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Rassismus-Debatte um Granit Xhaka: Sascha Ruefer bricht sein Schweigen

Rassismus-Debatte um Nati-Captain Granit Xhaka: Sascha Ruefer bricht sein Schweigen

«Granit Xhaka ist vieles, aber kein Schweizer.» Kein Wunder, ist Sascha Ruefer nach diesem Satz unter Beschuss. Nun geht der SRF-Mann in die Offensive. Er fühlt sich hintergangen. Und prüft eine Klage.
08.04.2023, 21:3509.04.2023, 02:57
Simon Häring, François Schmid-Bechtel / ch media
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Sascha Ruefer erklärt sich zur Rassismus-Debatte um Granit Xhaka.
Sascha Ruefer erklärt sich zur Rassismus-Debatte um Granit Xhaka.Bild: Britta Gut

Am Gründonnerstag gehen die SRF-Chefs auf Tauchstation, hinter den Kulissen aber laufen die Drähte bis spät in die Nacht heiss. Krisengipfel im Leutschenbach. Grund dafür ist ein Bericht in der Wochenzeitung, die enthüllt hatte, dass Nati-Kommentator Sascha Ruefer bei den Dreharbeiten für den Dokumentarfilm «The Pressure Game» einen Satz gesagt hatte, der ihm als rassistisch ausgelegt werden kann und den er daraufhin entfernen liess. Nämlich: «Granit Xhaka ist vieles, aber kein Schweizer.»

Ende März hatte CH Media publik gemacht, dass SRF-Kommentator Sascha Ruefer in «The Pressure Game» eine Aussage hatte entfernen lassen, in der er sich über den Nati-Captain Granit Xhaka äussert, ohne den Wortlaut zu nennen. Wie uns ein Informant berichtete, hätte man Ruefer jenes Zitat als rassistisch auslegen können.

Genau darum geht es. Schon damals stellte sich SRF auf den Standpunkt, diese Aussage sei aus dem Kontext gerissen worden. «Sascha Ruefer hat sich zu keinem Zeitpunkt rassistisch geäussert», liess sich Susan Schwaller, Chefredaktorin Sport, zitieren.

Das Problem: Auch auf Nachfrage war SRF zunächst nicht bereit, die entsprechende Passage öffentlich zu machen.

Bis jetzt. Am Karfreitag lädt ein SRF-Sprecher eine Gruppe ausgewählter Journalisten ins Leutschenbach ein. Man will sich erklären – und den Ausschnitt zeigen, der die Gemüter erhitzt und der dazu geführt hat, dass Ruefer nun sagt: «Ich bin gebrandmarkt. Ich habe ein Tattoo auf dem Rücken, auf dem steht: Sascha Ruefer ist ein Rassist.»

Etwas, das er nicht stehen lassen will. Etwas, das er nicht stehen lassen kann.

Also sucht Ruefer am Donnerstag von sich aus das Gespräch mit seinen Vorgesetzten: mit Susan Schwaller, der Chefredaktorin Sport, und mit Roland Mägerle, Leiter Business Unit Sport. Ruefers Wunsch? Die Flucht nach vorne. Er will Transparenz schaffen, seine Sicht der Dinge erklären. Der Auslöser für diesen Wunsch sei gewesen, als er gesehen habe, wie sein 9-jähriger Sohn auf dem Tablet einen Artikel über ihn gelesen habe.

Roland Mägerle, Leiter Business Unit Sport bei SRF.
Roland Mägerle, Leiter Business Unit Sport bei SRF.Bild: Oscar Alessio/Aargauer Zeitung

Gespräch beendet, Kamera läuft weiter

Um 11.15 Uhr ergreift Ruefer in einem Sitzungszimmer das Wort, erklärt den beiden Journalisten von CH Media, wie die Aufnahmen entstanden sind. Es ist Anfang Dezember in Doha, einen Tag vor dem WM-Spiel der Fussballnati gegen Serbien. Regisseur Simon Helbling erklärt Ruefer, über welche drei Figuren er sprechen will: Trainer Murat Yakin, Xherdan Shaqiri und den Captain, Granit Xhaka.

Dann beginnt die Vorführung. Unter einer Voraussetzung: Der Inhalt darf nur beschrieben werden, daraus zu zitieren, ist untersagt, der Wortlaut darf nicht wiedergegeben werden. Aus rechtlichen Gründen, wie es heisst.

