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Eismeister Zaugg

Das süsse Gift der ehrenvollen Pleiten und die Hilflosigkeit des Patrick Fischer

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Natitrainer Fischer kassierte mit seinem Team drei Niederlagen in drei Spielen.Bild: EPA/KEYSTONE
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Das süsse Gift der ehrenvollen Pleiten und die Hilflosigkeit des Patrick Fischer

Die Schweizer haben beim Karjala Cup alle drei Partien verloren, zuletzt gegen Russland mit 2:6. Es gibt hoffnungsvolle, aber auch beunruhigende Erkenntnisse. Gerade bei einer Beurteilung von Nationaltrainer Patrick Fischer.
11.11.2017, 17:57
Klaus Zaugg, Helsinki
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Ein bisschen Nostalgie kommt auf. Und das ist beunruhigend. Die Schweizer haben alle drei Partien bei diesem hochkarätigen Vorbereitungsturnier verloren. 2:3 gegen Kanada in Biel, 2:3 gegen die Tschechische Republik und 2:6 gegen Russland in Helsinki.

Drei erwartete Niederlagen. Und da der Ernstfall erst im Februar beim Olympischen Turnier eintritt, gibt es keinen Grund zur Dramatisierung. Das ist die Nostalgie: Niederlagen gegen die Titanen des internationalen Hockeys, die nicht dramatisiert und als lehrreiche Lektionen deklariert werden.

Die klugen Analysen, warum es halt nicht reicht. Die Hinweise, was bei den anderen besser und bei uns nicht möglich ist – das war früher, in den 80er- und 90er-Jahren ein schöner Brauch in unserem Hockey. Erst Ralph Krueger änderte ab 1997 diesen sportlichen «Defätismus» und führte uns in die Weltklasse zurück.

Der neutrale Chronist hat während des Karjala Cups eine leise Renaissance dieses Defätismus gespürt. Noch nicht alarmierend. Aber daraus kann ein schleichender Prozess werden.

Mit Hiller und Senn im Tor waren Siege praktisch unmöglich

Nach dem Karjala Cup können wir sagen: das grosse Ziel, die Abwesenheit der NHL-Stars zu einer Olympia-Medaille zu nützen, ist angesichts des Potenzials unseres Hockeys nicht unrealistisch. In lichten Momenten haben die Schweizer gegen Kanada und die Russen gezeigt, dass sie mit den Titanen auf Augenhöhe spielen können. Und beim olympischen Turnier werden wir, so es die Hockeygötter wollen, mit Leonardo Genoni über einen grossen Torhüter verfügen. Über einen Torhüter, der in einem Spiel die Differenz machen kann. Davon waren Jonas Hiller (gegen Kanada und Russland) und Gilles Senn (gegen Tschechien) weit entfernt. Es war praktisch unmöglich, mit diesen zwei Torhüter eines der drei Spiele zu gewinnen.

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Hiller gegen Russland: Eine Fangquote von 82,35 Prozent spricht nicht für den Goalie des EHC Biel.Bild: EPA/COMPIC

Es handelt sich also um ehrenvolle, erklärbare und daher nicht dramatische Niederlagen. Um Niederlagen, die uns angeblich weiterbringen. So argumentiert auch Nationaltrainer Patrick Fischer. Er monierte, die Konstanz habe gefehlt. «Gegen Kanada spielten wir 30, gegen Tschechien 25 und gegen Russland 40 Minuten. Aber es ist uns nicht gelungen, über 60 Minuten konstant unsere Leistung abzurufen.» Gerade deshalb sei er froh um die Erfahrung aus diesen Spielen. «Nach einer WM ist sich jeder bewusst, was es braucht. Aber nach einem halben Jahr ist diese Lektion wieder vergessen. Ich wiederhole mich deshalb gerne und sage noch einmal, wie wichtig solche Spiele für uns sind.» Nun haben die Schweizer also sozusagen einen «Auffrischungskurs» bekommen.

Mit dem Powerplay ist der Nationaltrainer nicht zufrieden. Trotz guten Chancen sei es nicht gelungen, den Fünfminutenausschluss gegen die Russen zum 3:1 auszunützen. Zufrieden ist Patrick Fischer hingegen mit der Reaktion der Mannschaft auf die 2:3-Niederlage gegen Tschechien im Spiel gegen Russland. Zumindest für die ersten 40 Minuten.

