Drei Klubs haben eine ganz besondere, eigentlich nicht mehr zeitgemässe Führungsstruktur: In Davos, Genf und Kloten haben die Trainer alle Macht. Die in den Zeiten von Strukturen und Organigrammen übliche Aufteilung der Macht auf Trainer, Sportchef und Manager gibt es in Davos, Genf und Kloten nicht mehr. In den anderen NLA-Unternehmen ist der Trainer lediglich der wichtigste Angestellte der Sportabteilung. Er kann jederzeit ausgewechselt werden.
In Davos, Genf und Kloten ist der Trainer der mächtigste und wichtigste Mann im Unternehmen. Dort hat immer der Trainer das letzte Wort bei Transfers und der Ausgestaltung der Spielerverträge. Absolutistische Herrscher, charismatische Bandengeneräle, die nur den Hockeygöttern Rechenschaft schuldig sind. Arno Del Curto, Chris McSorley und Sean Simpson sind die einzigen unentlassbaren Trainer der Liga. Aber nur Arno Del Curto kann in der neuen Saison Meister werden.
Chris McSorley hat aus Servette das erfolgreichste Sportunternehmen der Romandie gemacht. Aber er ist auch der Grund, warum Servette 2016 erneut nicht Meister wird.
Wir verneigen uns vor Chris McSorley so tief, wie wir es ohne Kunstturn-Training vermögen. Vor seinem Geschäftssinn. Seinem Arbeitseifer. Seinen Verdiensten für das Schweizer Eishockey und den Platz Genf. Auch vor seinem Können als Trainer haben wir uns seit jeher ganz, ganz tief verbeugt.
Weil er seit dem Aufstieg von 2002 aus verhältnismässig wenig Geld viel herausholt. Und doch ist es Zeit, die Beurteilung des Coaches Chris McSorley ein wenig revidieren. Er beginnt in Genf inzwischen seine 14. Saison als Bandengeneral. Er hat zwar die NLB (2002) und den Spengler Cup (2013, 2014) gewonnen plus zweimal das Playoff-Finale erreicht (2008, 2010) – aber noch nie den Meistertitel geholt.
Er hat einzelne «Schlachten» gewonnen, aber nie einen «Feldzug». Wie ein roter Faden zieht sich durch all die Jahre, dass der Kanadier vor, während und nach grossen Spielen, wenn es um den ganz grossen Triumph geht, die Nerven verliert.
Drei von vier 7. Spielen in den Playoffs hat er verloren (2010 SCB, 2013 SCB, 2014 ZSC) und nur eines gewonnen (2010 Gottéron). Oder um es etwas höflicher zu formulieren: Er übertreibt es mit seinen Bemühungen. Er neigt verbal und auch sonst zum «Überbeissen», trägt so eine gewisse Hektik in die Mannschaft und bringt die ihm sonst wohlgesonnenen Schiedsrichter gegen sich auf. Wir erkennen keine Zeichen von Altersmilde.
Weil er in Genf als Mitbesitzer, Manager, Sportchef, Kommunikations-Direktor und Trainer allmächtig ist, gibt es auch niemanden, der ihn beruhigen oder gar zurechtweisen kann. Es sollte doch in der inzwischen so unberechenbaren und ausgeglichenen Liga gerade einem so gut strukturierten Team wie Servette möglich sein, den Titel zu holen.
Ein so charismatischer Bandengeneral mit einem so ausgeprägten Ego wie Chris McSorley müsste schon einmal Meister werden. Aber der Kanadier ist das Erfolgsgeheimnis und das Problem von Servette zugleich. Für uns Deutschschweizer der perfekte Mann: Er sorgt dafür, dass mit Servette ein attraktives, konkurrenzfähiges welsches Team die Liga bereichert und zugleich ist er halt auch der Grund dafür, dass Servette nicht Meister werden kann.