Vereinbart waren zirka 45 Minuten Gesprächszeit. Ruefer ist entspannt, konzentriert, spricht reflektiert. Unter anderem auch sehr ausführlich und differenziert über seine Beziehung zu Granit Xhaka, den er als Spieler und Mensch schätze und respektiere, an dessen Charakter er sich auch reibe.

Prägendstes Ereignis dieser wechselvollen Beziehung zwischen dem Nati-Kommentator und dem Nati-Captain ist die Doppeladler-Affäre bei der WM 2018 in Russland. Ruefer bezeichnete Xhakas Jubel nach dem Treffer gegen Serbien als «bescheuert», «dämlich» und «dumm». Rückblickend sagt Ruefer nun: «Wenn ich zurück könnte, würde ich es anders machen.» Zu seiner Einordnung stehe er, aber heute sei er bedachter unterwegs.

Mit dieser Geste jubelte Granit Xhaka im Spiel gegen Serbien.
Mit dieser Geste jubelte Granit Xhaka im Spiel gegen Serbien.Bild: Keystone

Ruefer sagt, er habe damals seine Wirkung auf die öffentliche Wahrnehmung der Nationalmannschaft wohl unterschätzt. Er glaubt – zu seinem Bedauern –, er habe damit die Debatte, welche Xhaka 2011 ins Leben gerufen hat und diese Mannschaft schon seit längerer Zeit begleitet, mitbefeuert: jene über sogenannt echte und sogenannt unechte Schweizer.

Ruefer prüft rechtliche Schritte

Als die 45 Minuten verstrichen sind, wird das Interview für «The Pressure Game» offiziell für beendet erklärt. Das Problem: Kamera und Mikrofon laufen weiter, Ruefer und der Regisseur sind in einem regen Austausch, über den Ruefer sagt, er habe ihn auch neben den Dreharbeiten als bereichernd empfunden. Und dann fällt der Satz, der Ruefer in ein Licht rückt, in dem er sich nicht sehen will, weil er sagt:

«Ich bin kein Rassist. Das entspricht nicht meinem Denken und Empfinden.»

Wie aber sieht der von SRF viel zitierte Kontext aus, in dem Ruefer seine Äusserung macht? Ruefer bezieht seinen Satz «Granit Xhaka ist vieles, aber er ist kein Schweizer» darauf, wie der Basler als Sportler funktioniert. Für Ruefer ist Xhaka in dieser Hinsicht nicht «typisch» Schweizerisch. Nicht bescheiden, sondern selbstbewusst, nicht zurückhaltend, sondern energisch. Einen Bezug zur Herkunft macht Ruefer nicht.

Wurde die Aussage aus dem Kontext gerissen? Nach Ansicht des Gesprächs kann man sagen: Ruefer ist bestimmt kein Rassist, problematisch bleibt die Aussage gleichwohl. Der Kontext relativiert, aber er entschuldigt nicht.

Dass er polarisiert, dass er sich als Kommentator der Länderspiele nicht nur Freunde schafft, daran hat sich Sascha Ruefer längst gewöhnt. Damit könne er umgehen. Dafür, weshalb er bei manchen aneckt, hat er folgende Erklärung: «Weil ich sehr grossen Wert auf Respekt und Anstand lege.»

Als junger Kommentator habe er der Illusion nachgehangen, zur Stimme der Nation zu werden. Inzwischen wisse er, dass er es nicht allen recht machen könne.

Immer leidenschaftlich, manchmal überschwänglich: Sascha Ruefer.
Immer leidenschaftlich, manchmal überschwänglich: Sascha Ruefer.Bild: Roger Grütter

Bedauert er seine Aussage über Granit Xhaka? Ruefer sagt: «Rechenschaft bin ich nur ihm schuldig. Ich will nicht, dass er ein Bild von mir als Kommentator hat, das nicht stimmt.» Deshalb werde er das Gespräch mit dem Nati-Captain suchen. «Ich werde mich bei Xhaka erklären», sagt Ruefer. Das Wort Entschuldigung nimmt er nicht in den Mund.

