg von Biel.
Stäcketöri, die hochkarätige Hipstercrew würde ja sogar üserein an der Bande ins Finale coachen!
Item, #Schweden raus!