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Ambri – die Magie der Defensive und ein Drama

Team HC Ambri Piotta celebrate with the trophy after winning the final game between Czech Republic's Sparta Praha and Switzerland's HC Ambri-Piotta, at the 94th Spengler Cup ice hockey tourn ...
Ambri stemmt den Pokal hoch, 31. Dezember 2022.Bild: keystone
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Ambri – die Magie der Defensive, die alte Regel, eine Ballett-Einlage und ein Drama

31.12.2022, 15:5731.12.2022, 16:23
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Nun ist «La Montanara», das Lied der Berge, auch das Lied eines Triumphs in den Bergen: Ambri gewinnt den defensivsten aller Spengler Cups – im dramatischsten Spiel seiner Geschichte.

Dazu passt: Das entscheidende Tor gelingt Inti Pestoni, dem berühmten Sohn der Leventina, der in der Fremde nie glücklich geworden ist. Dieser Final (3:2 nach Penaltys) ist die Eishockey-Antwort auf das Endspiel der Fussball-WM. Es gibt den Begriff «Spengler-Cup-Hockey». Also Eishockey als Spiel, befreit aus der Zwangsjacke der Taktik, geprägt von offensivem Spektakel.

Nun haben wir gefühlt zum ersten Mal einen taktischen, einen defensiven Spengler Cup erlebt. Mit einem Sieger, der uns die Magie der Defensive, der Taktik vorgeführt und daraus ein Drama gemacht hat, das noch in hundert Jahren im kargen Bergtal der Leventina nicht vergessen sein wird.

Aber Ambris Taktik hat nur funktioniert, weil die älteste und wichtigste Regel befolgt worden ist: Es geht nur mit einem grossen Torhüter. Der legendäre kanadische Hockey-Coach und -Lehrer Dave King pflegte seine Vorträge mit der Bemerkung abzurunden: «Und nun vergessen Sie alles, was Sie gehört haben, wenn Sie keinen grossen Torhüter haben.» Auch Sparta Prag ist im Final an Janne Juvonen zerbrochen. Der schweigsame Finne hat im Final 28 Schüsse und vier Penaltys gehalten. Den fünften hätte er auch um ein Haar pariert.

Sparta, in der tschechischen Meisterschaft auf Rang 4, hatte mit Jakub Kovar auch einen grossen Goalie. Er kennt dramatisches Scheitern. Im letzten Frühjahr hat er mit den ZSC Lions den Playoff-Final verloren. Ambri hatte mit Janne Juvonen einen noch besseren letzten Mann. Den besten Goalie des Turniers mit einer sagenhaften Fangquote von 96.43 Prozent. Das ist der Ausgangspunkt des grossen Triumphs.

Aber Ambri hatte bei Weitem nicht die nominell beste Mannschaft. Bei einem Talentwettbewerb, bei dem es nur darum gegangen wäre, um auf dem Eis aufgestellt Hindernisse herumzukurven, die Schussstärke zu messen, möglichst präzis in die Torecke zu treffen oder sonstige Zirkusstücke aufzuführen, hätte Ambri womöglich gar den letzten Platz belegt.

Aber Ambri hat taktisch perfekt gespielt. In einem Turnier, in dem die Struktur im Spiel so wichtig war wie noch nie. Auch darum sind die miserabel vorbereiteten und noch miserabler gecoachten Kanadier so gedemütigt worden. Nur einmal ist bei diesem Turnier «Spengler-Cup-Hockey» zelebriert worden: bei der 2:9 Niederlage der Davoser gegen Prag. Da brachen alle defensiven und taktischen und sonstigen Dämme. Typisch für diesen Spengler Cup war der Final. Intensiv, schnell, präzis, taktisch auf allerhöchstem Niveau. Und dazu ein veritables Drama.

Ambris Spengler-Cup-Sieg ist ein Triumph der modernen Defensive. Also der Struktur im Spiel. Der Ordnung im eigenen Drittel. Der richtigen Zuordnung. Der hohen Konzentration und der tiefen Fehlerquote. Der Disziplin und der Nervenstärke. Und dem sofortigen Erfassen der Spielsituationen und schnellen Umschalten.

Was so einfach tönt, ist die hohe Kunst des Hockeys: Wenn der Gegner die Scheibe hat, die Gegenspieler und die Räume kontrollieren. Wenn der Puck in den eigenen Reihen ist, die sofortige Loslösung vom Gegenspieler und aus der Tiefe heraus der Vorstoss in die freien Räume. Das bedingt: Keiner darf passiv spielen. Jeder muss auf den Zehenspitzen stehen, gespannt sein wie die Feder einer aufziehbaren Uhr. Das alles ist nur möglich, wenn Disziplin und Leidenschaft im Gleichgewicht sind. Nur grosse Trainer schaffen es, ihre Mannschaft in grossen Spielen in diesem Gleichgewicht zu halten. Luca Cereda ist ein grosser Trainer. Leise in der Art, stark in der Tat. Wo wären Lugano, wo der SCB mit einem grossen Trainer wie Luca Cereda?

