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Dreieinhalb Jahre nach der Zwangsrelegation: Xamax ist zurück auf der Fussballbühne

Ganz soweit ist man in Neuenburg noch nicht: Der erste Meistertitel der Vereinsgeschichte in der Saison 1987/88.
Ganz soweit ist man in Neuenburg noch nicht: Der erste Meistertitel der Vereinsgeschichte in der Saison 1987/88.Bild: KEYSTONE

Dreieinhalb Jahre nach der Zwangsrelegation: Xamax ist zurück auf der Fussballbühne

Am Sonntag hat Xamax die Chance, nach dreieinhalb Jahren Unterklassigkeit den ersten Schritt zurück zu alter Grösse zu machen. In der Partie gegen Étoile Carouge geht es um den Aufstieg – vielleicht.
24.04.2015, 22:0025.04.2015, 09:46
William Stern
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Die Ausgangslage
14 Punkte Vorsprung weisen die «rouge et noir» in der Promotion League auf den Zweitplatzierten, den FC Sion II, auf. Weil aber U21-Teams nicht in die zweithöchste Liga aufsteigen können, ist Köniz der letzte Konkurrent der Neuenburger. Sollten die Berner am Samstag gegen Rapperswil-Jona nicht über ein Unentschieden hinauskommen, kann Xamax mit einem Dreier im Derby gegen Étoile Carouge den Aufstieg besiegeln. 

Wenn an diesem Sonntagnachmittag die Uhr auf der Anzeigetafel in der Maladière bei 16.45 stehen bleibt, könnte für Neuchâtel ein lang gehegter Traum in Erfüllung gehen: die Rückkehr in die Challenge League. Drei lange Jahre musste sich Xamax in den Niederungen der Schweizer Fussballligen durchschlagen – für einen Klub mit dem Selbstverständnis und der Historie wie Xamax eine Ewigkeit. 

Auch wenn sich Christian Binggeli im Vorfeld Mühe gab, die Euphorie zu bremsen – «Ich kämpfe gegen alle, die glauben, wir haben es schon geschafft», sagte der Präsident vor einem Monat gegenüber «Le Matin» – der Aufstieg ist sechs Runden vor Schluss beschlossene Sache. Die Frage ist nur noch, wann die grosse Meisterfeier starten wird. 

14.06.2014: Nach dem erfolgreichen Aufstieg in die 1. Liga Promotion (siehe Teaserbild) – Präsident Christian Binggeli (links) mit Torhüter Laurent Walthert.
14.06.2014: Nach dem erfolgreichen Aufstieg in die 1. Liga Promotion (siehe Teaserbild) – Präsident Christian Binggeli (links) mit Torhüter Laurent Walthert.Bild: Sandro Stutz/freshfocus

 

Klingende Namen

Lucien Favre, Bernard Challandes, Uli Stielike, Gilbert Gress, Don Given, Roy Hodgson, Ruedi Elsener, Andy Egli, Marco Pascolo, Stéphane Henchoz, Pascal Zuberbühler, Henri Camara, Papa Bouba Diop, Haris Seferović, Steve von Bergen, Franck Etoundi. Aus den ehemaligen Spielern von Neuchâtel Xamax könnte man problemlos drei Topteams – darunter eine konkurrenzfähige Schweizer Nationalmannschaft – bilden. Es ist erstaunlich, wie viele klingende Namen an dem einen oder anderen Punkt ihrer Karriere bei Neuchâtel Xamax haltgemacht haben. Für den Grossteil der Spieler blieb Xamax allerdings nur eine Durchgangsstation auf dem Weg nach oben – oder in die Versenkung. 

Spieler wie Uli Stielike, Gilbert Gress oder Pascal Zuberbühler haben bei Xamax ihre Karriere ausklingen lassen. Andere, wie Haris Seferović und Franck Etoundi, haben in Neuchâtel ihre Karriere lanciert. Und wieder andere haben ihrer Karriere auf dem Rasen der Maladière, gleich neben dem Lac de Neuchâtel, einen Neuanstrich gegeben.

