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Der letzte seiner Zunft – eine Liebeserklärung an Gianluigi Buffon

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Die Karriere von Gianluigi Buffon in Bildern
19. November 1995: Gianluigi Buffon gibt sein Profi-Debüt in der Serie A. Er hält seinen Kasten beim 0:0 gegen die AC Milan rein. Vor dem Spiel sagt er zu Teamkollege Alessandro Melli: «Ich hoffe, Milan bekommt einen Penalty, damit ich ihn halten kann.»
quelle: juventus.com
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Wie schlimm sind deine Schwächen, solange du loyal bist? – eine Liebeserklärung an Gigi Buffon

Das Kryptonit von «Superman» Gianluigi Buffon ist längst kein Geheimnis mehr. Trotzdem hat er sich mit der Selbstverständlichkeit eines Champions und dem Charisma eines John F. Kennedy in den letzten 20 Jahren zum grössten Torwart aller Zeiten entwickelt. 
21.11.2015, 15:3821.11.2015, 16:00
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Fast exakt 20 Jahre ist es her: Wir schreiben den 19. November 1995: Parma-Trainer Nevio Scala plagen Personalsorgen, sein Torwart Luca Bucci fällt ausgerechnet für das Spitzenspiel gegen die AC Milan aus. Die Bredouille von Scala entpuppt sich jedoch schnell als Segen – der 17-jährige Gianluigi Buffon kommt zu seinem Profidebüt und beginnt mit dem Meisseln seines eigenen Denkmals. 

Die Lockerheit und das Selbstbewusstsein des 17-jährigen Gianluigi nach seinem ersten Serie-A-Spiel: «Ich hatte nicht erwartet, gegen Milan zu spielen, ich habe gedacht ich träume noch. Als ich das Spielfeld betrat, stellte ich mir vor, mit der Primavera (Jugend) zu spielen. Vielleicht habe ich es deshalb nicht so schlecht gemacht, weil ich innerlich ruhig war.»
video: streamable
Die Tabellenspitze der Serie A bei Buffons Debüt.
Die Tabellenspitze der Serie A bei Buffons Debüt.
screenshot: weltfussball.de

Dieser Teenager, der von sich selbst sagt, dass es seine grösste Lust ist, den Torschrei der gegnerischen Fans im Hals ersticken zu lassen, hat nur etwas im Kopf. Sein verdammtes Tor zu schützen. Mit Leib und Leben. Als wäre es eines seiner Kinder, welches er angegriffen sieht. Dabei ist er doch selbst noch ein halbes Kind. 

Bevor Buffon sein Debüt gibt, darf der damalige Primavera-Torhüter eine Woche mit der ersten Mannschaft trainieren. Trainer Scala erinnert sich zurück und sagt gegenüber goal.com

«Er stand im Tor und er machte aussergewöhnliche Dinge. Nur wirkten sie für ihn total normal.»
Der damalige Parma-Trainer Nevio Scala über Buffon nach dessen erstem Training mit den Profis

Torwart aus Narzissmus

Auch Parmas Torhütertrainer Vincenzo di Palma war von der ersten Sekunde hin und weg vom 17-jährigen Buffon: «Dieser Junge ist ein Phänomen». Buffon wusste selbst am besten, dass er aussergewöhnlich ist und was von ihm erwartet wird. Vor seinem Debüt gegen Milan sagte er gar zu Teamkollege Alessandro Melli: 

«Ich hoffe, Milan bekommt einen Penalty, damit ich ihn halten kann.»
Gianluigi Buffon vor seinem Profidebüt

Kommen solche Worte aus dem Mund von Buffon, glaubt man sofort, dass sie ernst gemeint sind. Für ihn war es immer selbstverständlich, der beste der Welt zu werden. Buffon wusste um sein Talent, worauf also warten, um es zu zeigen? «Ich bin aus reinem Narzissmus Torwart geworden, weil ich immer die Hauptrolle wollte», sagte Buffon 2014 in einem Interview mit «Tuttojuve».

Die Debüt-Partie gegen die AC Milan endete übrigens 0:0 – dank einem überragenden Gianluigi Buffon im Tor von Parma.

