Die umstrittene Fussball-WM in Katar lässt das Schweizer TV-Publikum der Jahreszeit entsprechend bislang eher kalt. Darauf deuten zumindest die vorläufigen TV-Publikumszahlen des SRF nach den ersten 32 WM-Spielen hin. Im Vergleich mit den letzten grossen Turnieren schalten Herr und Frau Schweizer den TV deutlich weniger fleissig an.
Nur rund 280'000 Deutschschweizerinnen und Deutschschweizer haben im Schnitt die ersten beiden Gruppenspiel-Runden auf SRF zwei verfolgt, wie das Schweizer Fernsehen auf Anfrage von watson mitteilte. Bei den letzten vier grossen Turnieren waren die TV-Publikumszahlen noch deutlich höher.
Bei den Zahlen von 2014, 2016, 2018 und 2021 sind die letzten Gruppenspiele sowie die K.-o.-Runden-Duelle, die meist etwas mehr Zuschauer vor den TV locken, allerdings schon einberechnet. Einen ersten Hinweis auf das aktuelle WM-Interesse in der Schweiz liefern die Zahlen aber dennoch.
Zumal auch bei den beiden bisherigen Schweizer WM-Spielen in Katar gegen Kamerun und Brasilien weniger Schweizerinnen und Schweizer den Fernseher einschalteten als noch bei den WM- und EM-Spielen in den Jahren zuvor. Den hart erarbeiteten 1:0-Erfolg der Schweiz am Donnerstag zum WM-Auftakt gegen Kamerun verfolgten in der Spitze beispielsweise nur 777’000 Zuschauerinnen und Zuschauer auf SRF zwei, im Durchschnitt gar nur 527'000. Das ist der schlechteste Wert der letzten fünf grossen Turniere.
Aufgrund der ungewohnt frühen Anspielzeit am Donnerstagvormittag um 11 Uhr gab sich das SRF mit der Quote aber dennoch zufrieden. Gegen Brasilien – das Spiel wurde um 17 Uhr angepfiffen – erfolgte prompt die erwartete Steigerung. Im Durchschnitt waren 987’000 Personen zugeschaltet, was ungefähr dem letztjährigen EM-Gruppenspiel gegen Italien (0:3) entspricht. Im Vergleich zum WM-Duell gegen Brasilien vor acht Jahren sind die Publikumszahlen aber gut um die Hälfte eingebrochen.
Vergleiche von aktuellen Einschaltquoten mit solchen früherer Fussball-Endrunden liefern laut SRF allerdings keine zuverlässigen Aussagen über das zugrundeliegende Publikumsinteresse. «Die WM in Katar ist die erste Fussball-Weltmeisterschaft, die in der Vorweihnachtszeit stattfindet. Darum sind die Publikumszahlen grundsätzlich nur eingeschränkt mit den Zahlen früherer Weltmeisterschaften vergleichbar», hiess es in der Mitteilung zu den Zuschauerzahlen für das Nati-Spiel gegen Kamerun.
Bleiben wir also bei den Zahlen der aktuellen WM: Das Nati-Spiel gegen Brasilien zog mit Abstand am meisten Zuschauer vor den Fernseher. Dahinter folgt mit Deutschland gegen Spanien das Duell zweier Weltmeister. Ansonsten schalteten beim Eröffnungsspiel zwischen Katar und Ecuador sowie beim Duell der beiden Schweizer Gruppengegner Brasilien und Serbien überdurchschnittlich viele Schweizerinnen und Schweizer den TV an.
Die TV-Publikumszahlen offenbaren allerdings nicht die ganze Wahrheit: Zwar ist Live-Sport noch immer die letzte Bastion des linearen Fernsehens, doch auch hier ist eine Verlagerung in Richtung Internet zu beobachten. Seit der WM 2018 liegen watson die Anzahl Livestream-Starts des SRF für alle Schweizer Nati-Spiele an grossen Turnieren vor: Das Schweizer Auftaktspiel an der WM 2022 gegen Kamerun verzeichnete mit 980'000 Livestream-Starts so viele wie noch nie.
Natürlich liegt das einerseits an der Anspielzeit: Als die Partie um 11.00 Uhr angepfiffen wurde, waren die meisten Schweizer Fussball-Fans bei der Arbeit und viele mussten deshalb vom TV auf den Stream ausweichen. Allein damit können die hohen Zahlen aber nicht erklärt werden. Das um 17.00 Uhr angepfiffene Brasilien-Spiel war in Sachen Livestream-Starts das zweitbeste Gruppenspiel seit Vorliegen der Daten.
Zwar waren wohl viele Schweizer noch auf dem Nachhauseweg nach der Arbeit, doch spätestens bei Beginn der zweiten Halbzeit dürften viele vom Stream auf den TV umgestiegen sein. Die TV-Zahlen waren beim Brasilien-Spiel am Ende schliesslich fast doppelt so hoch wie beim Kamerun-Spiel.
Dass die Livestreams für viele längst zur echten TV-Alternative geworden sind, zeigt auch der Blick auf die SRF-Online-Zahlen der ersten beiden Gruppenspiel-Runden ohne Schweizer Beteiligung. Anders als vielleicht erwartet, waren nicht die Partien mit frühen Anspielzeiten (11 und 14 Uhr) die Klickbomben im Internet. Um 11 Uhr waren die durchschnittlichen Livestream-Starts gar am niedrigsten und um 20 Uhr am höchsten.
Dass an den Abenden eher die attraktiveren WM-Duelle auf dem Programm standen, erklärt die Zahlen nur zum Teil. Mit Argentinien gegen Saudi-Arabien (1:2) und Deutschland gegen Japan (1:2) waren zwei der grössten Vorrunden-Sensationen früh am Tag angesetzt. Spätestens nach dem Blick auf die Zwischenresultate haben da wohl noch einige Fussball-Fans zugeschaltet.
Auch wenn sich die Zahlen nur bedingt vergleichen lassen: Bei den Schweizer Gruppenspielen an der EM 2021 und der WM 2018 verzeichnete das SRF durchschnittlich 383'000 Livestream-Starts. Ein Trend nach oben ist also klar erkennbar. Genau prüfen lässt sich dies aber nicht, weil das Schweizer Fernsehen die Anzahl Livestream-Starts nicht für jede einzelne Partie veröffentlicht.