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Ist Sean Simpson für eine Wende zu ehrlich? Gut, dass er zornig ist

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Gegen Weissrussen muss ein Sieg her

Ist Sean Simpson für eine Wende zu ehrlich? Gut, dass er zornig ist

Nach dem schwächsten WM-Start der Schweiz seit zwölf Jahren steht Sean Simpson vor seiner grössten Herausforderung als Natitrainer. Die Flut kann er verstärken – aber die Ebbe nicht mehr aufhalten.
12.05.2014, 06:5012.05.2014, 09:29
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Die Dynamik in einem Team während eines Turniers zu verändern, ist fast unmöglich. Erst recht dann, wenn ein Team spielerisch nicht gut genug ist, um auf höchstem Niveau das Glück zu erzwingen. Ein Blick zurück zeigt: Ein Fehlstart ist dann fast nicht mehr zu korrigieren.

Ralph Krueger schaffte die Wende zweimal: 1998 verloren wir zum Auftakt 1:5 gegen die USA und 2:4 gegen Schweden. Wir mussten nun gegen Frankreich mit vier Toren Differenz gewinnen und schafften ein 5:1. Mit dem ersten WM-Sieg der Geschichte über Russland (4:2) und einem Remis gegen die Slowakei (1:1) erreichten wird das Halbfinale und den vierten Schlussrang.

2000 drohte nach einem 3:3 gegen die USA und einem 2:4 gegen Frankreich die Abstiegsrunde. Nur noch ein Sieg über die haushoch favorisierten Russen konnte uns retten. Wir besiegten Russland 3:2, kamen weiter, erreichten das Viertelfinale (3:5 gegen Kanada) und den 6. Schlussrang.

Ralph Krueger schaffte die Wende zwei Mal.
Ralph Krueger schaffte die Wende zwei Mal.Bild: Keystone

Gegen Weissrussland darf sich die Schweiz keine Niederlage mehr leisten

Ansonsten haben wir nur noch 2002 (0:3 USA, 2:3 Kanada) die beiden ersten Partien verloren. Bei allen übrigen WM-Turnieren seit 1998 hat die Schweiz die erste oder das zweite Partie oder beide Spiele gewonnen. Die Situation ist also jetzt nach den Startpleiten (0:5 Russland, 2:3 USA) so prekär wie seit zwölf Jahren nicht mehr.

Die Wende ist auch nach zwei Niederlagen noch möglich. Platz 4 nach sieben Partien reicht fürs Viertelfinale. Wir müssen vier Teams hinter uns lassen. Weissrussland, Deutschland, Lettland und Kasachstan. Finnland, Russland und die USA sind für eine Klassierung in den Top 4 «gesetzt». Aber wir können uns gegen Weissrussland keine dritte Niederlage leisten.

Halligalli nach dem Training: Sean Simpson im Gespräch mit Schweizer Fans in Minsk.
Halligalli nach dem Training: Sean Simpson im Gespräch mit Schweizer Fans in Minsk.Bild: freshfocus

Ist die Moral noch intakt? Ein Augenschein beim Training am spielfreien Sonntag liefert uns eine Antwort. Geübt wird hier in Minsk gleich neben dem Stadion in einer riesigen flachen Halle, konzipiert für Eisschnelllauf. Hier hätten vier Eisfelder und eine ganze Frühjahrsausstellung Platz. Fans und Journalisten verfolgen das Training gleich hinter dem Plexiglas.

Hinterher stehen Nationaltrainer Sean Simpson und die Spieler Red und Antwort. Umringt von Fans und Medienschaffenden. Die Szenerie mahnt irgendwie an einen Hockeyjahrmarkt. Es fehlen nur Hotdog-Verkäufer und ein paar Marktstände.

Kein einziger Schweizer Spieler zweifelt

Nach dem Fehlstart geht es um die Beschwörung der letzten Hoffnungen und die Frustbewältigung. Das ist nicht so einfach. Die Spieler, aber vor allem die Coaches, müssen oft anders reden, als sie denken und fühlen. Der Coach ist der oberste Leitwolf. Wenn er Schwächen oder Zweifel zeigt, ist alles verloren.

Verbal ist diese Frustbewältigung für die Spieler kein Problem. Alle betonen, dass man vorwärts schauen müsse. Roman Josi, vor einem Jahr der beste Einzelspieler des gesamten Turniers (MVP), sieht im Zusammenhalt des Teams keinen Unterschied zur Silber-WM 2013. Damien Brunner ist sowieso im Wesen und Wirken ein Nordamerikaner und sein Optimismus ist echt und unverwüstlich. Nicht einer zeigt Zweifel.

Die NHL-Profis Brunner und Josi: Mund abputzen, weiter geht's.
Die NHL-Profis Brunner und Josi: Mund abputzen, weiter geht's.Bild: Keystone

Und Sean Simpson? Er sagt, dass mit gleichen Leistungen wie gegen die USA in diesem Turnier noch alles möglich sei. Aber bisher ist es ihm nach der ersten Turnierniederlage nie mehr gelungen, eine Wende herbeizuführen. Deshalb steht der Silberschmied von Stockholm mit einer durchschnittlichen Bilanz da: Bei fünf Turnieren (WM 2010, 2011, 2012, 2013 und Olympia 2014) hat er erst zweimal das Viertelfinale erreicht (2010 und 2013).

Simpsons grösste Stärkste ist auch seine einzige Schwäche

Glaubt Sean Simpson an die Wende? Er sagt «ja». Aber er hat auch Zweifel und die kann er nicht ganz verstecken. Deshalb regt er sich auch am Tag nach dem 2:3 gegen die USA noch immer so über die zwei zu Unrecht annullierten Tore auf. Die grösste Stärke von Sean Simpson ist zugleich seine einzige Schwäche: Er ist zu ehrlich. Er ist kein Politiker und kein Schauspieler wie sein Vorgänger Ralph Krueger.

Wenn Simpson sich ärgert, dann ärgert er sich. Wenn er frustriert ist, dann ist er frustriert. Er ist immer authentisch. Das macht ihn sympathisch. Deshalb mögen ihn die Spieler. Und deshalb sind letztlich wohl auch die Verhandlungen über eine Vertragsverlängerung gescheitert.

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Diese Ehrlichkeit, diese Unmöglichkeit, sich zu verstellen, hat ihm grandiose Erfolge wie keinem anderen Schweizer Klub- und Nationaltrainer beschert (Meister, Champions League, Victorias Cup, Spengler Cup, WM- Silber). Eine einmal entstandene Dynamik kann er bis in silberne Höhen verstärken. Aber wenn sich die Hockeygötter gegen ihn wenden, wenn der Puck nicht mehr seinen Weg gehen will, dann wird es für Sean Simpson schwierig. Er ist kein Mann, der die emotionalen Gezeiten steuern kann. Die Flut kann er verstärken. Die Ebbe nicht mehr aufhalten.

Glaubt Sean Simpson hier in Minsk an die Wende? Ja, aber er hat Zweifel. Doch der Zorn über die Ungerechtigkeit der annullierten Tore ist grösser als diese Zweifel. Deshalb ist Sean Simpson jetzt «a man on a mission.» Ein Mann auf einem Feldzug gegen alle Widerwärtigkeiten des Mannschaftsportes. Die Wende kann gelingen.

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