Es ist ein Gipfeltreffen der besonderen Art. Weil der HCD und die ZSC Lions an einem guten Abend das schnellste Hockey Europas spielen. Eishockey in höchster Kunstform. Schnell, präzis, intensiv, dynamisch. Taktik, diese Krücke der Untalentierten, spielt keine Rolle. Beide suchen die Entscheidung vorwärts. Beide versuchen, dem Gegner das Spiel aufzuzwingen.
Daraus entsteht ein mitreissendes Hin- und Herwogen des Spiels. Hinterher rühmt Arno Del Curto die ZSC Lions über alle Massen. «Eine europäische Spitzenmannschaft! Dieses Tempo! So wäre auch der SCB überfordert. Ich hatte gehofft, dass sich der ZSC wegen des Einsatzes in der Champions League ein wenig schont. Aber das war nicht der Fall …» Nun, ein wenig war es schon der Fall.
Topskorer Roman Wick wurde tatsächlich geschont. Dafür rückte Luca Cunti von der Ersatzbank in den dritten Sturm vor und arbeitete hart. Auch in der Defensive. Als Inti Pestoni mit Verdacht auf Gehirnerschütterung in der Kabine verschwand (er wird beim Champions League Rückspiel fehlen) rückte Mathias Seger von der Verteidigung auf die Flügelposition vor.
Die ZSC Lions in Bestbesetzung oder nicht – wieder einmal zeigte sich: dieser HCD ist der grosse Muntermacher der Liga. Wenn der HCD kommt, steigt der Adrenalinspiegel und es ist, als werde frische Luft durchs Stadion gelassen. Ach, wie hatten sich die ZSC Lions noch am Freitag gegen die schlauen, tapferen, mutigen, zähen SCL Tigers in Langnau abgemüht. Geschickt versperrten die Langnauer die freien Räume, schnitten Passlinien ab und drosselten das Tempo. Erst eine Heldentat von Robert Nilsson, dem talentiertesten aller Talentierten, bescherte den Zürchern doch noch den Sieg.
Heirassa, welch ein herrlich Hockeyleben ist es hingegen, wenn der HCD kommt. Es war im Hallenstadion, als seien die Zürcher nach mühseliger Fahrt auf emmentalischen Feldwegen nun auf die Autobahn eingebogen. Freie Fahrt. Spielen und Spielen lassen – und am Ende stand der logische Sieg. Logisch, weil die ZSC Lions ihr Spiel mit einer entscheidende Prise Talent und Erfahrung zu veredeln vermochten und in Lukas Flüeler einen noch besseren Goalie hatten.
Im Strassenverkehr kann es Zwischenfälle geben wenn jemand wegen zu hohem Tempo die Herrschaft über das Fahrzeug verliert. Was direkt zur Frage führt: Arno Del Curto, könnte es gar sein, dass der HCD zu schnell spielt? Die Frage lockt ihn aus der Reserve und hat eine ähnliche Wirkung wie eine Erkundigung im Vatikan, ob der Papst eventuell zu katholisch sei. «Was? Zu schnelles Spiel? Wollen Sie mich auf den Arm nehmen? Wir waren nicht zu schnell. Wir waren zu wenig schnell! Wir müssen lernen, noch schneller zu spielen!» Und bringt wieder einmal die Klage vor, dass die Schiedsrichter Halten und Haken zu wenig sanktionieren. «Wir hatten doch mal ‹null Toleranz›. Wo ist diese strenge Regelauslegung geblieben? Wir werden mit der Nationalmannschaft büssen, wenn international strenger gepfiffen wird.»
Aber eine Ursache für die Abschlussschwäche (zuletzt 0:1 gegen Lugano und nun 1:3 in Zürich, mit 87 Toren offensiv nur die Nummer 7 der Liga) könnte eben doch sein, dass beim HCD manchmal alles ein bisschen zu schnell geht. Dass die Spieler vom eigenen Tempo überfordert sind. Davon will Arno ganz und gar nichts wissen. «Dann müssen wir eben noch schneller schiessen.» Und doch gibt es einen Hinweis, dass die Tempo/Talent-Balance wohl doch nicht ganz stimmt. Der HCD-Trainer macht die Nationalmannschaftspause nun zum Trainingslager. Mit einem Spezialthema: Technik.