An keinem anderen Titel hat Arno Del Curto so grossen Anteil wie an seinem sechsten Triumph im Frühjahr 2015. Vor einem Jahr beschäftigten sich die Hockey-Weisen im Land mit der Frage, ob der HCD und das Eishockey in den Bergen zu den Verlierern der Geschichte gehören. Das ganze «System Arno» stand zur Diskussion. Wird Davos zum ersten Mal überhaupt die Playoffs verpassten? Muss sich Arno Del Curto neu erfinden? Davos schien den Wandel der Zeiten stärker zu spüren als die Konkurrenz im Flachland.
Das Zeitalter der Romantik mit einer verschworenen Männerrunde («Zeugen Del Curtos»), die Meisterschaften gewinnen kann, schien vorbei. Weil die Jungen immer mehr der Anziehungskraft der urbanen Zentren erliegen und nicht mehr in die Berge ziehen wollen. Es schien, als sei Arno Del Curto nicht mehr dazu in der Lage, alleine durch seine Trainingsarbeit und Taktik die Konkurrenz zu distanzieren, wie dies zuvor der Fall gewesen war. Weil inzwischen auch im Unterland «Arno Hockey» gespielt wird. Intensives Tempospiel. Weil auch im Unterland so hart trainiert wird wie in Davos.
Ein weiterer Titel schien zu Beginn der letzten Saison ausser Reichweite. Und jetzt sehen wir: Alles nicht wahr. Arno De Curto hat mit dem HCD zum sechsten Mal die Meisterschaft gewonnen. Gewiss, der Titel ist auch den besonderen Umständen und den Schwächen der Titanen im Flachland geschuldet. Der HCD profitierte vom Pech der Zuger (Verletzung von Torhütertitan Tobias Stephan), den taktischen Schwächen von SCB-Trainer Guy Boucher und einer gewissen Sättigung und Arroganz der meisterlichen ZSC Lions. Und sie hatten das Glück, in der entscheidenden Phase kein Verletzungspech zu haben.
Aber Glück braucht es in einer so ausgeglichenen Liga immer. Wir wissen jetzt: Arno Del Curtos Hockeyphilosophie und sein Führungsstil sind zeitlos richtig und modern und erfolgreich. Er ist der ewige Trainer, im Amt seit biblischen Zeiten (seit 1996). Wenn die Spieler ihn und seine Trainingsmethoden nicht aushalten, dann sind sie nicht «taff» genug für ein Meisterteam.
Coach Arno entlässt seine Jungs ins Nachtleben von Pardubice. :-)
Posted by TV Südostschweiz on Samstag, 22. August 2015
Ein paar magere Jahre waren kein Grund, um das «System Arno» in Zweifel zu ziehen. Zwischen 1999 und 2001 hat Arno Del Curto dreimal hintereinander die Viertelfinals verloren – dann wird er 2002 erstmals Meister. Jetzt hat er wieder dreimal hintereinander die Viertelfinals verloren (2012, 2013, 2014) – und erneut mit einem Meistertitel reagiert. Arno Del Curto hat ab 2002 eine Dynastie aufgebaut, die in neun Jahren fünf Titel holte. Jetzt spricht vieles für eine neue Dynastie.
Das Meisterteam besteht aus mindestens 10 Spielern, die ihre Zukunft noch vor sich haben. Selbst der Rücktritt von Kultspieler Reto von Arx spielt deshalb keine Rolle mehr. Bleiben Arno Del Curto und Gaudenz Domenig in Davos, dann werden wir im Rückblick erkennen, dass der Titel von 2015 der Anfang einer neuen Dynastie war. Nun ist eine erfolgreiche Titelverteidigung – die letzte schafften die ZSC Lions im Jahr 2001 – die letzte Herausforderung für den ewigen Trainer.
Aber zum ersten Mal seit 1996 ist das Unvorstellbare vorstellbar geworden: Ein HCD ohne Arno Del Curto. Der charismatischste und erfolgreichste Trainer der HCD-Historie (und der modernen Schweizer Hockeygeschichte) hat den Vertrag erst nach langem Zögern und bloss um ein Jahr verlängert.
