Die wundersame Reise des Gianni Infantino beginnt als Einwandererkind in Brig. La Mamma führt einen Kiosk. Papa arbeitet als Rangierarbeiter im Bahnhof. Piccolino, wie er von seinen älteren Schwestern genannt wird, hat einen Traum: Fussballer. Aber das Talent in den Füssen reicht nur für die 5. Liga.
Doch das Talent im Kopf reicht für die Champions League. Und sein Ehrgeiz sowieso. Das Jus-Studium finanziert er sich als Schlafwagenbegleiter. Und später, bei der Uefa, dient er sich gewissenhaft bis zum Generalsekretär hoch. Dort ist er Michel Platinis Schattenmann.
Bewunderer Infantinos sagen indes, er sei das Hirn des Uefa-Präsidenten gewesen. Egal. Infantino ist der Mann im Hintergrund. Ausnahme: Es werden Partien ausgelost. Dann darf er ins Rampenlicht. Als Zeremonienmeister.
Ginge es nach dem Willen der Uefa, wäre auf dem gestrigen Fifa-Kongress Platini zum Präsidenten gewählt worden. Doch der Franzose ist gesperrt. Also musste ein Plan B her. Dieser heisst Infantino, der joviale Secondo aus dem Wallis, der sechs Sprachen spricht.
Infantino legt am Kongress einen selbstsicheren, charmanten und rhetorisch fulminanten Auftritt hin. Sein Wahlprogramm hingegen ist eher platt.
Er verspricht vieles: Er werde den Ruf der Fifa wieder herstellen. Er werde die Fifa in eine neue Ära führen, den Fussball wieder ins Zentrum rücken. Aber vor allem verspricht er Geld. Viel mehr Geld. Und zwar für alle Mitgliederverbände. Auch für die reichen Europäer, die es gar nicht nötig haben. Eine Million Dollar pro Jahr für jeden Verband statt wie bisher 250000. Dazu die Aufstockung des WM-Teilnehmerfeldes von bisher 32 Mannschaften auf40. Und selbstverständlich gibt er sich als grosser Befürworter der Reformen.
Ob Infantino sein teures Wahlversprechen tatsächlich einhalten kann? Zu angespannt ist derzeit die finanzielle Lage des Fussball-Weltverbandes. Am Tag des Kongresses teilt die Fifa mit, dass das zu erwartende Defizit für den Zyklus bis 2018 etwa 550 Millionen Dollar betrage. Und eine aufgeblähte WM mit 40 Teams ist ausgerechnet Infantinos eigenem Lager, den Europäern, ein Dorn im Auge. Weil der Terminkalender eh schon rappelvoll ist.
Seine Absicht, die Reformen umzusetzen, muss Infantino erst noch in die Tat umsetzen. Dreht man die Zeit etwas zurück, könnte man ihm gar Opportunismus vorwerfen. Ausgerechnet die Uefa, wo Infantino die Nummer 2 war, hat den Reformprozess der Fifa lange bekämpft.
Ausserdem kennt die Uefa weder eine Ethikkommission noch eine Amts- oder Altersbeschränkung. Nur: Alles andere als ein Bekenntnis zu Reformen bedeutet derzeit für Fussballfunktionäre Selbstmord.
Überhaupt sind Reformen eine Sache, die hauptsächlich die Reformer befriedigt. Was bedeutet das im Fall der Fifa? Diese Reformen befriedigen wohl weniger die Fifa selbst als die US-Justiz. Denn erst auf deren Druck verschärfte die Fifa ihr Tempo. Sowieso ist die Fifa-Zentrale auf dem Zürichberg derzeit in amerikanischer Hand.
Rund zwei Dutzend Spitzen-Anwälte aus den USA überwachen jeden relevanten Schritt in der Administration. Das kostet die Fifa. Die Rede ist von zehn Millionen Dollar – jeden Monat. Warum dieser Bückling der sonst so selbstherrlichen Fifa vor den Amerikanern? Nun, wären die Reformen vor dem Kongress gescheitert, wäre die Fifa von den amerikanischen Behörden wohl als «kriminelle Institution» eingestuft worden.
Noch fehlt der Glaube daran, dass dieses Reformpaket den Fussball langfristig verändern kann. Womit wir wieder in den USA sind. Denn dort wird Ende Jahr ein neuer Präsident gewählt. Was bedeutet, dass auch Justizministerin Loretta Lynch, die treibende Kraft hinter der Jagd auf korrupte Fussballfunktionäre, abtritt.
Ein abflachendes Interesse der US-Justiz an der Fifa könnte Infantino und seine Gefolgsleute dazu verleiten, die hehren Absichten vom 26. Februar aus dem Gedächtnis zu streichen.
Andererseits fehlt der Glaube, weil die herrschende Funktionärs-Elite bislang nicht für Verantwortungsbewusstsein, Demut, Aufrichtigkeit und Vorbildfunktion stand. Softfaktoren, gewiss. Aber eben auch zentrale Punkte des Reformpakets. Und sie sind absolut unabdingbar, um der Institution zu Glaubwürdigkeit zu verhelfen.
Infantinos Fifa kann nicht wie bisher eine WM vergeben, dem Ausrichterland alle Regeln diktieren, im Gegenzug unverschämt viel Geld kassieren und wiederim Gegenzug alle Probleme auf den Ausrichter abschieben. Damit ist hoffentlich Schluss. Das Reformpaket zwingt Infantinos Fifa, Verantwortung zu übernehmen. (aargauerzeitung.ch)