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Als ich an einem Sonntagnachmittag im Jahr 2007 schreiend im Gras lag, ahnte ich noch nicht, dass ich acht Jahre später an die Weltmeisterschaft genau dieser Sportart reisen würde, die mich einen Schien- und Wadenbeinbruch kostete. Doch mit dem Wikipedia-Fachwissen über Tackles, Scrums und Line-outs und drei Freunden fliege ich nach Edinburgh, um vom Norden aus das rugbybegeisterte Grossbritannien zu erkunden.
Wir haben ihn noch ausgelacht, unseren guten Freund, als er erzählt hat, dass er die Sonnenbrille eingepackt hat. Schliesslich fliegen wir nach Grossbritannien, ins Reich des schlechten Wetters. Doch schon bei unserer Landung wird klar: Schottland zeigt sich von seiner schönsten Seite – blauer Himmel und Sonnenschein. Aber von der viel gepriesenen Rugby-Begeisterung fehlt hier jede Spur. Dafür führen hier ziemlich viele Spuren in die gleiche Richtung – nämlich direkt in den Pub.
Vorne am Fenster verspeisen wir traditionelle Haggis (die schmecken übrigens überraschend gut) und Burger und sind nun auf unzähligen Touri-Fotos verewigt. Warum? Das wussten wir lange auch nicht. Bis wir herausgefunden haben, dass die vielen Touris die Hundestatue vor dem Pub fotografierten. Und dieser Hund Bobby heisst. Und Bobby der bekannteste Polizeihund der Welt sein soll. Und als wir die Szene beobachten, wie eine Mutter fünf Minuten lang versucht, ihren kleinen, übergewichtigen Jungen hochzulupfen und sie es mit letzter Kraft doch noch schafft und er glänzende Augen hat, da glauben wir die Geschichte von Bobby, dem berühmtesten Polizeihund der Welt, auch.
Doch grundsätzlich sind wir wegen dem Rugby auf die Insel gereist. Und die Schotten werden im Gegensatz zu den Engländern sogar noch nach der Vorrunde im Turnier vertreten. Wo aber bleibt die Begeisterung? Wir finden sie am Abend in einer Sportbar. Tatsächlich! Beim Fussball.
Euphorisch werden die Tore der Schotten (gegen Polen) und der Nordiren (gegen Griechenland) gefeiert, pub feeling at its best! Als dann auch noch Irland gegen Deutschland topft, springt selbst mein eher zurückhaltender Kumpel auf, ein Tor gegen die «Krauts», olé! Sein Jubelschrei hallt im Pub nach, die unmittelbare Stille, welche sich breit macht und die bösen Blicke, die ihn treffen, lassen sein Herz stocken. Was ist nur los? Mögen die Schotten die Deutschen etwa mehr als angenommen? Ich erkläre ihm, dass der Sieg der Iren die Qualifikation der Schotten verunmöglicht. Die Stimmung ist im Keller.
Was britische Euphorie sein kann, wissen wir jetzt und suchen sie jetzt beim Rugby – Neuseeland gegen Tonga. Mit viel Vorfreude, die «All Blacks» im St.James' Park live zu sehen, reisen wir mit anderen Fans im Bus nach Newcastle. Meine rugbyaffinen Freunde in der Schweiz sagten mir, sie würden den Neuseeländern auch gerne mal im Stadion zuschauen und beneideten mich um meine Tickets. Da freute ich mich noch auf das Spiel.
Nachdem wir unser Gepäck bei befreundeten Musikerinnen deponiert haben, machen wir uns auf den Weg zum grossen Spiel. Um die Stimmung in der Stadt zu erleben, entscheiden wir uns für den Fussmarsch zum Stadion – und bleiben immer wieder hängen.
Das erste Pub, der erste Halt. Die Studenten hocken gemütlich unter den Sonnenschirmen, spielen Pool oder lassen es sich sonst gut gehen. Wir «sogenannten» Rugbyfans können nicht anders und setzen uns dazu – aber wir nehmen uns fest vor: «Nur ein Bier, dann müssen wir sofort weiter.» Da die Auswahl an den Zapfhähnen ohnehin beschränkt ist, gelingt es uns.
Doch wie es der Zufall will, befindet sich am oberen Ende dieser malerischen Strasse ein – ja was wohl – Pub. Die Kunststudentinnen mit ihren Mappen gemischt mit den Tonga-Fans in den Nationalfarben Rot-Weiss verführen uns zu bleiben.
Langsam kommt das Rugby-Feeling auf. Viele Fans in Trikots passieren unsere Gaststätte. Wir kommen uns in unserer Strassenkleidung ein bisschen underdressed vor und hoffen, beim Stadion Fan-Utensilien zu finden.
Ein paar Pints später gelingt uns dann fast der entscheidende Vorstoss in Richtung Stadion. Doch auf den letzten Metern brutzeln neuseeländische Chili-Würste auf dem Grill und riechen herrlich: 3. Halt.
Mit den verteilten Plastikfähnchen erklimmen wir die Treppen des aus dem Fussball als Hexenkessel bekannten St.James' Park. Wir hoffen, die ausgezeichnete Stimmung auch beim Rugby anzutreffen. Das Stimmungs-Highlight findet dann noch vor dem eigentlichen Spiel statt. Die beiden Nationalmannschaften, Neuseeland und Tonga, führen ihre traditionellen Tänze vor.