Die erste unfassbare Profi-Parade von Gianluigi Buffon bei seinem Debüt gegen Milan. 
video: streamable
Steckbrief Gianluigi Buffon
Geburtsdatum: 28. Januar 1978
Geburtsort: Carrara, Italien
Grösse: 1,91 Meter
Gewicht: 83 Kg
Fuss: Rechts
Vereine: AC Parma, Juventus Turin
Titel: 1x Weltmeister, 6x Italienischer Meister, 2x Italienischer Cupsieger, 6x Italienischer Supercupsieger, 1x UEFA-Cup-Sieger, 1x U21-Europameister
Persönliche Auszeichnungen:
4x Welttorhüter des Jahres, Welttorhüter der Dekade, 9x Serie-A-Torhüter des Jahres, bester Torhüter der WM 2006 
«Er machte ein aussergewöhnliches Spiel und er feierte kein bisschen. Er dankte nur seinem Trainer und dem Klub, die ihm das Vertrauen geschenkt hatten. Das war seine Stärke. Für ihn war es, als hätte er die einfachste Sache der Welt erledigt. Fast so, als hätte er nicht realisiert, was passiert war. Sicher, er hatte enorme technische Fähigkeiten, aber über allem stand seine unglaubliche innere Stärke.»
Scala zu goal.com über Buffons Spiel gegen Milan 1995
«Es war einfach total schwer, im Training ein Tor gegen ihn zu erzielen. Er war so gut darin, unsere Schüsse zu lesen. Er kannte die Richtung, bevor wir gegen den Ball getreten hatten. Und das war für ihn selbstverständlich. Er war 17 und er ging mit den Anführern und sehr erfolgreichen Spielern um, als sei er einer von ihnen. Und tatsächlich war er auch einer von uns. Wir wussten es. Dieser Junge würde es ganz an die Spitze schaffen.»
Parma-Stürmer Alessandro Melli zu goal.com
Eine Auswahl an Spielern, die vom Elfmeterpunkt an Gianluigi Buffon scheiterten.
Eine Auswahl an Spielern, die vom Elfmeterpunkt an Gianluigi Buffon scheiterten.
bild: infogr.am/watson

Ein Idol trotz oder gerade wegen seiner Fehler?

Buffon wurde bei Parma schnell zum Stammtorhüter, gewann 1999 den UEFA-Pokal und die Coppa Italia. Auf die überragenden Leistungen von Buffon schneite es jährlich Millionenofferten ein, Parma lehnte jedoch strikt ab. Bis Juventus Turin im Sommer 2001 umgerechnet 53 Millionen Euro in die Emilia Romagna überwies. Buffon ist damit bis heute der teuerste Torhüter aller Zeiten.

Alles cool: Buffon im Jahr 2003 vor dem Champions-League-Final. 
Alles cool: Buffon im Jahr 2003 vor dem Champions-League-Final. 
Bild: EPA PA

Bei Juventus wird Buffon zum absoluten Überflieger. Zwischen 2002 und 2006 holt Buffon mit Juventus viermal die italienische Meisterschaft – und wird in dieser Zeit dreimal zum Welttorhüter gewählt. 

Doch der «Superman» hat ein Kryptonit – es heisst Depression. In Buffons 2008 erschienenen Biografie «Numero Uno» schreibt der Torwart, dass er Ende 2003 an einer schweren Depression erkrankte. 

Ich fühlte mich so allein wie nie zuvor, ich war damals noch nicht verlobt. Ich vertrottelte vor dem Computer, im Internet. Bin in ein Loch gefallen, konnte mich nicht erheben. Ich sass im Bett, umschlang meine Knie und weinte. Weder der Fussball noch die Psychoanalyse konnten mir helfen.
Gianluigi Buffon in einem Interview mit der «La Repubblica» über seine Depressionen
Buffon 2003 nach dem verlorenen Champions-League-Final.
Buffon 2003 nach dem verlorenen Champions-League-Final.
Bild: EPA ANSA

Darauf hat Buffon begonnen, sich eine kulturelle Basis anzulesen, Kunstausstellungen zu besuchen, sich mehr für die Welt zu interessieren. «Drei Monate später zeigten sich die ersten Früchte meiner ganz persönlichen Renaissance», so der Italiener zur «La Repubblica». Heute liest Buffon jeden Tag zwei Tageszeitungen und hat auf Reisen immer ein Heft bei sich, schreibt darin Gedanken und Begriffe auf, die er nicht kannte. Weil er reden können will.

