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Orhan Mustafi: Ex-Fussball-Talent spielt jetzt in Hong Kong

«Orhan Mustafi, du galtst als Supertalent, jetzt kickst du in Hong Kong. Okay für dich?»

Bild: ZVG
Interview
Orhan Mustafi debütierte mit 18 Jahren für den FC Basel in der Super League und schoss gleich zwei Tore. Ihm wurde eine grosse Zukunft prophezeit. Nun ist Mustafi 26 Jahre alt und spielt in Hong Kong. Warum er dennoch glücklich ist und nochmals alles gleich machen würde.
07.02.2017, 08:4504.01.2018, 11:38
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Orhan Mustafi, du spielst seit über zwei Monaten für den FC Kitchee in Hong Kong. Wie geht es dir?
Orhan Mustafi:
Sehr gut, danke. Es ist 13 Uhr, ich bin soeben vom Training nach Hause gekommen und habe jetzt Zeit, um an den Strand oder ins Stadtzentrum zu gehen.

Das klingt angenehm ...
Das ist es. Derzeit sind die Temperaturen zwar etwas milder, so gegen die 20 Grad. Aber wem erzähl' ich das, du bist ja in der Schweiz. Kalt kann man dem hier wirklich nicht sagen.

Orhan Mustafi hat von seinem Zuhause nur fünf Minuten an den Strand.
Orhan Mustafi hat von seinem Zuhause nur fünf Minuten an den Strand.bild: orhan mustafi

Du hast kein Training am Nachmittag?
Nein, wir trainieren nur einmal pro Tag, meist von 11 bis 13 Uhr. Danach habe ich Zeit, um Inseln zu erkunden oder sonst etwas zu unternehmen. Manchmal habe ich auch spielfreie Wochenenden, da liegen auch mal Ausflüge nach Thailand, China oder Vietnam drin, das ist alles sehr schnell zu erreichen.  

Orhan, du hast 2008 mit 18 Jahren beim FC Basel dein Super-League-Debüt gegeben und gleich zwei Tore erzielt. Die «Sonntags Zeitung» nannte dich damals «eines der grössten Stürmertalente der Schweiz». Wie kommt es, dass das einstige Supertalent jetzt in Hong Kong spielt?
Ich war zuvor fast ein halbes Jahr vereinslos. Ich wollte nicht einfach das erstbeste Angebot annehmen. Da ich immer schon mal länger nach Asien wollte, hat es gepasst. Der spanische Spielerberater Jaime Bauza ist dann mit dem Angebot aus Hong Kong gekommen. 

Orhan Mustafis Debüt bei Basel mit einem Doppelpack.Video: YouTube/JimmyBasel

Aber dir wurde eine grosse Karriere prophezeit. Du hast in den Auswahl-Mannschaften für die Schweiz gespielt, Ottmar Hitzfeld hatte mit dir Kontakt – bist du enttäuscht von deinem Karriereverlauf?
Klar habe ich mir vieles anders vorgestellt. Aber enttäuscht bin ich nicht. Ich bin glücklich mit meinem Leben und mit meiner Karriere. Ich habe viel gelernt, auch menschlich. Ich war leider oft verletzt, habe aber gelernt damit umzugehen. Ich kann es ja nicht ändern. Ich bin einfach zufrieden und froh, dass ich einen Beruf habe, der mir so viele Freiheiten gibt. Ich bin mir bewusst, dass ich das nicht immer machen kann. 

Wie meinst du, du hast dich damit abgefunden?
Natürlich träumt jeder Fussballer von der Bundesliga oder Premier League. Das war auch mein Ziel. Aber da gibt es viele Einflüsse, man kann nicht immer alles selbst entscheiden. Jetzt lebe ich Tag für Tag und geniesse den Moment. Man weiss ja nie, was alles noch kommt. 

Würdest du gewisse Entscheidungen anders treffen, wenn du die Zeit zurückdrehen könntest?
Nein, ich bereue nichts. Ich würde jeden Schritt, jeden einzelnen Wechsel, wieder genau gleich machen. Dass ich zu oft und in den falschen Momenten verletzt war, kann ich nicht ändern. Aber das ist in Ordnung, ich habe mich damit abgefunden. Dank meinem Karriereverlauf lebe ich jetzt in Hong Kong.

Orhan Mustafi beim FC Kitchee

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Orhan Mustafi beim FC Kitchee
Orhan Mustafi beim Training in Hong Kong.
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Und das war das Richtige?
Absolut. Ich wollte etwas Neues. Weit weg. Also habe ich Hong Kong gegoogelt, mir Bilder angesehen und entschieden, es zu wagen. Vielleicht kommt solch eine Chance nie wieder. Ich mache derzeit sowas wie eine fussballerische Weltreise. Ich kann durch meinen Beruf ein anderes Land, eine andere Kultur kennenlernen.