Von weit oben verfolgen wir danach den genauso wenig überraschenden wie ereignisarmen Sieg der Neuseeländer. In Sachen ausgelassene Fangesänge und Plätze der besten Kategorie freuen wir uns einfach schon mal auf das nächste Spiel: Argentinien gegen Namibia in Leicester.
So richtig gefeiert wird dann nach dem Spiel! Auf dem «Bigg Market» trifft sich die nordenglische Party-Meute, mischt sich mit den angereisten Aussies und säuft sich die Birne weg. Wer die TV-Sendung «Geordie Shore» kennt: Ja, es ist genau so. Wir setzen uns auf eine Bank, trinken unsere Biere leer und verfolgen das Gelage genüsslich.
Froh, wer noch laufen kann. Aber Newcastle ist vorbereitet: Wochenende für Wochenende stellen sie eine temporäre Sanitätsstation auf – welche auch rege besucht wird.
Da man am «Bigg Market» kein Bier über die Gasse kaufen kann (da steckt wohl eiskaltes Kalkül der Behörden dahinter), ziehen wir weiter in einen Club. Der Unterschied zum «Bigg Market»: Musik. Ansonsten das selbe Bild: Betrunkene, halbnackte Frauen, knalledichte Männer. Schon nach wenigen Minuten werden wir angetanzt. Erst sind wir geschmeichelt, doch als sich das Taktgefühl der reizenden Damen als noch weniger vorhanden als unseres herausstellt, sinkt die Begeisterung. Wir müssen aufholen – ab an die Bar.
Der blaue Drink, welcher von fast allen getrunken wird, soll es sein. Er schmeckt wie die Gummischlümpfe aus unserer Kindheit. Wir wechseln zurück zu Vodka-Lemonade, der Preis: vier Pfund. Während der Happy Hour drei. So kommt es, dass wir schon bald auch die uns unbekannten Hits mitsingen. Die Euphorie erreicht ihren Zenit, als mich eine junge Neuseeländerin schon von weitem anlächelt und mir beim Vorbeigehen augenzwinkernd in den Hintern kneift.
Das nächste Ziel: Stimmung UND Rugby. Also ab ins «King Power Stadium»!
In Gökhan Inlers neuer Heimat Leicester treten die «Pumas» aus Argentinien gegen die «Welwitschias» aus Namibia an. Doch dieses Mal wollen wir nicht nur mit gratis Fähnchen im Stadion auftauchen, wir suchen nach argentinischen Nationaltrikots. Vor dem Stadion die Ernüchterung: Fähnchen ja, Trikots nein. Zurück in die Stadt. Ein tiptopes englisches Frühstück finden wir auf Anhieb, das Trikot zu kaufen erweist sich als unmöglich.
Wir rennen durch drei verschiedene Sportartikelgeschäfte, könnten sogar das Team aus Namibia in den richtigen Farben unterstützen, aber von argentinischen Fanartikeln fehlt jede Spur. Der Südamerika-Kenner in unserer Gruppe meint, das hänge vielleicht mit dem Falklandkrieg zusammen. Argentinien und das Vereinigte Königreich kämpften bis 1982 gegeneinander – mit dem glücklicheren Ausgang für die Briten. Mit diesem Resultat unzufrieden, zieren in Argentinien noch heute Graffiti wie «Las Malvinas son Argentinas» diverse Hauswände.
Enttäuscht und ein weiteres Mal in Strassenkleidern kehren wir kurz vor Spielbeginn zum Stadion zurück. Dank Freunden, welche die England-Reise nicht antreten konnten, sitzen wir auf fantastischen Plätzen. (Danke, Nico und Pascal, dass ihr zu Hause geblieben seid!)
Und endlich finden wir sie! Die Stimmung im Rugby-Stadion. Was 51'000 Zuschauer in Newcastle nicht geschafft haben, schaffen 20'000 Argentinier: «Olé olé olé olé olé olé olé olé ola! Cada día te quiero mas, soy de Argentina, es un sentimiento, no puede parar!» Frenetisch feiern die mitgereisten Südamerikaner ihre Helden und sich selbst. Bereits vor dem Spiel steht fest: Argentinien ist hinter Neuseeland für das Viertelfinal qualifiziert. Geduldig drehen die Spieler nach der Partie eine Ehrenrunde, erfüllen jeden Autogrammwunsch und steigen für Selfiewünsche sogar auf die Tribüne. Es sind Bilder, wie man sie sich in anderen Sportarten auch wünscht.
Mit dem Bus für ein Pfund fahren wir am nächsten Morgen von Leicester nach London. Der Zug hätte notabene das 61-Fache gekostet! Da man auch in London kein Argentinien-Trikot kaufen kann, investieren wir das durch die günstige Reise gesparte Geld in ein ausgedehntes Dinner im Steakhouse. Mein Beinbruch ist in diesem Moment vergessen, ich habe mich mit dem Rugby versöhnt und werde wohl auch 2019 an der nächsten WM in Japan versuchen, die beste Stimmung zu finden. Das sollte locker klappen, denn der Taxifahrer, welcher uns anschliessend nach Hause bringt, erläutert uns noch Erstaunliches: «London is a small city!»
Schön ist das nicht so.