45 Jahre ist es her. Dienstag, 2. März 1976. Die gute alte Zeit. Die höchste Spielklasse heisst Nationalliga A (NLA). Sie besteht aus 8 Teams: Langnau, Biel, Bern, La Chaux-de-Fonds, Sierre, Ambri, Kloten und Villars. Die Meisterschaft wird in 28 Spielen ausgetragen: je zwei Heim- und Auswärtspartien gegen jeden Gegner. Erlaubt ist ein Ausländer. Für einen Sieg gibt es zwei Punkte. Für ein Remis einen. Der letzte (in dieser Saison Villars) steigt automatisch ab.
Die Entscheidung fällt im 28. und letzten Spiel. Aufsteiger Biel braucht einen Sieg. Langnau reicht ein Remis.
Vor 5878 Fans (ausverkauft) überrollen die Langnauer mit ihrem Powerhockey die Bieler. Nach 13 Minuten steht es bereits 3:0. Der Rest ist Glückseligkeit in der schönsten und längsten Nacht des Emmentals. Am Ende gewinnt Langnau 6:3.
Es ist der letzte Titel einer echten Dorfmannschaft. Langnau zählt mit seinen Aussenbezirken knapp 10'000 Einwohnerinnen und Einwohner. Aber bis auf die beiden Torhüter Edgar Grubauer und Michael Horak sowie Stürmer Heinz Huggenberger und Spielertrainer Jean Cusson sind alle im Dorf aufgewachsen.
Jean Cusson (er verlässt das Emmental nach der Meisterfeier) ist der einzige Profi. Alle anderen gehen einer geregelten Berufstätigkeit nach und verdienen gleich viel bzw. gleich wenig und knapp fünfstellig. Kleine Unterschiede gibt es nur in der Spesenentschädigung. Einige wohnen inzwischen nicht mehr in Langnau.
Auch der Hauptsponsor (Tiger Käse) hat seinen Sitz im Dorf und zahlt für eine ganze Saison 40'000 Franken. Das Budget beträgt noch nicht eine Million. Es ist möglich, in einem Dorf die Spieler für ein Meisterteam auszubilden und es ist möglich, ein Meisterteam mit neun Nationalspielern durch den Ticketverkauf und die Werbeeinnahmen aus dem Dorf zu finanzieren. Auch Präsident Anton Stadelmann wohnt in Langnau.
Wahrlich, der letzte Meister unserer Hockeygeschichte, der aus dem Dorf kommt. Langnau ist das gallische Dorf im Schweizer Eishockey, umringt von eigentlich übermächtigen Gegnern: vom soeben aufgestiegenen Biel, das vom Verleger Willy Gassmann alimentiert wird und vom mächtigen SC Bern, der schon damals im Schnitt mehr als 10'000 Fans ins Stadion lockt.
Wir können zwar eine Debatte darüber führen, ob nicht der meisterliche EHC Arosa von 1982 als letzter Meister aus dem Dorf zu gelten hat. Arosa ist mit knapp 4000 Einwohnerinnen und Einwohnern nicht einmal halb so gross wie Langnau.
Aber echte Buben aus dem Dorf und Leistungsträger im Meisterteam sind eigentlich nur noch Andreas «Andy» Ritsch, Pietro Cunti, Georg «Jöri» Mattli, Heini Staub sowie Guido und Markus Lindemann. Eine echte Dorfmannschaft ist das nicht mehr.
Der EHC Arosa kann nicht mehr durch Ticketeinnahmen und die dörfliche Wirtschaft finanziert werden. Die Zahlen sind rot und geführt wird der Klub mit Peter Bossert durch einen Unternehmer aus dem fernen Zürich.
Arosa ist, wenn wir so wollen, ein «Hybrid-Modell» eines Dorfclubs. Zu klein, um gross zu sein. Zu teuer, um klein sein zu können.
Nur zehn Jahre nach Langnaus Titelgewinn zieht sich Arosa im Frühjahr 1986 folgerichtig aus wirtschaftlichen Gründen in die 1. Liga zurück, die heute MySports League heisst. Bis heute ein einmaliger Schritt in unserem Hockey.
Das Budget von 2,1 Millionen Franken (die Mannschaft kostet 1,3 Millionen) lässt sich nicht mehr finanzieren. Auch eine auf drei Jahre limitierte, vom Stimmvolk knapp genehmigte Unterstützung von 200'000 Franken pro Saison aus der Gemeindekasse genügt nicht. Das Minus nähert sich einer sechsstelligen Summe. Bis heute ist Arosa nicht mehr in die beiden höchsten Ligen zurückgekehrt.