Seit zwei Monaten bist du nun in Hong Kong, einem der am dichtesten besiedelten Gebieten der Welt. Hast du dich gut eingelebt?
Ich wurde in der Mannschaft gut aufgenommen. Die Menschen hier sind sehr gastfreundlich. Zudem bin ich mit meiner Freundin hergekommen, sie ist Studentin aus Frankreich, die hier ein Praktikum absolviert.

Glücklich mit seinem neuen Leben: Orhan Mustafi mit seiner Freundin in Hong Kong.
Glücklich mit seinem neuen Leben: Orhan Mustafi mit seiner Freundin in Hong Kong.bild: orhan mustafi/zvg

Mit dem Ungaren Krisztian Vadocz hast du einen Spieler in der Mannschaft, der wie du mal bei GC war.
Als wir uns hier getroffen haben, war das natürlich gleich Gesprächsthema. Wir haben uns in Zürich aber knapp verpasst und spielten dort nie zusammen. Aber es ist schon ein riesiger Zufall, dass wir beide erst bei GC und nun beim FC Kitchee spielen.

Hast du enge Kontake zu anderen Mitspielern?
Mit Zhi Gin Lam spielt ein Deutscher in meinem Team. Es tut manchmal gut, sich im Training in der Muttersprache zu unterhalten, mit jemandem der aus der gleichen Kultur kommt. 

«In meinem Team hat keiner ein Auto, es kommen alle mit der Metro ins Training.»

Und mit den anderen Mitspielern kannst du dich nicht unterhalten?
Doch natürlich. Eigentlich sprechen alle ziemlich gut Englisch. Zumindest gut genug, um sich zu verständigen. Das gilt zum Glück auch für den Coach, Trainingssprache ist Englisch. Auf den Strassen und im Verkehr ist zum Glück ebenfalls alles in Englisch beschriftet, das hilft natürlich. 

Du bist mit dem Auto unterwegs?
Nein, das kannst du hier vergessen. Es hat viel zu viel Verkehr. Kein einziger Spieler meiner Mannschaft hat ein Auto, es kommen alle mit der Metro ins Training. 

Du sprichst den vielen Verkehr an. In Hong Kong leben fast gleich viele Einwohner wie in der Schweiz, aber auf 37-mal weniger Fläche. Muss ziemlich eng sein.
Das ist es (lacht). Es ist alles voll mit Hochhäusern, es sind alles brutal enge und kleine Wohnungen. An Plätzen, an denen du in der Schweiz ein Häuschen hinstellst, bauen die 10 Blöcke bis in den Himmel. 

Hong Kong vom Aussichtsberg Victoria Peak.bild: wikipedia commons

Wohnst du in einem dieser Blöcke?
Meine Unterkunft ist ein Mix zwischen Hotel und Wohnung. Das Gebäude ist etwa 18 Stockwerke hoch, ich sag dir, da drin hat's gefühlt 50'000 Wohnungen (lacht).

Und deine Wohnung?
Sie hat zwar drei Zimmer, ist aber dennoch sehr klein. Ich fühle mich wohl, aber es ist schon anders als gewohnt. 

Das Apartment von Mustafi: Zu sehen sind die offene Küche und das Wohnzimmer. 
Das Apartment von Mustafi: Zu sehen sind die offene Küche und das Wohnzimmer. bild: orhan Mustafi

Was kostet der Spass?
2'300 Franken im Monat. Der Verein zahlt aber für die Unterkunft.

Hong Kong ist ja bekannt für seine hohen Lebenshaltungskosten.
Es ist unglaublich teuer. Sonst sind die asiatischen Länder ja eigentlich alle ziemlich billig, aber hier kann man fast 1:1 rechnen mit der Schweiz. 

Ist dein Lohn gleich hoch wie bei deiner letzten Station in Le Mont?
Nein, der ist höher, sonst hätte ich das nicht gemacht. Ich kann gut mit dem Geld leben, werde aber sicher kein Millionär.

Von Hong Kong ist es nicht mehr weit nach China. Dort werden im Moment horrende Löhne bezahlt.
Das ist mir bewusst. Ich hoffe, ich kann hier auf mich Aufmerksam machen. Es gibt in Asien natürlich sowohl finanziell als auch spielerisch attraktivere Ligen, aber die Hong Kong Premier League kann ein gutes Sprungbrett sein. 

Wie schätzt du das Niveau ein?
Ziemlich ähnlich wie in der Schweizer Challenge League. Die Asiaten sind halt eher klein und deshalb physisch unterlegen. Vom Tempo und der Technik kann man sie aber etwa mit der Challenge League vergleichen.

Da bist du mit deinen 1,91 Meter gegenüber den kleinen Asiaten ja klar im Vorteil.
Nicht wirklich, die haben praktisch alle ausländische Innenverteidiger im Team, die sind dann schon grösser. 

«Die Mitspieler auseinander zu halten, war anfangs gar nicht so leicht.»