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— ZSC Lions (@zsclions) 11. Dezember 2016
Zu schnelles, zu perfektes Spiel kann nämlich sehr wohl zu einer gewissen offensiven Sterilität führen. Sogar die beste Nationalmannschaft aller Zeiten hat gelegentlich darunter gelitten: die der Russen. Oder besser: die der Sowjets. Nie vorher und nie nachher hat eine Mannschaft schneller und präziser Hockey gespielt als die sowjetische Nationalmannschaft in den späten 1950ern, in den 1960er-, 1970er- und 1980er-Jahren. Weil es nur während der Zeit der Sowjetunion möglich war, die besten Spieler eines riesigen Reiches per Armee-Marschbefehl in einer Mannschaft zu vereinen und im Training täglich zu schulen. Der Armeesportklub ZSKA Moskau war praktisch identisch mit der Nationalmannschaft. Heute wäre es gar nicht mehr möglich, so viele so gute Spieler in einem Team zu finanzieren wie damals bei ZSKA Moskau.
Aber selbst diese nahezu perfekte «rote Maschine» (die Nordamerikaner nannten das sowjetische Nationalteam ehrfüchtig «The Big Red Machine») scheitere ab und an auf eine ganz ähnliche Art und Weise wie soeben der HCD gegen Lugano (0:1) und die ZSC Lions (1:3). Durch mangelhafte Chancenauswertung. Durch Verlust der Kontrolle über Puck und Situation wegen überhöhter Geschwindigkeit.
Mangelnde Chancenauswertung wegen zu viel Tempo ist daher so etwas wie eine «Russische Grippe». Die taktisch schlauen Tschechoslowaken (die Nationalmannschaft der ehemaligen CSSR) lockten die spielerisch besseren, talentierteren, schnelleren Russen immer wieder in taktische Fallen und holten den WM-Titel. Am spektakulärsten 1972, 1976, 1977 und 1985.
Der HCD leidet eindeutig an dieser «Russischen Grippe». Fehler in der Abwehr (alle drei Gegentore im Hallenstadion nach Abprallern) können nicht mehr durch höhere Torproduktion kompensiert werden. Es ist nicht einmal ganz auszuschliessen, dass die Davoser zum ersten Mal seit dem Wiederaufstieg die Playoffs verpassen werden – sie wären dann die schnellste Mannschaft aller Zeiten, die nicht um den Titel spielen darf. Sondern als Strafaufgabe um den Klassenerhalt. Was den Trainer nicht kümmert. Und ihn auch nicht zu kümmern braucht. Der HCD ist das einzige Team im Tabellenkeller ohne die geringsten Zeichen einer Verunsicherung, eines Konfliktes oder Zweifel an der spielerischen und taktischen Ausrichtung. Arno Del Curto fährt mit Zustimmung aller Vollgas. So wie es eben bei einem «Hockeygott» ist.
Mit ein bisschen mehr Talent und Routine wäre der HCD gar Meisterkandidat. Vorerst aber bleibt der HCD ein spielerischer Ferrari mit billigen Pneus. Mit zu wenig Talent und Erfahrung. Vielleicht könnte eine bessere Besetzung der Ausländerpositionen helfen. Der Tscheche Robert Kousal, immerhin WM-Teilnehmer 2016, ist mit dem schnellen Spiel in der Centerpostion völlig überfordert. Aber Arno Del Curto sagt, man habe kein Budget für weiteres ausländisches Personal.
Wer Spektakel und Drama mag, sollte hoffen, dass der HCD die Playoffs auf dem 8. Platz erreicht und dann den Qualifikationssieger (den SCB, Zug oder die ZSC Lions) im Viertelfinal zu einem Tempoduell herausfordern darf. Dann würde die Nervenbelastung den Favoriten belasten und den HCD begünstigen und es wäre nicht auszuschliessen, dass die Davoser vom 8 Platz aus bis ins Finale stürmen.