Ähnlich seinen Spielern hat sich auch Xamax immer wieder neu erfunden. Die Geburtsstunde des Klubs datiert zwar von 1912, als der spätere Schweizer Internationale Max «Xam» Abegglen beschloss, sich selber in den illustren Kreis von Personen zu gesellen, nach denen ein Fussballklub benannt ist. 1970 erfolgte dann die Fusion mit dem FC Cantonal Neuchâtel, 2012 und 2013 schloss man sich mit dem FC Serrières zusammen. 

Vor allem die letzten beiden Episoden werden Fans in unguter Erinnerung behalten. 2010 verkaufte der Unternehmer Sylvio Bernasconi seine Anteile am Klub Bulat Tschagajew. Der umtriebige Russe tschetschenischer Herkunft installierte sogleich seine Entourage an den Schaltstellen des Vereins. Die unrühmliche Episode gipfelte im Versuch, dem Klub den Beinamen Vainach zu geben, die historische Bezeichnung der russischen Teilrepubliken Tschetschenien und Inguschetien. 

Challenge League
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«Wir wussten nicht, was im nächsten Moment passiert. Du kommst am Morgen zur Arbeit und hoffst, dass dein Verein noch existiert.»
Mike Gomes

Was danach folgt, gleicht einem mittelmässigen Kriminalroman, der in der Teppichetage eines Sportklubs angesiedelt ist: Bulat Tschagajew wird wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung in Untersuchungshaft genommen, die Super League entzieht dem Verein die Lizenz. Das Spiel gegen den FC Basel im Dezember 2011 ist das letzte in der Super League. Im Januar 2012 meldet Neuchâtel Xamax SA Konkurs an. Die in der 2. Liga interregional spielende U21-Mannschaft wird zur neuen 1. Mannschaft. Spieler wie Haris Seferović, Mickaël Facchinetti, Vullnet Basha und Stéphane Besle verlassen den Verein.

Bulat Tschagajew: In Handschellen und mit weisser Bomberjacke erscheint der ehemalige Präsident von Neuchâtel Xamax vor dem Amtsgericht in Boudry. Tschagajew musste 2013 die Schweiz verlassen; wann er ...
Bulat Tschagajew: In Handschellen und mit weisser Bomberjacke erscheint der ehemalige Präsident von Neuchâtel Xamax vor dem Amtsgericht in Boudry. Tschagajew musste 2013 die Schweiz verlassen; wann er sich vor Gericht verantworten muss, ist unklar.Bild: KEYSTONE

Neuanfang 

Mike Gomes kann sich gut an die Partie gegen den FC Basel und das anschliessende Chaos im Verein erinnern. Im Gespräch mit watson erzählt er von den turbulenten Jahren der Tschagajew-Zeit: «Das war eine schwierige Zeit. Wir wussten nicht, was im nächsten Moment passiert. Du kommst am Morgen zur Arbeit und hoffst, dass dein Verein noch existiert.» Heute ist Gomes – Typ solider Verteidiger, rechte Aussenbahn – wieder Teil von Xamax. Der Kreis schliesst sich im Sommer 2013, nachdem der schweizerisch-portugiesische Doppelbürger ein Jahr bei Servette verbracht hat. «Es war eine gute Entscheidung, wieder bei Xamax anzuheuern. Wir sind eine junge, hungrige Truppe, in der alle am gleichen Strick ziehen.» Tatsächlich setzt sich das Xamax-Kader mehrheitlich aus jungen Spielern zusammen, viele davon stammen aus der Region und identifizieren sich von Kindesbeinen an mit dem Verein. 

