Endlich wieder zuoberst! Ferrari konnte in Silverstone zum ersten Mal seit April wieder einen Sieg feiern. Carlos Sainz gewann zum ersten Mal nach über 150 gefahrenen Rennen. Und dennoch war die «Scuderia» nach dem Grossen Preis von Grossbritannien irgendwie nicht in Partylaune – denn der Haussegen hängt schief.
Konkret geht es darum, dass zuletzt immer wieder strategische Fehler begangen wurden, die Charles Leclerc im Kampf um den WM-Titel gegen Max Verstappen wichtige Punkte kosteten. Auch das Rennen in Silverstone war da keine Ausnahme: Zur Mitte des Rennens warteten die Ferrari-Strategen lange, bis sie die Stallorder gaben, dass Leclerc am deutlich langsameren Carlos Sainz vorbeiziehen konnte. Die Scuderia versuchte so, Sainz als Puffer einzusetzen, um Lewis Hamilton in Schach zu halten.
Die Aktion, die Experten am kritischsten betrachten, passierte jedoch wenige Runden vor Schluss des Rennens. Der Ausfall von Esteban Ocon sorgte für eine weitere Safety-Car-Phase. Max Verstappen war zu diesem Zeitpunkt wegen eines beschädigten Unterbodens in seinem Fahrzeug ins Mittelfeld zurückgefallen, Ferrari hatte weiterhin die Doppelführung inne. Für Leclerc hätte sich also die Chance geboten, einige Punkte auf seinen ärgsten WM-Konkurrenten aufzuholen.
Doch die Ferrari-Strategen um Inaki Rueda entschieden sich dafür, in dieser Zeit nur Sainz reinzuholen und mit Soft-Reifen auszustatten. Leclerc musste mit seinen harten Reifen draussen bleiben und hatte nach dem Restart keine Chance, seinen Podestplatz gegen Sergio Perez und Lewis Hamilton auf den schnelleren weichen Reifen zu verteidigen. Beinahe wäre er auch noch hinter Fernando Alonso und Lando Norris zurückgefallen.
Ferrari-Teamchef Mattia Binotto verteidigte seine Entscheidung nach dem Rennen: «Wir hatten das Gefühl, dass wir nicht genügend Abstand zwischen den beiden Autos hatten, um beide Fahrer an die Box zu holen. Wir mussten also wählen und haben uns entschieden, Carlos reinzuholen – ganz einfach, weil Charles das Rennen anführte. Wir wissen auch nicht, was die anderen Fahrer getan hätten, wenn er als Leader an die Box abgebogen wäre.» Man habe bei Ferrari gehofft, dass die weichen Reifen der Konkurrenz schneller abbauen, was dann aber nicht eingetreten sei.
Vermutlich wäre der Ferrari-Bolide, der als Zweites in die Boxengasse gekommen wäre, tatsächlich hinter Hamilton zurückgefallen. Doch Mercedes glaubte nicht, dass der Brite diese Position lange hätte verteidigen können. «Wir hatten im Vergleich zu Ferrari viel grössere Probleme, unsere Reifen aufzuwärmen. Sie waren auf den Geraden viel schneller als wir», sagte Hamilton, der als Dritter auf dem Podest stand.
So landete Leclerc am Ende auf Rang 4 und konnte auf Verstappen nur sechs Punkte aufholen. Entsprechend frustriert war der Monegasse: «Wie viel Zeit wir in diesem Rennen verloren haben … oh mein Gott. Das einzig Gute am heutigen Tag ist der Sieg von Carlos. Verdammt nochmal, Leute», funkte er nach dem Rennen zu seinem Team.
«Ich verstehe nicht, was Ferrari heute gemacht hat. Sie haben alles gemacht, um Leclerc das Rennen zu versauen», sagte Sport1-Experte Ralf Bach. Er ergänzte: «Grundsätzlich könnte man sagen: Wer die Ferrari-Strategie-Abteilung zum Freund hat, braucht keine Feinde.» (abu)