Am Ende zählt, was der Totomat sagt und nicht der Trainer

Für den Spengler Cup kündigt der Nationalcoach zwei neue Goalies an. Leonardo Genoni wird dann erstmals in dieser Saison für die Nationalmannschaft spielen. Er ist der Hoffnungsträger. Nur wenn er sein bestes Hockey zeigt, haben wir beim olympischen Turnier eine Chance. Jonas Hiller hat nach einer recht guten Partie gegen Kanada nun gegen Russland seine Chancen auf die Nomination als olympische Nummer 2 wieder arg geschmälert. Auch wenn die Statistik am Ende des Tages nicht der letzten Weisheit Schluss sein mag: eine Fangquote von 82,35 Prozent ist ganz einfach miserabel. Die Schweiz gewinnt ein Spiel gegen einen Titanen des Welthockeys nur, wenn der Torhüter dazu in der Lage ist, mindestens 93 Prozent der Pucks zu stoppen, die auf ihn zufliegen.

Russia's Andrei Zubarev, left, Mikhail Grigorenko, second left, Pavel Kraskovski, no. 63, and Sergei Kalinin, rear, celebrate the 2-2 goal during the Ice Hockey Euro Hockey Tour Karjala Cup match ...
Die Russen jubeln, Rüfenacht nicht.Bild: AP/Lehtikuva

Der Nationaltrainer ist ein guter Kommunikator. Patrick Fischer sagt oft «PiKei» wenn er Boxplay meint. Oder er redet über «Puckmanagement». Er kennt all die modernen Wörter des Hockeys und nimmt möglicher Polemik gleich durch eine demonstrativ selbstkritische Haltung den Wind aus den Segeln. Er ärgert sich über jede Niederlage und kann gut erklären, woran man arbeiten und was besser werden müsse. Um im Februar olympische Bereitschaft melden zu können, müsse jeder nun auch in der Liga hart an sich arbeiten. Eben all das, was ein guter Kommunikator sagt.

Aber am Ende zählt nicht kluges Reden. Sondern die ultimative Wahrheit oben auf der Resultattafel. Unsere Nationalmannschaft kann nur erfolgreich sein, wenn sie einen grossen Torhüter als Rückhalt hat und wenn sie perfekt vorbereitet und gecoacht wird. Die mittelmässigen bis ungenügenden Leistungen von Jonas Hiller und Gilles Senn erlauben eine gewisse fatalistische Beurteilung. Aber sie lenken vor Problemen ab, die uns noch arg zu schaffen machen können. Es ist das süsse Gift der ehrenvollen Niederlagen.

Eine Naivität sondergleichen

Die Schweizer waren ungenügend auf dieses Turnier vorbereitet. Dafür trägt der Coach die Verantwortung. Es ist bereits vor der Saison bis in die hintersten Winkel der Eishockeywelt verkündet worden, dass auf internationalem Niveau die Bully-Regeln wieder durchgesetzt werden. Also das korrekte Verhalten der Spielerbeim Anspiel. Der internationale Eishockeyverband hat das sogar schriftlich kommuniziert.

Alle Welt weiss es. Nur die Schweizer wussten es nicht. In der Liga wird die Bully-Regel halt nicht durchgesetzt. Logisch also, dass sich die Schweizer mit einer Naivität sondergleichen gegen Tschechien durch ein Bully-Vergehen von Tristan Scherwey eine 3 gegen 5 Unterzahl einhandelten. Den Ausschluss des Berners nützten die Tschechen zum entscheidenden 3:1.

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Ein Schuss von Birner bei der Niederlage gegen Tschechien.Bild: EPA/COMPIC

Logisch? Nein, nicht logisch. Zu einer professionellen Vorbereitung hätte gehört, die Spieler auf die Bully-Regeln hinzuweisen. Entweder hat dies Patrick Fischer unterlassen oder seine Jungs haben nicht zugehört. Das ist fatal. Die Grossen können sich solche Nachlässigkeiten hin und wieder leisten. Wir aber gar nie.

Nach wie vor ist Patrick Fischer weit von der Professionalität, der Akribie, der Pflege der Details in der Vorbereitung auf ein Turnier oder ein Spiel entfernt, die Ralph Krueger und Sean Simpson ausgezeichnet haben. Die grosse Coaches auszeichnet. Und wir werden nur eine Chance haben, unsere olympischen Medaillenträume zu erfüllen, wenn die Vorbereitung perfekt ist.

Fischers sieht hilflos zu

Beunruhigend ist auch eine gewisse Hilflosigkeit des Bandengenerals Patrick Fischer. Grosse Coaches sind dazu in der Lage, Einfluss auf ein Spiel zu nehmen. Ist das Team gut drauf und hat einen Lauf, dann ist das Coaching verhältnismässig einfach. Erst wenn die Dinge aus dem Ruder laufen, zeigt sich, ob ein Bandengeneral auch im Pulverdampf unerwarteter Entwicklungen die Übersicht behält. Fischer sah hilflos zu, wie den Schweizern das Spiel gegen Russland im letzten Drittel entglitt. Sein Time-Out kam in der 52. Minute (nach dem 6:2) viel zu spät. Es war, als wolle da jemand noch die Stalltüre zusperren, nachdem die Pferde längst davongaloppiert sind.