Inzwischen kokettiert er gelegentlich mit dem Gedanken eines Wechsels. Was wird sein, wenn beispielsweise der SCB, Zug oder Lugano im nächsten Frühjahr einen neuen Trainer brauchten. Wenn Arno del Curto in Davos geht, dann weiden in zehn Jahren dort, wo heute der Eisdom steht, die Ziegen.
Sean Simpson hat auf der grossen Hockey-Bühne schon viele Rollen gespielt. Aber allmächtig wie jetzt bei den Kloten Flyers war er noch nie. Sean Simpson ist einer der erfolgreichsten Trainer geworden, die je in der Schweiz gearbeitet haben.
Aber der Ruhm beginnt nach dem Scheitern beim Olympiaturnier und der WM 2014 (Viertelfinals), der Entlassung in Jaroslawl und dem Absturz in der letzten Saison (mit Kloten Playoffs verpasst) zu verblassen. Wenn der Kanadier diese Saison wieder scheitern sollte, dann droht ihm das Schicksal des ehemaligen Kult-Erfolgstrainers Kent Ruhnke. Als Clown im TV-Studio zu enden.
Sean Simpson ist ein exzellenter Coach und ein grosser taktischer Stratege. Wenn der Puck seinen Weg geht, ist alles möglich. Aber wenn der Puck nicht seinen Weg gehen will, dann ist er ratlos. Weil er kein Krisenmanager ist und die Dynamik in einem Team nicht umkehren vermag.
Die Grundstimmung eines Teams kann er verstärken und in höchste Höhen steigen – aber bei einer schlechten Stimmung eben auch abstürzen. Aber vielleicht kommt mit der Macht ein auch ein wenig staatsmännische Gelassenheit.
Hollywood hat mit den Kultkomikern Jim Carrey und Steve Carrell die Filme «Bruce Almighty» und «Evan Almighty» produziert – «Almighty» steht für «Allmächtig». Nun wird die Eishockey-Version mit Glanzbesetzung in Kloten gespielt. Mit Sean Simpson als «Sean Almighty» in seiner bisher grössten Rolle.
In den beiden Hollywood-Komödien von Tom Shadyac aus den Jahren 2003 und 2007 schlüpfen Jim Carrey und Steve Carrell in die Rolle von Gott – nachdem sie sich lang und breit über dessen Leistung beklagt und lamentiert hatten, ihre Wünsche seien nie erhört worden. Das erinntert uns schon ein wenig an Sean Simpson. Auch der Kanadier hat oft über seine Vorgesetzten geklagt.
Etwa in Zug über den damaligen tüchtigen Sportchef Patrick Lengwiler, als Nationaltrainer über Einmischung und den Unverstand der Funktionäre oder zuletzt in Kloten über die von seinem Vorgänger verschuldete liederliche konditionelle Verfassung seiner Jungs. Nun haben ihn die Hockeygötter erhört und lassen ihn Hockeygott spielen.
Der ehemalige Nationaltrainer ist in Kloten nicht nur ganz offiziell Trainer und Sportchef. Darüber hinaus hat er jetzt Landsleute aus dem fernen Kanada als neue Besitzer. Die setzen voll und ganz auf Sean Simpson. Das Wort des Silberschmiedes von Stockholm 2013 ist für sie Gospel (= Evangelium).
Aus Sean Simpson ist im besten Wortsinne «Sean Almighty» geworden. Der allmächtige Sean. Ein ganz grosser Bandengeneral. So mächtig war nicht einmal Felix Hollenlstein. Die Zeit der Ausreden ist damit vorbei. Als Hockeygott ist «Sean Almighty» alleine dafür verantwortlich, ob und wie das Hockeyunternehmen der Kloten Flyers auf und neben dem Eis funktioniert.
Was ja vielleicht ein gutes Omen ist. Jim Carrey und Steve Carrell machen im Film als Gott zunächst – wie Sean Simpson (verpasste die Playoffs) – vieles falsch. Aber am Ende kommt es doch noch zum Happy-End.
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