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Wie die App Tonsser das Scouting im Fussball revolutiniert

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So will das «Instagram für Amateurfussballer» das weltweite Scouting revolutionieren

«Tonsser» ist ein soziales Netzwerk für Fussballtalente. Noch wirkt die App eher wie eine Spielerei – doch in Zukunft könnte sie im Scouting immer wichtiger werden. Bereits mehrere Profivereine setzen grosse Hoffnung in die Anwendung.
08.01.2019, 10:2108.01.2019, 16:42
raphael gutzwiller / ch media
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«Fussball ist keine Mathematik», verkündete Bayerns Karl-Heinz Rummenigge einst. Inzwischen ist die Aussage längst überholt. Spätestens seit 2014 das dänische Spitzenteam Midtjylland dank technischer Hilfsmittel Taktik und Transfers berechnet und damit durchschlagend Erfolg hat, ist der Fussball eng mit Statistiken verknüpft.

In den letzten vier Jahren holte Midtjylland auch dank dieser Berechnungen zweimal den dänischen Meistertitel (2015 und 2018). Midtjyllands Markenzeichen: Standardsituationen. Ein Trend, der sich auch im internationalen Fussball durchgesetzt hat. Immer häufiger fallen Tore nach Freistössen oder Eckbällen.

Der dänische Klub Midtjylland ist ein Vorreiter bei der Digitalisierung des Fussballs.
Der dänische Klub Midtjylland ist ein Vorreiter bei der Digitalisierung des Fussballs.Bild: EPA/MTI

Nicht nur dort haben die Überlegungen, die in Midtjylland begonnen haben, Einfluss auf den Spitzenfussball genommen. Viele Vereine kopieren Ideen. Manchester City etwa arbeitet seit 2015 mit dem Softwareunternehmen SAP zusammen, um möglichst eine genaue Datenerfassung zu ermöglichen. Denn bei den Spitzenvereinen wird alles erfasst: Wie schnell die Spieler rennen, welche Wege sie gehen, wie viele Zweikämpfe sie gewinnen, welche Pässe sie spielen.

Profifussballer tragen heute selbst in den Trainingseinheiten GPS-Sensoren, die auf Schritt und Tritt Statistiken erstellen. Die modernsten Kommunikationsmittel, Berechnungen und Datenbanken sind mittlerweile nicht mehr aus dem Spitzenfussball wegzudenken.

«Ein Spieler soll durch Talent und harte Arbeit entdeckt werden – und nicht nur durch Glück und die richtigen Kontakte.»
Simon Hjære, Mitgründer Tonsser

Nun geht die Technik im Fussball noch weiter – bis in den Amateurfussball. Neu sollen nämlich die Fussballtalente überhaupt erst durch eine Datenbank gefunden werden. Auch diese Idee stammt aus Dänemark. Die beiden Jungunternehmer Simon Hjære und Peter Holm gründeten 2014 die App «Tonsser» in Kopenhagen. Sie soll eine Art Linked-In für Nachwuchstalente im Fussball sein, also ein soziales Netzwerk, das den Beruf in den Fokus stellt.

Wer die App nutzt, stellt jedoch fest, dass sie eher wie Instagram wirkt. Viele Bilder und Videos werden gepostet. Die App soll damit die junge Zielgruppe der 13- bis 19-jährigen Fussballer ansprechen.

Ein Däne als Musterbeispiel

Das Ziel der App ist ambitiös. Sie soll nichts weniger als den Fussball revolutionieren. Mitgründer Hjære verkündet: «Wir wollen den Fussball demokratisieren, indem wir die Voraussetzungen dafür schaffen, dass ein Spieler durch Talent und harte Arbeit entdeckt wird – und nicht nur durch Glück und die richtigen Kontakte.»

Insbesondere Spieler, die in ganz jungen Jahren bei keinem Spitzenverein landen oder aus körperlichen Gründen schon früh aussortiert werden, haben es nämlich schwer, es dann doch noch zum Profifussballer zu schaffen. «Wir wollen diesen Spielern eine zweite Chance geben.»

Als Musterbeispiel, dass dies tatsächlich durch die App klappen kann, gilt derzeit das dänische Talent Olivier Sonne. Eine Profikarriere hatte der inzwischen 18-Jährige bereits abgeschrieben. Zwar war er einst beim dänischen Zweitligisten HB Köge ausgebildet worden, doch er hatte inzwischen schon zu einem kleineren Verein gewechselt und spielte sogar mit dem Gedanken, mit dem Fussball aufzuhören. Dennoch nutzte er die App Tonsser fleissig, der Mittelfeldspieler speiste seine Daten ein. Tore, Assists, Bilder.

Mit Erfolg: Tonsser lud ihn aufgrund überzeugender Werte zu einem Sichtungstraining ein, Sonne überzeugte. Er erhielt die Möglichkeit, bei Olympique Marseille oder beim FC Kopenhagen vorzuspielen. Sonne entschied sich für Kopenhagen. Inzwischen spielt er dort in der U19 und kam schon im Reserveteam zum Einsatz.