Es ist eine Ironie der Geschichte, dass genau in Langnaus Meistersaison ein neues Zeitalter begonnen hat, das einen dörflichen Titel verunmöglichen und Arosa zur Kapitulation zwingen wird.
Für die Saison 1975/76 gilt erstmals das Hallenobligatorium. Wer in der NLA mitspielen will, braucht eine überdachte Eisbahn. Also ein Stadion.
Die Langnauer bauen im Sommer 1975 ein Hallendach für 795'000 Franken. Die Holzkonstruktion (die Bauern spenden das Bauholz) ist robust und bleibt bis zur Sanierung im Jahre 2012 mehr als 30 Jahre lang praktisch unverändert.
Mit diesem Hallenobligatorium beginnt eine bisweilen stürmische Entwicklung, die unser Eishockey schliesslich in die Weltklasse zurückführen und unserer Liga weltweit nach der nordamerikanischen NHL die höchsten Zuschauerzahlen bescheren wird.
Nun kann überall unabhängig von den Wetterverhältnissen gespielt und trainiert werden und der Komfort für das Publikum ist gross wie noch nie. Damit sind die wichtigsten Voraussetzungen für Planung, Vermarktung und sportliche Weiterentwickung gegeben.
Die Langnauer spielen noch zwei Jahre lang eine dominierende Rolle. 1977 verpassen sie die Titelverteidigung um zwei Punkte (Bern wird Meister) und im Frühjahr 1978 verlieren sie den Titel durch eine Heimniederlage im letzten Spiel gegen den SC Bern (3:6).
Diese bitterste Heimniederlage der Geschichte markiert das Ende einer Epoche. In dieser Partie hatte zum letzten Mal in unserer Geschichte ein echter Dorfclub die Chance auf eine Meisterschaft.
Nach zwei Dritteln steht es 1:4. Es gibt noch keine VIP-Logen. Liga-Präsident André Perey ist mit dem riesigen Pokal ins Emmental gereist. Langnau liegt in der zweiten Pause also 1:4 zurück, Biel führt daheim gegen Kloten: der schwergewichtige Weinbauer und Nationalrat aus dem Waadtland glaubt nicht mehr an eine Wende.
Für alle im Stadion sichtbar, verlässt er mit seinem Meisterpokal den Platz auf der Tribüne um die Trophäe rechtzeitig in Biel dem neuen Meister übergeben zu können. Er trägt die letzte meisterliche Hoffnung aus dem Stadion. Für immer. Das Spiel geht 3:6 verloren. Was für eine Ironie: es ist das umgekehrte Resultat der Meisternacht.
Noch ahnt niemand, dass es für alle Zeit die letzte Meister-Hoffnung war. Selten hat es in unserem Hockey eine Szene mit höherem Symbolcharakter gegeben.
Der Vertrag mit dem kanadischen Spielertrainer Normand Beaudin wird nicht verlängert. Er ist der letzte Spielertrainer in Langnau. Sein Nachfolger wird der Schwede Arne Strömberg.
Im Frühjahr 1985 steigen die Langnauer ab. Nur noch fünf Spieler aus dem Meisterteam von 1976 sind dabei aber immerhin 12 Stammspieler sind noch Buben aus dem Dorf oder wenigstens den Nachbardörfern.
Ein Jahr später wird in der NLA der Playoff-Modus eingeführt. Die «Amerikanisierung» des Eishockeys, die Vermarktung wie wir sie heute kennen, beginnt. Erst 2011 werden die Emmentaler zum ersten Mal in ihrer Geschichte die Playoffs erreichen. Sie scheiden im Viertelfinal gegen den SC Bern aus.
Langnau heisst heute nicht mehr SC Langnau. Sondern SCL Tigers. Die Stadionsanierung hat 30 Millionen gekostet. 40 Mal mehr als 1976 die Überdachung. Die Rechtsform ist nicht mehr ein Verein. Sondern eine Aktiengesellschaft. Das Budget ist fast 20 Mal höher als in der Meistersaison. Trotzdem reicht es nur noch zum letzten Platz. Und nur noch ein einziger Stammspieler ist ein Bub aus dem Dorf.
Aber Langnau spielt nach wie vor in der höchsten Liga, die jetzt National League heisst. Immerhin. Und wer seit der Meisternacht vom 2. auf den 3. März nicht mehr in Langnau und nun das Dorf besucht, wird sich an ein altes, melancholisches Lied erinnern:
Gut geschrieben und wenn unser Hockey nicht zu Tode reformiert wird der Mythos noch lange lebe! I däm Sinn Hopp Langnou❤️❤️❤️