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Reform? Alles besser? Von wegen. Eine neue Doku zeigt: Bei Sepp Blatters Fifa hat sich nichts geändert

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Die Kandidaten für die FIFA-Präsidentenwahl 2015
Joseph «Sepp» Blatter: Der 79-jährige Schweizer ist seit 1998 Präsident der FIFA. Seit 1975 ist er beim Weltverband, von 1981 bis 1998 war er als FIFA-Generalsekretär tätig. Trotz einem Rücktrittsversprechen bei der letzten Wahl will er an der Spitze bleiben und eine Periode der Erneuerung einläuten.
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Reform? Alles besser? Von wegen. Eine neue Doku zeigt: Bei Sepp Blatters Fifa hat sich nichts geändert

06.05.2015, 10:2006.05.2015, 16:40
Roman Rey
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Bei der Fifa läuft alles sauber – Ungereimtheiten bei der Vergabe der Fussball-WM an Russland (2018) und Katar (2022) gab es nicht: Zu diesem Schluss kam die von Fifa-Präsident Sepp Blatter eingesetzte interne Ethikkommission.

Doch an dieser Darstellung gab es massive Zweifel. Nun zeigt auch die aufwändige Dokumentation der ARD, «Der verkaufte Fussball»: Von einem Neuanfang kann keine Rede sein.

Fünf Monate recherchierten die Journalisten Jochen Laufgens und Robert Kempe und präsentieren in ihrer Doku eine korrupte, rücksichtslose und reformunwillige Organisation. Während der ganzen Zeit lehnte Sepp Blatter, der Ende Mai entgegen früherer Beteuerungen zur Wiederwahl antritt, Interview-Anfragen ab – angeblich aus Zeitmangel.

Eine einzige kritische Frage können ihm die Reporter stellen. Anschliessend werden sie von Gefolgsleuten massiv beschimpft.

«Ich bin der einzige Mensch auf der Welt, der in jedem Land auftauchen kann und vom Staatschef empfangen wird»
Sepp Blatter

Die Doku kann man nur in Deutschland oder mit VPN in der ARD-Mediathek ansehen – deshalb hier die wichtigsten Punkte:

Die Sklaverei in Russland

Recherchen der Journalisten ergaben, dass bei den WM-Arbeiten in Russland laut einem eigens geschaffenen «Fifa-Gesetz» Arbeitsrechte ausgehebelt werden. Und zwar nicht etwa auf Geheiss Russlands: Die Fifa verlangt es in einem Vertrag ausdrücklich, wie ein internes Dokument der Organisation zeigt.

«Wenn dieses Gesetz bleibt, bedeutet das, dass diese Arbeiter an ihre Arbeitgeber versklavt werden», erklärt die Generalsekretärin des internationalen Gewerkschaftsbundes, Sharan Burrow, im Interview. «Das Gesetz hilft uns, die Vorgaben der Fifa einzuhalten», heisst es beim russischen Verband.

In dieser Baracke in Katar leben 300 bis 400 Gastarbeiter.
In dieser Baracke in Katar leben 300 bis 400 Gastarbeiter.Screenshot: ARD

Auch in Katar sind die Zustände der Arbeiter untragbar. Gastarbeiter sind schlecht bezahlt und wohnen auf engstem Raum zu katastrophalen hygienischen Bedingungen, wie ein Augenschein vor Ort zeigt. 

Eine Küche in dieser Baracke.
Eine Küche in dieser Baracke.Screenshot: ARD

Die Journalisten haben eine Familie in Nepal besucht, deren 19-jähriger Spross bei einem Unfall auf einer Baustelle in Katar umgekommen ist. Für die Spitalkosten mussten sie Tausende Dollar Schulden aufnehmen. Vom Arbeitgeber haben sie nie etwas gehört oder bekommen. Schätzungen zufolge soll es noch 4000 weitere Tote bis zur WM geben.

Der 19-jährige Choiku Dorje Thing starb auf einer Baustelle in Katar.
Der 19-jährige Choiku Dorje Thing starb auf einer Baustelle in Katar.Screenshot: ARD

Mit Millionen auf Stimmenfang

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Screenshot: ARD

Phaedra Almajid war die Pressechefin von Katars WM-Bewerbung. Nach eigenen Angaben wurde sie am Rande eines Fifa-Kongresses in der angolischen Hauptstadt Luanda Zeugin, wie drei Mitgliedern des Exekutivkommittees Millionenbeträge angeboten wurden – im Gegenzug für eine Stimme.

«Das reichste Land der Welt drohte mir, ich war in Panik.»
PHaedra Almajid

«Das erste Angebot war eine Million Dollar», sagt Almajid. «Das wurde nicht akzeptiert, also ging es hoch auf 1,5 Millionen. Und das war dann okay.» Almajid sei Teil einer vierköpfigen Delegation Katars gewesen. «Ich war die einzige im Raum, die erschrocken war», sagt sie in der Doku. «Alle anderen waren nicht einmal überrascht, sondern sehr offen für solche Dinge.»

Almajid hatte ihre Anschuldigungen zeitweise zurückgezogen – aus Angst, wie sie sagt. «Das reichste Land der Welt drohte mir, ich war in Panik.» Heute steht sie wieder zu ihren Aussagen, wie sie vor der Kamera bestätigt.