Wie sind die einheimischen Spieler taktisch geschult?
Sie sind ein bisschen im Rückstand, haben sich die letzten Jahre aber stark verbessert. Eigentlich alle Teams haben ausländische Trainer, viele Spanier sind hier, auch in den Jugendakademien. Auch unser Staff besteht, ausser dem Cheftrainer, grösstenteils aus Ausländern.

Die Aussicht aus Mustafis Apartment.
Die Aussicht aus Mustafis Apartment.bild: Orhan mustafi

Gibt es eine Fankultur in Hong Kong?
Wir haben ein eher kleines Stadion, das 6000 Zuschauer fasst, dafür ist es immer gefüllt. Die Fans machen Stimmung, in den Fankurven wird 90 Minuten gesungen, eigentlich genau gleich, wie dies in Europa der Fall ist. 

Asiaten sehen für uns Europäer ja ziemlich ähnlich aus. Kannst du deine Mitspieler auseinander halten?
Das war am Anfang tatsächlich ein Problem. Wenn du täglich zusammen trainierst, geht es dann aber mit der Zeit. Ich muss aber ehrlich gestehen, dass ich noch nicht alle Namen kann. Es ist aber auch schwierig, da sie alle so ähnliche Namen haben, die sich teilweise nur durch einen Buchstaben unterscheiden.

In der Meisterschaft läuft es bei dir noch nicht so rund, du hattest bei Kitchee bisher erst zwei Teileinsätze.
Hier wird nur auf Kunstrasen gespielt, deshalb hatte ich anfangs etwas Mühe mit den Knien. Der Kunstrasen hier ist nicht zu vergleichen mit dem in der Schweiz. Hier ist er viel härter, hat eine viel schlechtere Qualität.

Habt ihr keinen Naturrasen für das Training?
Nein, wir trainieren auch bei 40 Grad auf dem Kunstrasen. Beim ersten Training fühlte es sich an, als würde ich im Feuer Fussball spielen. 

«Es fühlte sich an, als würde ich im Feuer Fussball spielen.»

Kommst du eigentlich irgendwann zurück in die Schweiz?
Spätestens wenn ich eine Familie plane. Ich will, dass meine Kinder in der Schweiz aufwachsen.

Weshalb spätestens?
Wenn ein gutes Angebot aus der Super League kommen sollte, würde ich wohl zurückkehren. Das Niveau ist schon deutlich höher als hier. Ich bin offen für alles.

Deine Reise ist also noch nicht zu Ende. Du warst ja auch schon mal nahe an der Schweizer Nati ...
Ottmar Hitzfeld hat mit mir gesprochen und gesagt, dass meine Zeit noch kommen werde. Ich hatte mit Alex Frei, Marco Streller und Eren Derdiyok zu jener Zeit aber sehr grosse Konkurrenz. 

Du bist als Albaner in Mazedonien zur Welt gekommen. War es nie ein Thema für eines dieser Länder zu spielen?
Mein Ziel war es, für die Schweiz zu spielen. Als ich eingesehen habe, dass es nicht reichen wird, hatte ich auch Kontakt zum mazedonischen Verband, doch es ist nie etwas zustande gekommen. Auch diese Länder haben sich fussballerisch entwickelt.

Das heisst?
Von Le Mont kommst du nicht in die Nati. Auch nicht in diejenige von Mazedonien oder Albanien. Die haben mittlerweile richtig gute Spieler. Aber ich würde natürlich nicht nein sagen, wenn es doch noch klappen sollte.

Du bist ja noch jung.
Das stimmt. Ich will mich jetzt hier zeigen und aufdrängen.

Nachtrag: Orhan Mustafi spielt seit Sommer 2017 für Rapperswil-Jona in der Challenge League, kam allerdings verletzungsbedingt nur zu drei Einsätzen in der Vorrunde.

Hier lässt es sich leben: Hong Kong im Panorama-Überblick.
Hier lässt es sich leben: Hong Kong im Panorama-Überblick.bild: wikipedia commons

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17 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Nasi
07.02.2017 10:09registriert April 2015
Hab ich das richtig verstanden, dass man auf dem "Niveau" (sagen wir mal Challenge League) - 2h am Tag arbeiten muss (plus eventuell Spiele am Wochenende) und die Wohnung wird auch noch bezahlt? Oder gibt es da neben diesen zwei Stündchen oft noch andere "Arbeiten" die man erledigen muss? Ansonsten lebt man ja schon fast wie ein König - mit so viel Freizeit!
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Nothingtodisplay
07.02.2017 11:01registriert November 2014
Coole und Interessante Geschichte, obwohl ich eigentlich mit Fussball nicht viel anfangen kann. Bitte mehr von solchen Geschichten.
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trio
07.02.2017 09:29registriert Juli 2014
Haha, training von 11 bis 13 Uhr. Ich mags ihm gönnen, soll mir aber nie mehr ein Fussballer etwas von hart trainieren sagen.
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