So hat Ambri der Defensive, die dem Sinne nach «zerstörerisch» ist, Magie verliehen. Defensive und Disziplin sind nicht alles, aber ohne Defensive und Disziplin ist alles nichts. Es gilt aber auch: Talent ist nicht alles, aber ohne Talent ist alles nichts. Ambri hatte bei diesem Turnier – und ganz besonders im Final – die Prise Talent, die es für den ganz grossen Triumph gegen einen gleichwertigen Gegner einfach braucht. Sparta war ein gleichwertiger Gegner. Diese Prise Talent war in Ambris Spiel, was dem Käse das Lab. Ohne ein bisschen Lab wird aus der besten Milch kein guter Käse. Das Lab im Spiel Ambris ist im Final das Talent von Torhüter Janne Juvonen, die Balletteinlage von Alex Formenton und die Kaltblütigkeit und die Schlauheit von Dario Bürgler und Inti Pestoni.

Es gibt eine Szene, die uns den Spengler Cup 2022 im Allgemeinen und den Final im Besonderen erklärt: Die 24. Minute läuft. Ambri hat einen Mann auf dem Sündenbänklein. Sparta sucht jetzt mit einem Mann mehr (Powerplay) den Führungstreffer zum 2:1. Da entwischt Alex Formenton und erzielt bei Unterzahl seines Teams das 2:1. Ohne diesen Treffer hätte es die Verlängerung, die Penalty-Entscheidung und den Gewinn des Spengler-Cups nicht gegeben. In Vorbereitung, Ausführung und Vollendung ein Kunstwerk. Ein perfektes Tor, eines der schönsten, die je beim Spengler Cup erzielt worden sind. Eine Kombination aus Schlauheit, Präzision, Kaltblütigkeit und Eleganz, die es in dieser Vollendung nicht einmal im richtigen Ballett gibt, aufgeführt auf Bühnen in geheizten Kunsthäusern und nicht auf rutschiger Unterlage.

Wie schwierig diese Ballettübungen sind, sollte sich noch zeigen: Alex Formenton wird in der Verlängerung allein vor dem gegnerischen Goalie und auch im Penalty-Schiessen scheitern. In Situationen, die eigentlich einfacher gewesen wären.

Den ersten Treffer im Penaltyschiessen gelingt Dario Bürgler. Erfahren aus über 800 Spielen. Er ist am 18. Dezember 35 geworden. Schlau, ruhig, gelassen. Was für ein Stich in die Seele Luganos: Im Frühjahr 2021 wollte ihn Lugano nicht mehr. Zu alt. Und nun legt er mit dem verwerteten Penalty den Grundstein für Ambris grössten Triumph im nationalen Hockey.

Inti Pestoni wird den finalen zweiten Penalty verwerten, der Ambri auch noch die 150'000 Franken Prämie für den Gewinn des Spengler Cups einbringt. Einer, der für Lugano zu alt war und der Sohn des Tales, der in der Fremde nie glücklich sein konnte, entscheiden das Penalty-Drama. Ewiges Ambri. Als Sieger wird Ambri die Einladung für den nächsten Spengler Cup bekommen. Die Langnauer müssen warten, wenn Ambri die Einladung annimmt.

Aber zu dieser wunderbaren Geschichte gehört auch: Der SC Bern darf sich freuen: Am Montag kommt Ambri, aktuell auf Platz 10. Der Sieg ist schon fast gewiss. Das Niveau des Spengler Cups kann Ambri wahrscheinlich erst in einem Monat wieder erreichen. Oder gar nie mehr in dieser Saison. Es braucht viel Zeit und Geduld, um die Batterien wieder aufzuladen, die Emotionen erneut aufzubauen. Die nun folgenden Meisterschaftspartien werden für Ambri so schwierig sein wie eine zehnmalige Wiederholung der Romantik, der Einmaligkeit und der Leidenschaft einer Hochzeitsnacht.

Aber was sind schon ein paar Niederlagen Laufe einer Qualifikation gegen den soeben errungenen, einmaligen Spengler-Cup-Ruhm für die Ewigkeit?

P.S. Lugano hat den Spengler Cup noch nie gewonnen und die Finals von 1991, 2015 und 2016 verloren …

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