Mike Gomes im Zweikampf mit Daniel Pavlović im Sechzehntelfinal des Schweizer Cups, September 2014.
Mike Gomes im Zweikampf mit Daniel Pavlović im Sechzehntelfinal des Schweizer Cups, September 2014.Bild: KEYSTONE
«Xamax ist der Klub meines Herzens.»
Steve von Bergen

Mehdi Challandes, Sohn des Trainervulkans Bernard Challandes, zum Beispiel. Der Mittelfeldmotor hat seine ersten Schritte in der Nachwuchsmannschaft des FCZ gemacht, aber die Vertragsunterzeichnung bei Xamax 2014 fühlte sich schon wie eine Rückkehr an: «Klar», sagt Mehdi Challandes auf diese Frage hin, «ich habe hier Familie, meine Freundin kommt von hier, ich kannte bereits viele der Spieler.»

Steve von Bergen ist nicht bei Neuchâtel Xamax unter Vertrag. Aber er wäre prädestiniert, um sich das Trikot der «rouge et noir» überzustreifen. 200 Meter vom Stadion entfernt aufgewachsen, zehn Jahre im Klub verbracht, von den Juniorenteams bis zur 1. Mannschaft: «Xamax ist der Klub meines Herzens», gesteht von Bergen im Gespräch. Ob er es sich vorstellen könne, in naher Zukunft für Xamax die Schuhe zu schnüren? Von Bergen antwortet in bester Diplomaten-Manier: «Ich habe einen Vertrag mit YB, wir haben hier noch grosse Ziele. Und überhaupt, vielleicht will man mich dann gar nicht mehr.»

Steve von Bergen: «Xamax ist der Klub meines Herzens.»
Steve von Bergen: «Xamax ist der Klub meines Herzens.»Bild: KEYSTONE

Der finanzielle Kollaps und die Zwangsrelegation haben geschmerzt, sagt von Bergen. «Da ging in Neuchâtel etwas kaputt.» Von Bergen war damals in Cesena in der Serie A, aber die Ereignisse in der Heimat liessen ihn natürlich nicht kalt. 

Keine Berührungsängste: Publikumsliebling Mickaël Rodriguez wird nach seinem Tor zum 2:1 im entscheidenden Spiel gegen Baden, das den Aufstieg in die Promotion League besiegelte, von den Fans geh ...
Keine Berührungsängste: Publikumsliebling Mickaël Rodriguez wird nach seinem Tor zum 2:1 im entscheidenden Spiel gegen Baden, das den Aufstieg in die Promotion League besiegelte, von den Fans geherzt. Der 35-jährige Franzose schoss in drei Jahren bei Xamax 72 Tore.Bild: Sandro Stutz/freshfocus

Wäre er, wenn er nicht selber gleichzeitig mit YB bei GC gastieren würde, am Sonntag in der Maladière? «Gut möglich. Ich verfolge zwar nicht jedes Spiel, aber Nuzzolo wäre sicher dort. Er verfolgt praktisch jedes Spiel.»

Wenn am Sonntag die Fans den Rasen stürmen, werden sich die älteren Semester an die goldenen Jahre von Xamax erinnern: Die 80er, mit den Europacup-Duellen gegen Hamburg, Real Madrid oder Bayern München. Oder die beiden Meistertitel 1987 und 1988. Steve von Bergen kennt die Ereignisse nur aus der Bildergalerie in den Katakomben der Maladière.

Anruf bei Gilbert Gress, dem Meistertrainer von Xamax. Gress schreit regelrecht in die Telefonmuschel: «Hallo? Hören Sie mich? Vielleicht müssen Sie nachher aufs Handy anrufen, das Festnetztelefon spinnt und meine Frau ist nicht zuhause.» Das Gespräch wird später ein paar Mal unterbrochen, nicht so Gress' Erzählfluss. Gress schwärmt von den Europacup-Spielen gegen Hamburg und von der guten alten Zeit, die Anekdoten, die er zum Besten gibt, sind druckreif. Tatsächlich kommen sie praktisch eins zu eins in seiner Biografie «Mein Leben für den Fussball» vor. Als Xamax' voraussichtlicher Aufstieg zur Sprache kommt, wird Gress reserviert: «Ich habe keinen Kontakt mehr zu Xamax», sagt der 73-Jährige, der eine Wohnung in Saint-Blaise besitzt, keine 5 Kilometer von der Maladière entfernt. «Wissen Sie, Xamax, das waren für mich immer die Leute, nie der Klub selber.» 