Zu seiner Aussage stehe er. Sie sei jedoch in den falschen Kontext gesetzt worden, Rassismus verurteile er aufs Schärfste. Deshalb und weil er die Aussage nicht innerhalb des Interviews gemacht habe, liess er die Aussage entfernen. Fraglich ist, wie empfänglich Xhaka für ein Gespräch ist.

Dann holt Ruefer zum Gegenschlag aus, sagt, was ihm unter den Nägeln brennt:

«Ich verurteile es aufs Schärfste, dass jemand diese Aussage rausgegeben hat. Jemand nahm diese Aussage - ohne jeglichen Kontext – spielte sie einem Journalisten zu mit der klaren Botschaft: Schau, Sascha Ruefer ist ein Rassist. Mir wollte jemand aktiv schaden.»

Wer das sein könnte, weiss Ruefer nicht. Die Urversion von «The Pressure Game» hätten alle Protagonisten einsehen können. «Jeder von ihnen konnte damit rausgehen, wenn er mir Böses wollte.» Rechtliche Schritte gegen Unbekannt bringe aber nichts. Stattdessen prüft er rechtliche Schritte gegen den Autoren der WOZ, der ihn als Rassisten darstelle.

Zur Gesprächsrunde wollte Ruefer die Wochenzeitung nicht dabei haben. SRF schreibt dazu: «Es steht Sascha Ruefer frei, mit jenen Medien zu sprechen, die er als seriös erachtet.»

Anruf bei Kaspar Surber, Mitglied der Redaktionsleitung der WOZ. Er sagt: «Unser Journalist hat SRF sauber und seriös mit den Vorwürfen konfrontiert. Wir sind sehr irritiert, dass er nun von der SRF-Präsentation ausgeschlossen wurde. Das ist eine Ungleichbehandlung und schafft weder Transparenz noch Vertrauen. Von einer Klagedrohung haben wir bis jetzt keine Kenntnis und können uns entsprechend nicht dazu äussern.»

Ruefer sagt: «Das Thema Rassismus und der Vorwurf ist viel zu gross, als dass ich das einfach so stehen lassen könnte.»

Ruefer räumt ein, dass Fehler passiert seien. Er habe unterschätzt, was der Artikel in den CH-Media-Zeitungen auslöse und gibt auch unumwunden zu, damals gehofft zu haben, die Geschichte sei für ihn damit erledigt.

SRF stellt sich vor Sascha Ruefer

Doch weshalb musste es so weit kommen? Weshalb schaffte SRF nicht früher Transparenz? Ruefers Vorgesetzte, Susan Schwaller und Roland Mägerle, schweigen zu dieser Frage und lassen damit eine ihrer letzten Gallionsfiguren im Regen stehen. Schwaller sagt, es sei nicht üblich, Rohmaterial zu zeigen. Das würden den publizistischen Leitlinien von SRF widersprechen und geschehe nur ausnahmsweise auf Bitte von Ruefer.

Ans Aufhören, oder daran, sich vorübergehend zurückzuziehen, um sich den negativen Rückmeldungen zu entziehen und damit auch sein Umfeld zu schützen, denkt Ruefer nicht. Er sagt: «Ich habe die Freude nicht verloren.»

Und auch SRF betont an diesem Karfreitag, Ruefer stehe als Kommentator der Nati-Spiele nicht zur Diskussion. (aargauerzeitung.ch)

Diese Story wurde nach der Veröffentlichung überarbeitet und der Kontext von Ruefers Aussage präzisiert.

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173 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Patho
08.04.2023 20:59registriert März 2017
Liebe Journis, dann haut doch mal endlich den Kontext raus, damit die ganze Polemik und Polarisierung wegfällt!
Es ist müssig über eine kontroverse Aussage zu diskutieren, ohne den Kontext der Aussage zu kennen – insbesondere, wenn der Kern der Diskussion ums Herausreissen aus dem Kontext geht...
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Rumpelstilz
08.04.2023 20:50registriert Mai 2014
Jetzt bin ich immer noch nicht schlauer punkto Kontext 🤷‍♂️
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Nihil fit sine causa
08.04.2023 21:03registriert Februar 2022
Wo ist jetzt der Kontext?!?!? Viel bla bla und mimimi von Ruefer aber keine Erklärung zum Kontext. Wieso wohl?
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