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Aggression, Hilflosigkeit, Frust: Warum Suarez gebissen hat und es wieder tun wird

Was steckt hinter der Beissattacke von Luis Suarez? Eine Sportpsychologin und ein Trainercoach gehen der Sache auf den Grund.Bild: AP
Fussballer «mit Biss»

Aggression, Hilflosigkeit, Frust: Warum Suarez gebissen hat und es wieder tun wird

Uruguay-Stürmer Luis Suarez wird wieder zubeissen. Darin sind sich die Sportpsychologin Ramona Feldmann und der Trainercoach Ruedi Zahner einig. Denn die Attacke sei triebgesteuert gewesen.
25.06.2014, 16:3315.07.2014, 13:39
Daria Wild
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Aller guten Schultern sind drei, Suarez hat wieder zugebissen. Jetzt lacht die Welt über den Stürmer aus Uruguay, watson-Sportredaktor Ralf Meile ärgert sich und fordert eine drakonische Strafe, und wir machen das einzige, was noch übrig bleibt: würdigen Suarez' Biss sport- und verhaltenspsychologisch. Und landen dabei rasch bei den Gemeinsamkeiten zwischen dem Fussball und dem Tierreich.

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Gif: giphy

Aber der Reihe nach. Etwa jede vierte bis fünfte behandelte Bisswunde stammt von einem Menschen, nie wird mehr gebissen als im Frühling und Sommer, der leichten Kleidung wegen vermutlich, und am häufigsten beissen Mädchen im Jugendalter, weil Kreischen, Zwicken und Beissen als feminin vermittelt werden, anders als Prügeln und Treten. Das ergibt eine nicht repräsentative Google-Recherche zum Thema Beissen.

Als einigermassen gesichert gilt aber die Erkenntnis, dass der Ursprung der menschlichen Beisslust in der Kindheit liegt. Kleinkinder beissen oft und gern. Erst später begreifen sie, dass die Gesellschaft das nicht akzeptiert. Also entwickeln Erwachsene eine Beisshemmung, die nur starker Zorn oder extreme Verzweiflung durchbrechen. «Wutbeissen» nennt sich das. 

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Suarez' Biss in Chiellinis linke Schulter.GIF: SRF

Um herauszufinden, ob das auch auf Suarez zutrifft und warum er gebissen hat, fragen wir zwei, die es wissen müssen: Ruedi Zahner, Erfolgsforscher und Coach von Spitzensportlern, «und zwar mit Biss», und Ramona Feldmann, Kommunikationsverantwortliche der Schweizer Vereinigung für Sportpsychologie. Sie erklären, warum der Biss Ausdruck unterdrückter Aggressionen ist, die Szene aus dem Spiel Uruguay – Italien an Tiere im Nahkampf erinnert und warum Suarez es wieder tun wird.

Der Ursprung allen Übels

«Vielleicht hat er als Kind viel gebissen.»
Sportpsychologin Ramona Feldmann

Zahner sieht hinter der Attacke einen unschuldigen und eigentlich friedliebenden Jungen, dessen unterdrückte Aggressionen in einem Moment der extremen Verzweiflung in Wut umschlagen. Man kenne das von Frauen, die sonst lieb und anständig seien und plötzlich «Zähne zeigen» würden. «Solche Aggressionen können sich über Jahre anstauen», so Zahner. Das Beissen sei wohl ein Muster, das Suarez seit klein auf verfolge, wenn er unter Druck sei oder sich hilflos fühle.

Ähnlich sieht das Ramona Feldmann. Dass Suarez beisse und nicht mit dem Kopf stosse oder den Gegner schubse, könne eine entwicklungspsychologische Ursache haben. «Vielleicht hat er als Kind viel gebissen», so Feldmann.

Die Attacke

«Ein Foul passiert in der Aktion, ein Biss nicht», sagt Feldmann. «Bei Suarez brauchte es also ein kleines Zeitfenster, währenddessen er nicht in Aktion war. In diesem Moment brannten seine Sicherungen durch und er biss zu.» Diese Attacke sei triebgesteuert, nicht rational durchdacht und wohl auch nicht böswillig gemeint.

Zahner, der das Spiel live verfolgte, sagt: «Ich war erstaunt, ungläubig, dann schockiert.» Die Attacke zeige, dass der Spieler unter einem unglaublichen Druck gestanden habe. «Hinzu kommt, dass die Italiener wahnsinnig harte Verteidiger sind, den Stürmern keinen Raum lassen», so Zahner.

Die Deutung

«Ein Fussballspiel ist auch ein Kampf. Wer nicht dominant ist, ist kein guter Spieler.»
Ramona Feldmann

«Suarez' Trieb sagt ihm in diesem Moment, er müsse seine Beute packen», sagt Feldmann. Beissen habe etwas Archaisches. «Es bedeutet, Macht zu demonstrieren, den Raum einzunehmen», so Feldmann. «Ein Fussballspiel ist auch ein Kampf. Wer seine Stärke nicht zeigt, nicht präsent und dominant ist, ist kein guter Spieler.» Der Biss sei zwar eine grobe Unsportlichkeit, zeige aber auch, dass der Spieler voll dabei und sehr kämpferisch sei, so Feldmann weiter. 

«Die Attacke gleicht einem Nahkampf im Tierreich.»
Ruedi Zahner

Ein ähnliches Bild bemüht Zahner: «Die Attacke gleicht einem Nahkampf im Tierreich», sagt der Trainercoach. Der Biss sei ein Reflex, der viel mit der Nähe von Suarez und Chiellini zu tun habe. «Das geschieht in diesem Moment nicht willentlich», so Zahner. Das triebgesteuerte Verhalten kenne man von Tieren. Dass das auf dem Fussballplatz durchschlage, sei gar nicht so abwegig. Zahner: «Schliesslich fordern Trainer ihre Spieler ja auch auf, dem Gegner keinen Raum zu lassen, ihn zu packen, zu fressen. Jetzt hat es einer dummerweise getan.»

Bild
Bild: tumblr/getsideline

Die Folgen

Suarez wird es wieder tun. Da sind sich die Experten Feldmann und Zahner einig. Sanktionen hin oder her. «Ich bin allerdings erstaunt, dass man bei einem Fussballer auf diesem Niveau nie Versuche gestartet hat, dieses Verhaltensmuster zu untersuchen», sagt Zahner. Feldmann wendet ein, dass hier sportpsychologische Arbeit geleistet werden könnte. Doch dafür brauche es viel, viel Zeit. 

Mehr zum «Beisser»

Vom Rapport des mexikanischen Schiedsrichters Marco Rodriguez hängt ab, ob Luis Suarez aus dem Verkehr gezogen wird.
Vom Rapport des mexikanischen Schiedsrichters Marco Rodriguez hängt ab, ob Luis Suarez aus dem Verkehr gezogen wird.Bild: Ricardo Mazalan/AP/KEYSTONE
Fifa eröffnet Verfahren
Die FIFA informiert am frühen Morgen, dass sie eine disziplinarische Untersuchung gegen Luis Suarez eingeleitet hat. Der Spieler und/oder der uruguayische Verband seien eingeladen, bis heute um 17 Uhr brasilianischer Zeit ihre Stellungnahme abzugeben.
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