Wettsüchtig aber loyal

Aufgrund des Manipulationsskandals, dem «Calciopoli», wurden Juventus die Meistertitel der Jahre 2005 und 2006 aberkannt. Für Buffon kam es noch schlimmer, er stand unter Verdacht, illegal auf Partien der Serie A gewettet zu haben – er wurde aber freigesprochen. Buffos Ex-Frau Seredova behauptet sogar, dass Buffon bereits mehrere Millionen Euro bei Sportwetten verloren hat. 

«Ich habe viele Fehler begangen. Und ja, die Wetten ... auch das stimmt. Doch ich bin weit entfernt vom Bild, das man von mir zeichnet.»
Gianluigi Buffon über seine Wettsucht

Doch typisch Buffon war auch die Reaktion nach dem «Calciopoli»: Er führte Italien 2006 mit unfassbaren Leistungen zum ersten Weltmeistertitel seit 1982. Die Wahl zum besten Torhüters des Turniers war die logische Konsequenz. 

Buffons beste Paraden: Zurücklehnen und geniessen.
YouTube/Emanuele Simoncini

Zu fast schon gottähnlichem Ansehen – zumindest bei Juve-Fans – kam Buffon dank seiner Treue zu den «Bianconeri» während der Zwangsrelegation im Sommer 2006: Gigi war zusammen mit Alessandro Del Piero der erste, welcher sich hinter die «Alte Dame» stellte und den Gang in die Serie B mitmachte – als amtierender Welttorhüter und frischgebackener Weltmeister.

«Wenn du oft wechselst, bist du entweder ein Panzer oder du gehst daran leicht zugrunde. Ich bin nicht so wie die anderen Torhüter. Ich wollte mir nie diesen Mantel der Einsamkeit überziehen, so bin ich nicht. Ich brauchte Freunde, die mich stützen.»
Gianluigi Buffon sprach mit der «La Repubblica» über Klubtreue

Der David Duchovny des Fussballs

Das einzige Mal, als ich Gianluigi Buffon persönlich getroffen habe, war nicht nach einem Spiel in den Katakomben oder auf dem Trainingsgelände. Es war in Singapur. In einem Spielcasino. Beim Roulette. Er hat am gleichen Tisch wie ich gespielt, allerdings mit Einsätzen, die mein Monatsgehalt um ein vielfaches überschreiten. Und er hat ziemlich viel Geld gewonnen, zumindest während einer Phase.

Liebt den Nervenkitzel: Buffon am Pokertisch. 
Liebt den Nervenkitzel: Buffon am Pokertisch. 
Bild: redmancunian.com

Gianluigi Buffon ist geschieden, ist an Depressionen erkrankt und spielsüchtig. Doch genau die Tatsache, dass er kein Saubermann ist, macht ihn so nahbar und menschlich.

Gigi Buffon ist ein Mix aus den von Schauspieler David Duchovny verkörperten Figuren: Mal brillant und kontrolliert wie FBI-Agent Fox Mulder aus Akte X, dann lässt er sich wieder von seinen Trieben leiten wie Hank Moody in Californication. 

Mit seinen Lastern kann Gianluigi Buffon mittlerweile aber ganz gut leben. «Die Perfektion hat mich immer gestört. An Fehlern wächst man.» Gianluigi Buffon ist daran gewachsen – zum grössten Torhüter der Fussballgeschichte. Dafür lieben wir ihn.

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quelle: getty images europe / gary m. prior
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4 Kommentare
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G-4
21.11.2015 16:29registriert Juni 2015
Buffon hat diesen Charakter der in einzigartig macht.
Diese Loyalität ist gerade im heutigen geldgeprägten Fussball eine Seltenheit.

Auf sportlicher Ebene mein absolutes Vorbild. ;-)


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