Die Queen von England ist nicht in der Stadt an diesem Sonntag. Sie geniesst das Wochenende etwas ausserhalb von London, im Schloss Windsor. Drinnen im Herzen der Metropole säumen Tausende die Marathon-Rundstrecke. Die Sonne lacht vom Himmel. Und doch hat neben der Leichtathletik-WM auch König Fussball seinen Platz. Im Wembley steigt das letzte Kräftemessen vor dem Saisonstart, Arsenal gegen Chelsea. Es ist gleichzeitig die Revanche für den FA-Cup-Final. Am Ergebnis ändert sich nichts, Arsenal siegt, erhält den ersten Pokal der Saison – auch dank Granit Xhaka, dem «man of the match».
Königlich ist sein Auftritt noch nicht gerade. Aber eben so gut, dass ihn einige Zeitungen am Tag darauf adeln. Und bereits wieder sein herausragendes Spiel im FA-Cup-Final in Erinnerung rufen. Es war so etwas wie Xhakas Meisterstück. Der Beweis, dass der 50- Millionen-Mann in London angekommen ist. Ein Spiel, das Xhaka gutgetan hat. Denn seine erste Saison bei Arsenal war beileibe nicht immer einfach.
Für den Moment sind diese schwierigen Phasen vergessen. Wenn Arsenal heute Abend gegen Leicester die neue Saison in der Premier League eröffnet, dann beginnt auch für Xhaka eine neue Zeitrechnung. Die Zeit der Angewöhnung ist vorbei. Nun gilt es, so richtig durchzustarten. Er selbst sagt: «Ich bin im Vergleich zu vor einem Jahr noch einmal ein viel besserer Spieler geworden. Ich bin erfahrener.» Dann fügt er lachend an: «Und vielleicht bin ich auch ein bisschen weniger anfällig auf Provokationen.»
Granit Xhaka ist bei Arsenal auf der grösstmöglichen Bühne angekommen. Bei einem Verein aus den Top 6 der besten Liga der Welt. In einer tragenden Rolle. Wobei: Es herrscht nicht gerade Euphorie um die «Gunners». Trainer Arsène Wenger hat seinen Vertrag nach einer gefühlt endlosen Debatte um zwei Jahre verlängert. Er startet in seine 21. Saison als Trainer. Aber Aufbruchstimmung herrscht nicht. Eher im Gegenteil.
Der chilenische Star Alexis Sanchez möchte lieber heute statt morgen gehen. Das wichtigste Datum für die Fans ist deshalb der 1. September. Dann ist das Transfer-Fenster zu. Und erst dann – darin sind sich die Experten einig – kann Arsenals Weg etwas genauer vorausgesagt werden.
Erstmals seit 1997 hat Arsenal nämlich die Champions League verpasst. Die vergangene Saison verlief mehrheitlich unerfreulich. Erst gegen Ende kam die Equipe wieder etwas in Schwung. Das mag auch daran gelegen haben, dass Wenger sein System umstellte. Neu spielte sein Team in einem 3-4-2-1, mit Granit Xhaka als Quarterback. Neun der letzten zehn Pflichtspiele wurden gewonnen.
Nun erwartet Arsenal, dass dem 24- Jährigen der nächste Schritt gelingt. Erinnerungen werden dabei wach an seinen Transfer von Basel zu Mönchengladbach. Auch in der Bundesliga brauchte er ein Jahr Anlaufzeit, ehe er immer besser wurde. Dasselbe könnte nun auch in London der Fall sein. Wenn Xhaka die beiden Ligen miteinander vergleicht, dann sagt er: «Der Fussball in England ist komplett anders. Es geht viel schneller und viel direkter nach vorne. Manchmal auch mit langen Bällen. In Deutschland wird der Ball mehr zirkuliert.» Auch deshalb denkt er, im Tempo-Bereich noch einmal Fortschritte gemacht zu haben.
Auch an das Leben in London musste sich Xhaka gewöhnen. «Ich war noch nie in einer richtig grossen Stadt. Erst einmal musste ich leer schlucken. So viel Verkehr. So viele Leute. Aber es ist toll hier, ich geniesse es. Und das Gerücht, dass es immer regnet, kann ich so auch nicht bestätigen.»
Doch wohin führt Arsenals Weg? Können die Gunners um den Titel mitspielen? Daran glaubt auf der Insel niemand. Zu gross ist die Konkurrenz. Die Teams aus Manchester mit den Startrainern Guardiola und Mourinho, Titelverteidiger Chelsea, aber auch Liverpool und Tottenham werden höher eingestuft.
Noch drehen sich die meisten Geschichten um Sanchez oder den neu verpflichteten Lacazette. Aber vielleicht hängt Arsenal ja tatsächlich mehr am Tropf von Xhaka, als dem Verein lieb ist. Das haben seine Auftritte in den jüngsten Finals angedeutet. Die Diskussionen um schlechte Tacklings und daraus resultierende rote Karten scheinen jedenfalls in den Hintergrund gerückt. «Ich kann mit diesen Debatten umgehen», sagt Xhaka, «wer es wagt, für sein Team Zeichen zu setzen, muss auch Rückschläge in Kauf nehmen.»
Doch nun ist es Zeit, neue Zeichen zu setzen.