Patrick Fischer, head coach of Switzerland national ice hockey team, reacts during the 2017 Karjala Cup ice hockey match between Switzerland and Canada in the Tissot Arena in Biel, Switzerland, on Wed ...
Fischer geht die Arbeit nicht aus.Bild: KEYSTONE

Wenn wir damit zufrieden sind, mit den Grossen ein wenig mitzuspielen, ab und zu die Viertelfinals zu erreichen und nie abzusteigen – dann spielt das alles keine Rolle. Wenn wir aber das Ziel haben, wieder einmal einen Triumph wie 2013 (Silber-WM) zu feiern – und dieses Ziel hat Patrick Fischer ausdrücklich formuliert und immer wieder bekräftigt – dann sind die Erkenntnisse aus dem Karjala Cup beunruhigend.

Fischer verlangt richtigerweise von jedem einzelnen im Hinblick auf Olympia weitere Verbesserungen und Anstrengungen. Aber auch beim Nationaltrainer gibt es noch Verbesserungspotenzial. Wenn wir eine olympische Medaillenchance haben wollen, müssen Vorbereitung und Coaching besser werden.

Die Schweiz auch 2018 am Karjala Cup?

Zum ersten Mal durfte die Schweiz beim Karjala Cup, einem der vier Turniere der «Euro Hockey Tour» mitspielen. Seit 1996 tragen die vier Grossen (Finnland, Schweden, Tschechien, Russland) während der Saison diesen Wettbewerb in Form von vier Turnieren aus. Dank gut dotierten Werbe- und TV-Verträgen für alle vier Landesverbände ein formidables Geschäft.

Wegen der besonderen Situation um die Olympischen Spiele (keine NHL-Profi) ist die European Tour geöffnet worden und die Schweiz durfte zum ersten Mal mitspielen. Nationalmannschafts-Direktor Raeto Raffainer bemüht sich intensiv darum, die Schweiz auch künftig im Turnier zu behalten. «Bisher hat man uns immer gesagt, wir seien sportlich zu schwach. Ich denke, dass wir dieses Argument mit unserem Auftritt entkräftet haben.» Es gebe Verbände, die eine Aufnahme der Schweiz in die «Euro Hockey Tour» befürworten. «Die Russen sind daran interessiert, dass wir mitmachen. Aber es ist nicht einfach, ein Turnierformat mit fünf oder sechs Teams zu finden.» Der Entscheid, ob die Schweiz 2018 wieder zum Karjala Cup eingeladen wird, fällt gemäss Raffainer spätestens beim Kongress während der WM 2018 in Kopenhagen.

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11 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Dogbone
11.11.2017 20:53registriert August 2014
Dass Fischer reichlich hilflos ist, wenn eine Sache komplett aus dem Ruder läuft, damit hat Chläusu vollkommen Recht. Schon bei manchem Spiel konnte man beobachten, wie er sich schon fast zurücknimmt, wenns bergab geht. Das wäre aber genau der Zeitpunkt, an dem ein Team seinen Coach dringend braucht!
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Üeu
12.11.2017 01:38registriert Dezember 2016
Ist halt so. Wenn die Nati bei solchen Turnieren nicht nur dabei sein will, braucht es die bestmögliche Mannschaft und die bestmögliche Trainercrew. Dass aus nachvollziebaren Gründen ncht immer die bestmöglichen Akteure spielen konnten, ist eine Sache. Dass aber im Bereich des Trainerstaffs einfach Amateure, die über keinen Leistungsausweis verfügen werkeln können, wirft ein schlechtes Licht auf die Verbandsführung.
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peter23
11.11.2017 22:28registriert Januar 2015
So viel Text für die Message „Fischer ist ein Laferi“.
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11
Ist das Problem wirklich Nati-Ausrüster Puma oder schlicht des Menschen Freude am Motzen?
Nach der Präsentation der Trikots für die EM 2024 war der Ärger bei einigen Schweizer Fussballfans gross, doch damit sind sie nicht alleine. Auch Deutsche, Engländerinnen oder Italiener sind ob der Leibchen ihrer Nationalteams alles andere als erfreut.

Man könnte sich schon fast die Uhr danach stellen: Sobald die neuen Trikots für die Nati vorgestellt werden, herrscht helle Aufregung. So auch am heutigen Donnerstag, als der Schweizer Fussball-Verband die Leibchen präsentiert hat, in denen das Nationalteam unter anderem die Europameisterschaft bestreiten wird.

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