Gilbert Gress nach seinem letzten Spiel als Trainer von Neuchâtel Xamax 1998. 
Gilbert Gress nach seinem letzten Spiel als Trainer von Neuchâtel Xamax 1998. Bild: KEYSTONE

Nicht alle denken so wie Gress. In der Maladière – Fassungsvermögen 12'000 – werden am Sonntag 10'000 Fans erwartet – nicht zuletzt wegen der Aktion Stade Pleine, die die Eintrittspreise auf fünf Franken reduziert. Das sind zwar nicht mal die Hälfte der 25'500 Zuschauer, die 1986 den UEFA-Cup-Viertelfinal gegen Madrid sehen wollten, aber deutlich mehr als der Zuschauerschnitt von 2500 bei den bisherigen Heimspielen in dieser Saison.

19. März 1986: Xamaxien Uli Stielike, Mitte, führt den Ball im UEFA-Cup-Viertelfinal gegen Real Madrid. Real-Spieler Emilio Butragueño kann der Kugel nur hinterherschauen.
19. März 1986: Xamaxien Uli Stielike, Mitte, führt den Ball im UEFA-Cup-Viertelfinal gegen Real Madrid. Real-Spieler Emilio Butragueño kann der Kugel nur hinterherschauen.Bild: KEYSTONE

Auf die Europacup-Nächte wird man in Neuchâtel wohl noch einige Zeit warten müssen, aber spannungsgeladene Duelle verspricht man sich allemal. «Natürlich hochkarätige Partien gegen unsere Lokalrivalen Servette, Lausanne und Biel», antwortet Gomes auf die Frage, was er sich von der Challenge League erhofft. 

Ob Servette, das momentan den zweiten Tabellenrang belegt, in der nächsten Saison überhaupt noch in der Challenge League spielt, steht noch in den Sternen. Sollte Xamax der Aufstieg gelingen, so ist zumindest die Marschroute festgelegt. Denn auch wenn es niemand so formuliert: Das Ziel für Xamax kann nur die Super League sein. Nicht nur Neuchâtel wegen: Der Schweizer Spitzenfussball geht ohne Xamax vieler Geschichte, Dramatik und Fussballbegeisterung verlustig.

Schon gesehen? Super League – Challenge League

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4 Kommentare
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Wir wünschen euch einen so guten Tag, wie ihn Pep damals beim Training hatte
Du hast schlechte Laune? Führ' dir mal dieses Video von Manchester-City-Coach Pep Guardiola zu Gemüte. Es geht dir dann besser, versprochen.

(Und Pep selbst sollte es vielleicht auch gleich schauen, nachdem er gestern Abend auf ziemlich bittere Art und Weise aus der Champions League ausgeschieden ist und sich emotional gerade in weniger berauschenden Dimensionen bewegen dürfte ...)

Liebe Community,
aktuell kann einem vieles auf die Stimmung schlagen (was soll dieser erneute Wintereinbruch, gopf?! Schnee??? Ernsthaft?
🤬). Aber jetzt bloss nicht den Kopf hängen lassen. Wir haben hier eventuell genau die Dopamin-Spritze, die ihr braucht. Toggi meinte jedenfalls, ihm sei es nach dem Video direkt wieder besser gegangen. «So fühl ich mich amis, und so rede ich zu den Kindern, wenn die mal selber das Zimmer aufgeräumt haben», gab er zu Protokoll.

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