Ob es sich beim Fall Sonne, der nebenher als Model jobbt, lediglich um eine gelungene Marketingaktion handelt oder ob er sich dereinst als Fussballprofi behaupten kann, wird sich weisen. Sicher ist aber, dass immer mehr Vereine auf den Zug aufspringen. Die beiden Profivereine Ingolstadt (2. Bundesliga) und Red Star Paris (Ligue 2) arbeiten offiziell mit Tonsser zusammen. Spannende User werden zu Probetrainings eingeladen, die besten davon unterschreiben beim Verein.

Der FC Ingolstadt lädt Tonsser-User zum Sichtungstraining ein.Video: YouTube/Tonsser

Ähnliche Pläne hat gemäss BBC auch der englische Premier-League-Verein Huddersfield Town. Die Tonsser-Partnervereine sind voll des Lobes für die App. Sébastien Robert, der Technische Direktor von Red Stars Paris, sagte nach den Sichtungstrainings: «Wir waren skeptisch, ob wir allein durch Daten gute Spieler finden können. Doch von den 86 Spielern, die uns Tonsser gebracht hat, waren wir an 27 interessiert. Die Qualität der Spieler war deutlich besser als gedacht.»

Nicht ganz so beeindruckend tönt es dagegen bei Ingolstadt. Aus 75 eingeladenen Talenten besteht bei «zwei oder drei Jungs die Möglichkeit, dass sie den Sprung in unser Nachwuchscenter schaffen», erzählte Sebastian Knosp, Leiter der Scoutingabteilung von Ingolstadt, dem «Donaukurier».

Schweizer Junioren als User

Zunächst kam die App des Start-ups 2015 in Dänemark auf den Markt, inzwischen gibt es sie unter anderem in Norwegen, Schweden, Spanien, Italien, Deutschland und Frankreich. Weltweit zählt sie bereits rund 800 000 User. Seit Anfang Saison ist Tonsser auch in der Schweiz angekommen.

Der Start sei geglückt, verkündet Tonsser stolz. Jeder dritte Nachwuchsspieler zwischen 13 und 19 in der Schweiz nutze die App bereits. Tatsächlich zeigt sich, dass sich insbesondere in dieser Zielgruppe einige Fussballer auf der App tummeln. Dazu gesellen sich einige Amateurfussballer, die sich wohl an der Spielerei erfreuen. Profis dagegen haben sich bisher nur sehr selten die App angeschafft. Die prominentesten Tonsser-User sind die Bundesliga-Jungprofis Jacob Bruun Larsen (Borussia Dortmund) und Mads Bidstrup (RB Leipzig).

2019 will Tonsser auch in England, den USA und weiteren Ländern erscheinen. Die Datenbank soll so weiter ausgebaut werden. Dass man diese Daten nutzen kann, davon sind einige Experten überzeugt. Lars Bach Sørensen, der skandinavische Scout für den Premier-League-Verein Southampton, sagt gegenüber dem englischen Wirtschaftsmagazin «Forbes»: «Für Vereine ist die App sehr interessant, denn bis jetzt gibt es keine ähnliche Datenbank. Sie ist mit grossem Abstand die grösste Datenbank von Nachwuchsspielern.»

Auf der App sind von Nachwuchsteams, Amateurmannschaften bis hin zu den Profiligen alle Spiele aufrufbar. Als User kann man seine gespielte Position eintragen, dazu kommen Statistiken wie Tore, Assists oder Karten sowie ein Voting für den Mann des Spiels.

Auch Trainer können Tonsser benutzen.Video: YouTube/Tonsser

In einer Rangliste können sich die Spieler sowohl mit Teamkollegen als auch mit Gegenspielern aus der Liga vergleichen. Die Spieler tragen die Statistik selber ein. Das heisst, es kann auch geschummelt werden – ähnlich, wie dies auch bei sonstigen sozialen Medien der Fall sein kann. Vielleicht deshalb lassen die Schweizer Vereine noch die Finger von der App.

Doch auch hierzulande haben solche Apps eine Zukunft, glaubt Michael Silberbauer, ebenfalls ein Däne. Der ehemalige Assistenztrainer des FC Luzern und neue Cheftrainer des kanadischen Pacific FC sagt: «Bis jetzt habe ich damit noch nicht gearbeitet. Dennoch weiss ich, dass es die App gibt», sagt er. «Ich denke, solche Technologien wird man in Zukunft immer mehr nutzen. Denn ich bin überzeugt, dass man sich als Verein mit den sogenannten Big Data beschäftigen muss. Sie können helfen.»

Doch ob tatsächlich irgendwann der nächste Weltstar des Fussballs durch die Smartphone-App Tonsser entdeckt wird, wird erst die Zeit zeigen.

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quelle: keystone / pablo garcia
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