Eine jahrelange Forderung von Einzelrichter Reto Steinmann ist erfüllt worden. Der Zuger Anwalt hat immer wieder betont, dass er nicht Ankläger und Richter zugleich sein kann und darf. In einem Rechtsstaat gibt es eine Gewaltentrennung zwischen einem Ankläger, der eine Missetat zur Anzeige bringt und einem Richter, der diese Tat beurteilt und richtet. Bisher war es so, dass der Einzelrichter oft aufgrund von TV-Aufzeichnungen selber ein Verfahren eröffnete – und dann auch selber richtete. Eigentlich ein unhaltbarer Zustand.
Nun hat die Liga richtigerweise den neuen Posten eines «Anklägers» geschaffen und die Position von Reto Steinmann damit gestärkt. Der ehemalige NHL-Schiedsrichter Stéphane Auger (45) visioniert sämtliche NLA-Spiele. Sieht er beispielsweise Fouls, die von den Schiedsrichtern übersehen worden sind oder härter als bloss durch die Sanktionen der Refs bestraft werden sollten, eröffnet er bei Steinmann ein Verfahren. Der fällt das Urteil weiterhin unabhängig und frei.
Steinmanns Position ist gestärkt worden. Aber Stéphane Auger, der in der NHL als Schiedsrichter höchst umstritten war und deshalb im Sommer 2012 ausgemustert worden ist, arbeitet nicht in der Schweiz. Er schaut sich die NLA-Spiele in seiner Heimat Montréal an. Dort hat er Zugriff auf die TV- Bilder, er schneidet sich die fraglichen Szenen zurecht und schickt Bilder und Rapport nach Zug in Steinmanns Büro.
Kann einer von Montréal aus unser Hockey überwachen? Liga-Direktor Ueli Schwarz sagt: «Ja, das geht mit der heutigen technischen Infrastruktur problemlos. Wir haben jetzt sogar einen zeitlichen Vorteil. Wenn bei uns die Spiele gegen 22 Uhr zu Ende sind, ist es in Montreal erst 16 Uhr. Unser Mann hat also in aller Ruhe Zeit, die TV-Aufzeichnungen zu studieren und am nächsten Morgen liegen die Fälle bereits bei Reto Steinmann auf dem Bürotisch.» Zudem sei Stéphane Auger kompetent. Er habe in diesem Bereich unter anderem schon für den Internationalen Eishockeyverband und für die Champions Hockey League gearbeitet.
Neben Stéphane Auger können weiterhin auch Schiedsrichter-Chef Brent Reiber und die Klubfunktionäre Verfahren eröffnen. Ein Sportchef kann neu aber nur noch bis zwei Stunden nach Spielschluss ein Video einreichen und nur wenn Fakten vorliegen, die bis zwei Stunden nach dem Match nicht bekannt waren (z.B. Verletzungen), kann der Einzelrichter auch später noch angerufen werden.
Um die in der Vergangenheit üblichen Spielchen «Video Du mir, so Video ich Dir» abzustellen, kosten Video-Eingaben ab sofort etwas: 750 Franken während der Qualifikation und 1500 Franken in Zeiten der Playoffs (für die NLB-Klubs die Hälfte). Nur wenn ein Urteil erfolgt, geht das Geld an die Klubs zurück.
Ein wichtiger Punkt für die Auslagerung eines wichtigen Teils der Hockey-Justiz nach Montréal ist juristischer Natur. Für Stéphane Auger hätte die Liga mit ziemlicher Sicherheit in der Schweiz keine Arbeitsbewilligung erhalten.
Allerdings ist diese Globalisierung der Hockey-Justiz nicht allen geheuer. Weil es neu einen «Maulkorb-Erlass» rund um die Verbandsjustiz gibt, lassen sich die Exponenten nicht mehr zitieren und geben nur noch anonym Auskunft.
Die Kritikpunkte: Auf Dauer ist es nicht möglich, von einem anderen Kontinent aus unser Hockey richtig zu beurteilen. Von der Fachkompetenz von Stéphane Auger sind nicht alle überzeugt. Und nicht zu unterschätzen ist die Furcht vor unheiligen Allianzen.
Der Zusammenhalt der Kanadier in der Hockeywelt gilt als legendär. Sie bilden Bruderschaften weit über Landesgrenzen hinaus und sind in der Regel untereinander bedingungslos loyal. Kein Schelm, wer Böses denkt und sich folgende Situation vorstellt.
Samstag, 31. Oktober 2015. Servettes Goran Bezina faltet im Spiel gegen Lugano Damien Brunner zusammen. Die Schiedsrichter haben das Foul nicht gesehen. Wenn Stéphane Auger nun kein Verfahren eröffnet, dann passiert nichts. Chris McSorley ruft nach dem Spiel sofort seinen Landsmann in Montreal an und es kommt zu folgendem Gespräch:
Was nicht eben unterschätzt werden darf: In Montréal hat der Chefankläger dank der Übermittlungstechnologie nicht nur Zugriff auf alle TV-Bilder. Er ist dort ebenso einfach erreichbar und beeinflussbar, wie wenn er in Bern sitzen würde.
Es ist bemerkenswert, dass das Amt eines Chefanklägers in unserem Hockey nicht einem Schweizer (es hätte mehrere sehr gute Kandidaten gegeben), sondern einem höchst umstrittenen, ausgemusterten NHL-Ref ohne echten Bezug zu unserer Hockeykultur übertragen wird.
Reto Steinmann war, ist und bleibt gegen alle Druckversuche der mächtigen Klubgeneräle und der mit ihnen verbündeten medialen Schreibtischtäter immun. Er hat Verfahren unabhängig vom Ansehen der Person eröffnet oder eben nicht eröffnet. Er ist deshalb unbeliebt. Unbestechlichkeit hat ihren Preis. Er ist für weitere zwei Jahre gewählt und kann nur mit einer Dreiviertelmehrheit der Klubstimmen des Amtes enthoben werden. Die Versuche, an seinem Stuhl zu sägen, sind deshalb gescheitert.
Wird auch der neue kanadische Chefankläger gegen alle Einflüsterungen standhaft sein und Verfahren ohne Rücksicht auf Namen und Klubs eröffnen? Den Schwefelgeruch der Beeinflussbarkeit und Parteilichkeit hat er in der NHL nicht mehr aus den Kleidern bekommen. Deshalb ist er nicht mehr NHL-Ref und muss nun zu Hause in Montréal am TV stundenlang NLA-Hockey gucken.
Die von Liga-Direktor Ueli Schwarz ausgearbeitete Neustruktur der Hockey-Justiz mit dem neuen Job eines Chefanklägers ist durchdacht und richtig. Aber der falsche Mann ist Chefankläger geworden.
Der angesehene Kolumnist Greg Whyshynsky hat unter der Headline «Stéphane Auger, awful NHL referee, hired as head of Swiss Player Safety» unter anderem geschrieben: «Hey, remember Stéphane Auger, who was just named the new head of the Swiss Hockey League's Departement of Player Safety? Of course you do ... he was the referee embroiled in one of the NHL's greatest recent controversies … one of the most problematic and petty referees in recent memory is now in fact, in charge of fairness and oversight for Swiss Hockey. What a world.»
So schreibt ein nordamerikanischer Chronist über unseren famosen neuen kanadischen Chefankläger. Das lassen wir unkommentiert so stehen. Damit nicht noch jemand behauptet, die Polemik komme von mir.
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