Die Lügen der Funktionäre

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Screenshot: ARD

Einer der mutmasslich bestochenen ist Amos Adamu. Er hat schon einmal Geld für eine Stimme angenommen und durfte dafür drei Jahre keine Ämter bekleiden. «Nach drei Jahren bin ich zurück. Es ist wie im Fussball. Du bekommst eine rote Karte, wirst zwei Spiele gesperrt, dann kommst du zurück», sagt er.

«Es ist wie im Fussball. Du bekommst eine rote Karte, wirst zwei Spiele gesperrt, dann kommst du zurück»
Amos Adamu zu seiner Korruptions-Strafe

Ob er von Katar Geld für eine WM-Stimme erhalten habe? «Ich war nicht da. Ich war noch nie da», antwortet Adamu. Das ist eine Lüge. Bilder beweisen, dass sich der Nigerianer sehr wohl an der besagten Konferenz aufgehalten hat.

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Screenshot: ARD

Blatter will nicht über Korruption reden

Bei einem Kongress der afrikanischen Konföderation CAF gelingt es den ARD-Journalisten, ihre einzige Frage an Sepp Blatter zu stellen. Sie sprechen ihn auf den CAF-Präsidennten Issa Hayatou an, der unter Korruptionsverdacht steht. Sie fragen Blatter, wie er einen Reformprozess anstossen, wolle, wenn er gleichzeitig mit Leuten wie Hayatou zusammenarbeite.

Blatter antwortet: «Das ist eine absolut ekelhafte Erklärung. Ich weise das zurück und werde darauf nicht Eingehen. Ich spreche über Solidarität und Fair Play.» Eine Folgefrage ignorierte Blatter.

«Es war für ihn Wahlkampf», sagt der Filmemacher Robert Kempe in einem Interview mit sportschau.de. Und der zweite Journalist Jochen Leufgens fügt hinzu: «Das war das Beste, was ihm passieren konnte. So kann er seine Loyalität denen demonstrieren, die ihm die Stimmen garantieren.»

Blatter: «Das ist eine absolut Ekelhafte Erklärung.»
Blatter: «Das ist eine absolut Ekelhafte Erklärung.»Screnshot: ARD

Nach der Pressekonferenz kamen Gefolgsleute des beschuldigten Hayatou zu einem der Journalisten, rempelten ihn an und sagten: «Sie sind ein Arschloch, verpissen sie sich.»

Gemütlich im Steuerparadies Schweiz

Auch die Schweiz ist ein Thema in der Dokumentation: Die laschen Regulierungen erlauben der Fifa ein Dasein als nicht-profitorientierte Organisation, die von Steuern befreit ist, so die Reporter. Trotz eines Rekordumsatzes von 3,3 Milliarden Dollar nach der WM in Brasilien zahlt die Fifa gerade mal 17 Millionen Franken Steuern im Jahr.

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Screenshot: ARD

SVP-Nationalrat Maximilian Reimann, ein Fifa-Verteidiger, sagt dazu: «Es soll doch nicht sein, dass die ohnehin reiche Schweiz noch mehr Steuermittel der Fifa abzwackt, und diese Gelder dann in der dritten Welt fehlen. Das würde ja kein Mensch verstehen.»

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Screenshot: ARD

Anders sieht das SP-Nationalrat Cédric Wermuth: «Die Fifa ist definitiv zum Standortproblem der Schweiz geworden. Sie ist ein Grund dafür, dass die Schweiz international als Regulierungswüste gilt. Als Ort, an dem man unbehelligt dubiose Geschäfte machen kann.»

«Die Fifa ist ein Grund dafür, dass die Schweiz als Regulierungswüste gilt. Als Ort, an dem man unbehelligt dubiose Geschäfte machen kann.»
Cédric Wermuth

Das Parlament sieht offenbar keinen Handlungsbedarf. Die JUSO-Petition «Schluss mit der Steuerbefreiung für die Fifa» wurde 2011 deutlich abgelehnt.

Eine Reform mit Blatter ist unmöglich

Die Dokumentation zeichnet ein Bild von einem Geflecht aus Freundschaften und Abhängigkeiten, das das System Fifa am Leben hält. An der Spitze: Sepp Blatter. Sollte er am 29. Mai wiedergewählt werden, und das scheint sehr wahrscheinlich, wird es wohl so weitergehen. 

Animiertes GIFGIF abspielen
«Ich bin der einzige Mensch auf der Welt, der in jedem Land auftauchen kann und vom Staatschef empfangen wird», soll Sepp Blatter zu Alexandra Wrage gesagt haben. 

Die renommierte Antikorruptionsexpertin Alexandra Wrage wurde von der Fifa gebeten, den Reformprozess mitzugestallten, stellte aber bald fest, dass alles nur Fassade gewesen sei. Ihr Fazit: «Die Fifa ist mit Blatter nicht zu retten.»

Alle FIFA-Präsidenten seit Gründung des Weltverbands 1904

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Alle FIFA-Präsidenten seit Gründung des Weltverbands 1904
Gianni Infantino (Schweiz): Seit 2016.
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4 Kommentare
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N.F.
06.05.2015 11:51registriert Januar 2015
Herr Reinmann: genau! Wie es niemand verstehen kann, dass Sie und Ihre Partei das Bankgeheimnis in der Verfassung verankern wollten, damit afrikanische Despoten weiterhin in grossem Stil das Volksvermögen plündern und auf u.a. CH-Banken deponieren können. Siehe Wikileaks -> Schweiz.
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